Die intersektorale Versorgung ist laut Gassen eine Dauerbaustelle: „Das war immer so und wird so bleiben. Die Sektorengrenze ist unverändert da.“ Die Grenze sie eine „semipermeable“ Membran. Öffnungen gebe es nur bei Kliniken. „So stellen wir uns eine intersektorale kollegiale Zusammenarbeit nicht vor.“
Die starke Trennung der Sektoren sei auch für Patienten nicht nachvollziehbar. Die „Versäulung“ des Systems erschwere kooperative, sektorenverbindende Konzepte. Es gebe aus vertragsärztlicher Sicht gute Konzepte, die aber mit unattraktiven Rahmenbedingungen und rechtlichen Hürden zu kämpfen haben. „Die Rahmenbedingungen des SGB 5 wachsen schneller als jeder Tumor.“
Gassen bilanzierte steigende Ausgaben in der GKV. „Die ambulanten Fallzahlen steigen, die stationären sinken. Komplexe Versorgung sei heute auch ambulant möglich, wenn der Rahmen es erlaubt.“ Er forderte die Entlastung der Kliniken „zur verbesserten Behandlung von Patienten, die tatsächlich stationärer Behandlung bedürfen“.
Die Sinnhaftigkeit des Umbaus der historisch gewachsenen Kliniklandschaft könne man hinterfragen. „Da wir die Flächen nicht mit Arztpraxen überziehen können, brauchen wir aber manche Kliniken doch. Die Zahl der Kliniken sei eindrucksvoll in Deutschland, deren Ausstattung jedoch längst nicht zeitgemäß.
Realität sei, dass immer mehr Kliniken angesichts der wirtschaftlichen Lage und des Personalmangels Leistungen einschränken müssten. Zu den größten Problemen in beiden Sektoren zählten der wachsende bürokratische Aufwand, der Kostendruck und Personalmangel sowie die sich daraus ergebende zusätzliche Arbeitsbelastung.
Zwar habe Deutschland die höchste Bettendichte in der EU, befand Gassen weiter, aber den drittletzten Platz bei der Relation Arzt/Patient. Gassen sprach von einer „perspektivischen Dysbalance“ in der Versorgung, die sich bei der Arbeitszufriedenheit höchst negativ auswirke. Mit der sinkenden Attraktivität wachse der Rückzug aus dem Job. Auch Gassen prognostiziert einen zukünftig deutlich steigenden ärztlichen Versorgungsbedarf. Soweit Gassens Analyse – soweit bisher größtenteils Konsens.
Wo liegen die Lösungen? Das Ambulantisierungspotenzial bezifferte Gassen in Deutschland mit 20 bis 25 Prozent. Auch dafür müsse die Digitalisierung vom Kopf auf die Füße gestellt werden. „Wir brauchen eine Sektor übergreifende Digitalisierung.“ Die bisherige Elektrifizierung von Verwaltungsakten bringe kaum Nutzen.
Ambulante Versorgung sei kosteneffizienter, ortsnäher, schneller und schonender sowie „patientenfreundlicher“, meint Gassen. Kliniken seien nur bedingt für wirtschaftliche ambulante Leistungserbringung geeignet. Ambulant müsse inhaltlich definiert werden, nicht geografisch.
Ambulantisierung dürfe nicht „gegen“ Kliniken stattfinden, sondern nur als gemeinsames Projekt. Gassens Fazit: „Wenn wir die ärztliche Weiterbildung und die Versorgung dauerhaft in Zukunft sicherstellen wollen, brauchen wir weitere enge Kooperationen.“
Dr. med. Hans-Albert Gehle brachte es zu Beginn der anschließenden Diskussion auf den Punkt: „Bei so viel Nähe kriegt man fast Angst. Ihr Vortrag bestätigt unsere vorbereiteten Anträge.“