• "Das ärztliche Ethos darf an keinem Ort der Welt zur Debatte stehen"

    Ausblick 2023 | Teil 2
    16.Februar 2023
    Hamburg
    Im zweiten Teil des Interviews spricht Dr. Pedram Emami, 1. Vorsitzende des MB Hamburg, über den Ökonomisierungstrend im Gesundheitswesen, die Herausforderungen im ambulanten Sektor und über seine politische Patenschaft für Dr. Hamid Gareh Hassanloo.
    Dr. Pedram Emami, 1. Vorsitzender des MB Hamburg
    Dr. Pedram Emami, 1. Vorsitzender des MB Hamburg

    Die Bundesländer – auch Hamburg – kommen ihren gesetzlich verankerten Verpflichtungen zur Finanzierung der Investitionskosten seit Jahren nicht ausreichend nach. Suchen Sie dazu das Gespräch mit den politisch Verantwortlichen?

    Bundesweit ist das ein leidiges Thema, das in den letzten Jahren stark vernachlässigt wurde. Viele Krankenhäuser sehen ihre einzige Möglichkeit darin, die fehlenden Investitionen der Länder mit Mitteln, die aus der Patientenversorgung generiert werden, zu kompensieren. Und das hat den Ökonomisierungstrend noch weiter befeuert. Gleichzeitig ist es problematisch, wenn zunehmend private Investoren die Kliniklandschaft beherrschen. Hier stellt man sich zu Recht die Frage, warum sollen denn die Länder die Querfinanzierung eines privaten Modells vorantreiben. Doch wenn die Länder nicht mitfinanzieren, können moderne Krankenhäuser aus den DRG-Einnahmen nicht dauerhaft auf dem aktuellen Stand bleiben. Ökonomisierung, Finanzierung und Privatisierung sind drei Dinge, die in diesem System auf sehr unglückliche Weise miteinander verquickt sind. Gerade in Hamburg ist die Situation durch die Dominanz der privaten Krankenhausbetreiber sehr komplex. Wir müssen diese Diskussion nicht nur als Gewerkschaft mit der Stadt führen, sondern auch als Verband mit der Öffentlichkeit: Ist euch klar, wohin die Reise geht – und wollt ihr das so?

    In den kommenden Jahren werden die Babyboomer in Rente gehen. Was bedeutet das für die Gesundheitsversorgung in Hamburg?

    In Hamburg ist es so, dass wir seit Jahren eine zunehmende Zahl an berufstätigen Ärztinnen und Ärzten haben. Allerdings nimmt die Zahl der selbstständig tätigen Ärztinnen und Ärzte ebenso kontinuierlich ab. Scheinbar stellt die Selbstständigkeit für die jüngere Generation nicht mehr das ideale Zukunftsmodell dar. Als MB wollen wir für die Kolleginnen und Kollegen während ihrer Anstellung da sein, aber auch mögliche Perspektiven und Karrierewege aufzeigen – das schließt die angestellte oder selbstständige Tätigkeit im ambulanten Sektor mit ein. Daher ist es mir ein Anliegen, dass wir uns für diesen Übergang einsetzen und als Gesprächspartner für die Ausgestaltung des ambulanten Sektors noch stärker wahrgenommen werden.

    Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie haben sich in den letzten Wochen und Monaten für die Freiheit der Menschen im Iran stark gemacht und eine politische Patenschaft für Dr. Hamid Gareh Hassanloo übernommen. Wie geht es Ihnen angesichts der unfassbaren Gewalt in Ihrem Geburtsland – sind Sie noch zuversichtlich?

    Grundsätzlich muss man sagen, dass wir in einigen Ländern dieser Welt eine völlig neue Qualität im Umgang mit der Ärzteschaft erleben. Das zeigt auch die Verhaftung der Vorsitzenden der türkischen Ärztekammer Professor Fincanci in der Türkei, die auf Missstände im Umgang mit den kurdischen Minderheiten hingewiesen hat. Ärztinnen und Ärzte werden nicht nur daran gehindert, ihren Beruf auszuüben, sie kommen auch noch unter fadenscheinigen Gründen ins Gefängnis oder werden sogar zum Tode verurteilt, wenn sie sich um die Gesundheit anderer Menschen kümmern. Das ärztliche Ethos darf an keinem Ort der Welt zur Debatte stehen! Das müssen wir immer wieder in der Öffentlichkeit bekräftigen, besonders dann, wenn anderenorts Kolleginnen und Kollegen in Not und Bedrängnis geraten. Und wir müssen das Unrecht benennen – in Zukunft vielleicht auch noch mehr gemeinsam mit internationalen Gremien wie dem Weltärztebund. Solange wir jedoch nicht bereit sind, die wirtschaftlichen Interessen hinter Menschenrechtsfragen zu stellen, fürchte ich, dass die repressiven Kräfte in diesen Ländern weiter machen können, was sie wollen.  

    Im individuellen Fall von Dr. Gareh Hassanloo bin ich noch zuversichtlich, dass Recht und Wahrheit sich am Ende durchsetzen. Das höchste Gericht im Iran hat sich dafür ausgesprochen, dass der Fall „wegen Verfahrensfehler“ neu verhandelt wird – allerdings vor demselben Gericht mit demselben Richter. Sein Anwalt versucht nun, das anzufechten und eine andere Zuständigkeit zu erwirken.

    Vielen Dank für das Gespräch!

     

    Hier geht's zu Teil 1 des Interview