• „Dieses Ergebnis bedeutet mir persönlich sehr viel“

    Der Chefarzt im Interview: Dr. Wolfgang Hahn über seine Motive, anfänglichen Fehler, die Vorteile von Schlüchtern und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie

    Dr. Wolfgang Hahn ist seit 14 Jahren als Chefarzt in der Inneren der Schlüchterner Main-Kinzig-Kliniken tätig und hält es für sehr wichtig, „Weiterbildung einmal komplett neu zu denken“. Das Weiterbildungskonzept, dass er und seine Kolleginnen und Kollegen umsetzen, sei aus gemachten Erfahrungen, den Impulsen aus dem Kollegenkreis sowie Ideen und Konzepte andere Ausbilder heraus entstanden und dank des Blicks über Deutschland hinaus. Aber auch den „Fachlich empfohlenen Weiterbildungsplan“ der Bundesärztekammer sieht Dr. Hahn als hilfreiches Instrument für die Entwicklung. Und noch etwas ist sehr wichtig: „Ich hatte immer die Unterstützung aus dem Kreis meiner Oberärzte – dafür bin ich sehr dankbar!“

    Frage: Ihre Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung wurden im Vorfeld zur Weiterbildung in Ihrer Abteilung mittels einer anonymen Umfrage befragt. 90,16 Prozent der Fragen wurden positiv beantwortet. Ein sehr gutes Umfrageergebnis! Wie geht es Ihnen als Abteilungsleiter mit diesem Ergebnis?

    Dr. Wolfgang Hahn: Dieses Ergebnis bedeutet mir persönlich sehr viel. Es zeigt mir, dass sich die Arbeit von vielen Jahren gelohnt hat und dass meine Mitarbeiter zufrieden sind – was mir sehr wichtig ist.

    Was war Ihnen bei der Erstellung des Weiterbildungskonzepts für Ihre Abteilung besonders wichtig und warum?

     

    Dr. Wolfgang Hahn

    Hier leiten mich mehrere Motive: Zum einen beinhaltet der Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einer neuen Kollegin oder einem neuen Kollegen für mich auch immer ein Weiterbildungsversprechen. Ich stehe bei den Kollegen im Wort, ihnen eine gute und umfassende Weiterbildung anzubieten – solche Versprechen sollte man nicht brechen! Außerdem ist die Arbeit im Krankenhaus kräftezehrend und wird von vielen jungen Ärztinnen und Ärzten als unbefriedigend erlebt. Mich stimmt es traurig, wenn Sie, der Marburger Bund, in ihren Umfragen erheben, dass jeder vierte Kollege in Erwägung zieht, die ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben. Ich möchte in der eigenen Abteilung versuchen, den Spaß an der Arbeit zu erhalten und will mit den Fortbildungen auch einen Raum schaffen, in dem man erleben kann, dass man in der Medizin jeden Tag etwas Spannendes entdecken kann und wir einen schönen Beruf haben, der einem auch viel zurück geben kann.
    Ich freue mich immer, wenn ich dann miterlebe, wie junge Ärzte zunehmend schwierigere klinische Probleme lösen und hieraus eine Befriedigung für sich ziehen können. Zusätzlich kommt eine überdurchschnittlich gute und strukturierte Weiterbildung auch den Patienten zu Gute!

    Mittlerweile sind junge Medizinerinnen und Mediziner im Durchschnitt elf Jahre in der Weiterbildung, meist bedingt durch Teilzeitarbeit nach dem Elternwerden. Widmet sich Ihr Weiterbildungskonzept der Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

    Das ist eine Frage, die uns lange beschäftigt hat. Entwickelt man ein Curriculum, das sich über die gesamte Weiterbildungszeit von fünf Jahre erstreckt und es dann zu Pausenzeiten durch Mutterschutz bzw. Elternzeit kommt, drohen immer erhebliche Lücken, und die Kolleginnen verpassen ganz wesentliche Inhalte. Arbeiten Kolleginnen oder Kollegen in Teilzeit, verpassen sie möglicherweise viele Fortbildungsveranstaltungen, wenn diese zu fixen Zeiten angeboten werden. Die Herausforderungen wachsen nochmals, wenn man berücksichtigen möchte, dass in einer Abteilung immer Kollegen mit einem unterschiedlichen Weiterbildungsstand arbeiten. Dann langweilen sich die „Erfahrenen“ bei „Anfängerthemen“ und die Anfänger werden umgekehrt bei den Themen für die Fortgeschrittenen leicht abgehängt. Man möchte natürlich auch vermeiden, dass die Kollegen, die Nachtdienste machen, viel verpassen. Hier gute Lösungen zu finden, ist sicher sehr anspruchsvoll. Wir arbeiten derzeit in unserem Kurssystem – einer Hauptsäule unseres Konzeptes – mit unterschiedlichen Zykluslängen. Es gibt einen Kurszyklus mit „Anfängerthemen“, der sich jährlich wiederholt. Besonders wichtige Kurse finden dann in einem zweieinhalb-jährigen Zyklus statt – so hat jeder während der Weiterbildungszeit mindestens zweimal die Chance an dem entsprechenden Kurs teilzunehmen. Nur Kurse, die wir nicht als ganz so essentiell ansehen, laufen in einem Fünf-Jahres-Zyklus. Weiterhin bieten wir innerhalb eines Kurses die wichtigsten Lerninhalte immer zweimal an: Das erste Mal in kleinen Paketen im Anschluss an jede Frühbesprechung. Ist ein Kurskapitel abgeschlossen, gibt es dann immer noch einmal eine Wiederholung an einem Nachmittag.
    Ferner haben wir ein Mentorenkonzept eingeführt, dass auf individuellen Absprachen zu Beginn jeder Wochen basiert. Das ermöglicht relativ große Flexibilität. Das Ganze ist aufwendig – eine bessere Lösung haben wir hier aber noch nicht gefunden. Natürlich kann man die ganzen Weiterbildungsinhalte auch nachlesen – aber das zähle ich jetzt einmal nicht zur aktiven Wissensvermittlung.

    Sind Ihnen bei der Entwicklung Ihres Weiterbildungskonzepts auch Fehler unterlaufen?

    Ich habe viele Fehler bei der Entwicklung unseres Weiterbildungskonzeptes gemacht. Als Weiterbilder schüttelt man die eigene Sozialisation in der Medizin nicht so einfach ab. Natürlich habe ich auch mit inhaltlich überfrachtetem Frontalunterricht angefangen. Von der losen Aneinanderreihung von Einzelthemen bis zur systematischen Entwicklung von strukturierten Kurskonzepten hat es länger gedauert. Bis zur Erkenntnis, dass Wissensvermittlung nicht beim Faktentransfer aufhört und der Rest sich eben nicht „von alleine“ im klinischen Alltag ergibt, sondern dass die Umsetzung des Erlernten in klinischen Behandlungssituation ebenfalls eines systematischen Trainings bedarf, sind dann nochmals Jahre vergangen. Die Entwicklung von Weiterbildungskonzepten sehe ich heute als nie endenden und sehr dynamischen Prozess.


    Geringes Verbesserungspotential sehen die Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung in ihrer Abteilung bei der Einarbeitung in Dienste. Was wäre Ihrer Meinung nach bei der Einarbeitung zu verbessern?

    Das Ergebnis hat mich überrascht – hier habe ich wieder dazugelernt! Wir werden ein entsprechendes Angebot in unser Kurssystem integrieren. Vorher werden wir hierzu nochmals eine Abfrage durchführen um genau heraus zu finden, was wir konkret, ggfs. kurzfristig ändern können.
    Genauso wichtig wie eine gute Einarbeitung ist jedoch aus meiner Sicht, dass sich die Kolleginnen und Kollegen darauf verlassen können, dass ihnen der Hintergrunddienst in schwierigen Situationen zur Seite steht und sie nicht alleine gelassen werden.


    Schlüchtern bezeichnen viele als „weit ab vom Schuss“. Welche Vorteile haben junge Medizinerinnen und Mediziner, die sich für die Weiterbildung in Ihrem Haus entscheiden?

    Nun, da spielt unser Weiterbildungskonzept sicher eine wichtige Rolle: Wir halten unsere Weiterbildungsversprechen und haben mittlerweile sehr vielfältige Angebote, die eine umfassende und gute Weiterbildung sicherstellen. Wir vermitteln nicht nur theoretische Kenntnisse, sondern widmen uns intensiv dem individuellen Erwerb praktischer Fähigkeiten und Kompetenzen.
    Man hat es bei uns mit Ausbildern zu tun, die einfach Spaß daran haben, junge Ärzte zu fördern. Einer meiner Oberärzte hat privat eine Firma gegründet, mit der er Fortbildungen im Bereich der Notfallmedizin anbietet – einfach weil er sich diesem Thema Weiterbildung so intensiv verschrieben hat. Außerdem haben wir eine gute Stimmung im Team und gehen nett und sehr respektvoll miteinander um. Ich fahre jeden Morgen gerne zur Arbeit – und glaube, dass es den meisten meiner Kollegen genauso geht.

    Vier Phasen der Weiterbildung in der Medizinischen Klinik II – Innere Medizin der Main-Kinzig-Kliniken in Schlüchtern:
    • Phase 1 (Monate 1-5): Schrittweise Einarbeitung in die künftigen Aufgabenstellungen, Kennenlernen der anderen Funktionsabteilungen, Übernahme einer Station mit langsamer Steigerung der zu betreuenden Patientenanzahl, Erlangen der Dienstfähigkeit 
    • Phase 2 (Monate 7-36): Vermittlung der wichtigsten Grundlagenkenntnisse der Inneren Medizin, u.a. die wichtigsten Therapieverfahren, Patienten- und Angehörigengespräche, Entwicklung der Konfliktlösungskompetenz , Führen einer Station, Rotation in die Notaufnahme
    • Phase 3 (Monate 37 bis 48): u.a. fundierte intensivmed. Ausbildung, Weiterentwicklung Differenzialdiagnose, diagnostischer Fähigkeiten; Rotation in die Endoskopie
    • Phase 4 (Monate 49 bis 60): u.a. Vertiefung der Diagnostik mit Blick auf seltene Erkrankungen,  Behandlung bes. Patientengruppen, psychosomat. Erkrankungen, Qualitätssicherung, Gesundheitsökonomie, Weitergabe Wissen an nachfolgende ÄiW und  Vorbereitung auf die FA-Prüfung.