Die Folgen seien Wettbewerbsverzerrungen, Personalabbau, ein hoher bürokratischer Aufwand und Qualitätsverluste bei der medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten. „Das bisherige erlösorientierte DRG-System muss schnellstens durch ein kombiniertes Vergütungssystem aus krankenhausindividuellen Personalausgaben und Vorhaltekosten sowie der Abrechnung landeseinheitlicher pauschalierter Sach- und Betriebskosten abgelöst werden – und zwar nicht nur in Kinderkliniken und der Geburtshilfe“, betonte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke. „Ein neues Vergütungssystem sollte es fördern, dass Ärztinnen und Ärzte dem einzelnen Patienten wieder gerecht werden können.“ Patienten seien keine pauschalierten Fälle mit einem Abrechnungscode.
„Krankenhäuser und ambulante Praxen sind Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und brauchen verlässliche Rahmenbedingungen“, unterstrich in seinem Lagebericht zuvor Kammerpräsident Rudolf Henke. „Um die Patientenzentrierung in unserem Gesundheitswesen mit Priorität und nachhaltig zu sichern, brauchen wir von Politik und Krankenkassen ein klares Bekenntnis zur ärztlichen Profession und zwar in Form einer Stärkung der bestehenden Versorgungsstrukturen.“
„Doch wir erleben es derzeit anders: Die Abschaffung der Neupatientenregelung sowie die zweiprozentige Steigerung der Honorare in Anbetracht einer Inflation von über zehn Prozent und gleichzeitig steigender Personalkosten sind leider genau das Gegenteil von Stärkung der ambulanten Versorgung. Eine symbolisch zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung in Form eines Coronabonus für unsere Medizinischen Fachangestellten vermissen wir leider immer noch.
Konkrete Aussagen, wie vor allem die Hochenergiefächer - wie beispielsweise die ambulante Radiologie und Nuklearmedizin - vor einer existenzbedrohenden Lage zu schützen sind, gibt es bis heute nicht. Stattdessen gibt es für die ambulante Versorgung ein sehr populistisches Placeboangebot, bei dem die extrabudgetären Zuschläge auf die Versicherten- bzw. Grundpauschale für diejenigen Patienten erhöht werden sollen, die von der Terminservicestelle (TSS) an eine hausärztliche oder fachärztliche Praxis verwiesen worden sind. Nein, da braucht es mehr Engagement und wir fordern zumindest Energiekostenzulagen auch für die ambulante Versorgung“, unterstrich Rudolf Henke weiter
Der nordrheinische Kammerpräsident kritisierte „man kann nicht wie die Ampelregierung im Koalitionsvertrag schreiben „Alle Menschen in Deutschland sollen gut versorgt und gepflegt werden – in der Stadt und auf dem Land“ und dann diejenigen im Regen stehen lassen, die für diese Versorgung geradestehen. In unserem Bundesland versuchen wir gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und der Kassenärztlichen Vereinigung alles, um Ärztinnen und Ärzte für die Niederlassung auf dem Land, vor allem für die hausärztliche Tätigkeit zu gewinnen.“
Händeringend suchen Kolleginnen und Kollegen vor allem in strukturschwachen Regionen Praxisnachfolgerinnen und -nachfolger. Von den berufstätigen Ärztinnen und Ärzten in Nordrhein gehören 12,7 Prozent der Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen an. Weitere 7,5 Prozent haben das 65. Lebensjahr bereits überschritten. 20 Prozent der Ärztinnen und Ärzte werden nach dieser Altersgruppeneinteilung daher in absehbarer Zukunft in Rente gehen. Und dann? Wer will den Weg in die Niederlassung wagen, wenn Bundespolitik und Kassen mit ihrer Gesetzgebung und ihren Verlautbarungen nicht die leiseste Wertschätzung gegenüber der ambulanten Versorgung zum Ausdruck bringen?“
Rudolf Henke bemängelte weiter, „sie suggerieren, dass planwirtschaftlich ins Auge gefasste 1000 Gesundheitskioske, neu erfundene Gesundheitsberufe wie die Community Health Nurse oder die Telemedizin diese Lücke schließen werden. Das aber ist eine Fehleinschätzung. Ich will gar nicht bestreiten, dass ergänzend verstandene Gesundheitskioske in soziostrukturell schwierigen Stadtteilen, subsidiär verstandene Pflegeangebote oder klug eingesetzte Möglichkeiten der Telemedizin Nutzen stiften und überforderten Kollegen die eine oder andere Entlastung bringen können.
Aber die Wahrheit ist auch: Ein Großteil der Menschen, vor allem Ältere und chronisch Erkrankte möchten auch zukünftig von den Ärztinnen und Ärzten ihres Vertrauens vor Ort behandelt werden. Und sie möchten ihre gesundheitlichen Probleme in einer Arzt-Patientenbeziehung schildern können, in der die ärztliche Schweigepflicht sie schützt. Und um es einmal drastisch zu sagen: ein Sterbender braucht keine Ärzte per Videoschalte oder einen Gesundheitskiosk, sondern eine tröstende Hand und palliativmedizinische Begleitung durch die Hausärztin oder den Hausarzt vor Ort, in Partnerschaft mit einer Pflege, die ergänzt statt zu ersetzen versucht.
Wenn wir uns eine solche Versorgung nicht mehr leisten wollen, dann sollte es die Politik auch offen aussprechen und den Bürgern die Wahl lassen. Politik und die Kassen sollten sich darüber klar sein, dass wir Lösungen für eine Gesellschaft des langen Lebens brauchen. Das geht nicht ohne qualifizierte Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte, die Pflege am Bett leisten und dafür anständig bezahlt werden, sowie qualifizierte Medizinische Fachangestellte, mit denen wir unsere chronisch Kranken und Älteren persönlich versorgen können. Ja, Videosprechstunden können einen ergänzenden Beitrag zur Versorgung leisten, sie sind aber kein Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel.