Frau Sandmann, erleben Sie aufgrund Ihrer Situation Einschränkungen in Ihrem Berufsleben?
Ja. Die größten Einschränkungen bestehen in mangelnder Barrierefreiheit.
Gibt es aus Ihrer Sicht einen Zusammenhang zwischen Stellenabsagen und Ihrer Behinderung?
Ja. Meines Erachtens liegt das an der geringen Bereitschaft eine ausgeschriebene Stelle umzustrukturieren bzw. anpassen zu wollen. Wahrscheinlich spielt auch die fehlende Selbstverständlichkeit, sich für den bewerbenden ärztlichen Kollegen einzusetzen, eine Rolle. Es mangelt an Verständnis für die Situation, in der sich der Bewerber mit Beeinträchtigung befindet sowie an Rückhalt seitens des Arbeitgebers. Stattdessen überwiegen Vorbehalte. Darüber hinaus herrscht Unkenntnis über Fördermöglichkeiten bei Einstellung eines schwerbehinderten Bewerbers.
Es wird beispielsweise eine Stelle als Assistenzarzt ausgeschrieben, in der darauf hingewiesen wird, dass „Bewerber mit Schwerbehinderung bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt werden“. Aber was genau bedeutet eigentlich „Eignung“? Tätigkeitsanforderungen, die in der Stellenausschreibung genannt werden, sind auch für mich umsetzbar, also bin ich doch geeignet? Warum werde ich dann nicht „bevorzugt behandelt“? Inwiefern ist jener andere Bewerber geeigneter? Muss ich überqualifiziert sein für die jeweilige Stelle, weil ich als „behindert“ gelte?
Was denken Sie, warum Nachteile für behinderte Ärztinnen und Ärzte bestehen?
Ich glaube, das liegt am großen Leistungsdruck (besonders an großen Kliniken), Zeitdruck und dem daraus resultierendem wirtschaftlichen Druck, denn in einer bestimmten Zeit muss eine bestimmte Anzahl an Patienten bearbeitet werden, damit sich dies wirtschaftlich rentiert. Jeder, der diesen Anforderungen als Arzt nicht gerecht wird, ist nicht willkommen. Auch das Klischee des perfekten Arztes spielt eine große Rolle sowie das Versäumnis eines offenen Austauschs bzw. einer transparenten Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im ärztlichen Arbeitsumfeld.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen Kolleginnen und Kollegen (und während Ihres Studiums Kommilitonen und Kommilitoninnen) auf Augenhöhe begegnen?
Die Meisten. Freundlichkeit, Respekt, Hilfsbereitschaft, Wertschätzung und Rücksichtnahme waren im Kollegium stets anzutreffen. Im Studium konnte ich mich gut auf die Unterstützung einiger Kommilitonen verlassen, durch deren Hilfe ich die örtlichen nicht barrierefreien Gegebenheiten überwinden konnte. Dafür bin ich bis heute sehr dankbar.
Hat Ihr Weg als Ärztin im Rollstuhl Ihre Sichtweise auf die Patientenversorgung in unserem Gesundheitswesen beeinflusst?
Ja. Ich sehe Patienten nicht nur als Leute im Krankenhaus oder mit Krankheit, sondern auch als Menschen, die ebenso ihrem Alltag nachgehen und genauso wertvolle Individuen sind wie jeder andere. Ich versuche mich nicht nur auf das kurze Zeitintervall zu konzentrieren, in dem mir der Patient gegenübersitzt, sondern mich auch in seinen Alltag und die damit verbundenen Herausforderungen hineinzuversetzen. Ich bin bestrebt die Situation aus dem Blickwinkel des Patienten zu betrachten und nicht allein aus der Sicht eines Arztes.
Haben Sie Tipps für andere Medizinerinnen und Mediziner, die ähnliche Herausforderungen wie Sie erleben?
Es ist wichtig sich über die Thematik zur Teilhabe Schwerbehinderter am Arbeitsleben zu informieren und diese einzufordern. Des Weiteren ist es wichtig sich zuverlässige Unterstützung zu suchen und frühzeitig viele Kontakte zu knüpfen.
Was würden Sie sich für Ärztinnen und Ärzte mit Behinderung wünschen?
Respekt, Wertschätzung, Akzeptanz und bei Bedarf Unterstützung auch in den oberen Strukturen der Ärzteschaft. Ärztinnen und Ärzte mit Beeinträchtigung, welcher Art auch immer, sind als Selbstverständlichkeit in der modernen Medizin zu sehen.
Es ist wichtig endlich zu verstehen, dass eine Behinderung nicht als Stigma gesehen und ausschließlich negativ bewertet wird. Vielmehr sollte man den Arzt bzw. die Ärztin als gleichwertigen fachkompetenten Kollegen ansehen, der durch seine Behinderung über einzigartige Sichtweisen verfügt, die für Patienten einen besonderen und für Kollegen unwiederbringlichen Benefit darstellen.
Eine Behinderung ist kein Grund die ärztliche Tätigkeit nicht ausüben zu dürfen!