„Wir möchten nicht überdramatisieren, der Großteil unserer Patientinnen und Patienten ist friedlich und bringt großes Verständnis auch für stressige Situationen im Praxis- und Klinikalltag auf. Dennoch beobachten wir, dass in unseren Praxen zunehmend Medizinische Fachangestellte und Kolleginnen und Kollegen angeschrien und bedroht werden“, ergänzte Dr. med. Arndt Berson, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein und selbst Hausarzt in Kempen.
Laut einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in diesem Sommer, an der sich rund 7.600 Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten und Medizinische Fachangestellte beteiligten, gaben 85 Prozent der Befragten an, dass Beschimpfungen, Beleidigungen oder Bedrohungen durch Patienten in den vergangenen fünf Jahren zugenommen hätten. Fast jeder Zweite gab an, in den vergangenen fünf Jahren mindestens einmal von einem Patienten körperlich angegriffen oder bedroht worden zu sein.
„Das sind die nackten Zahlen“, sagte Berson. „Was es aber mit Menschen macht, die anderen helfen wollen und die dann beschimpft, beleidigt, bespuckt oder getreten werden, steht auf einem ganz anderen Blatt. Viele Betroffene berichten, dass ihnen der Beruf keinen Spaß mehr macht und dass es angesichts zunehmender Verrohung im Umgang miteinander noch schwieriger wird, gutes Personal zu halten oder zu gewinnen.“
Damit werde deutlich, dass die Gewalttäter nicht nur dem Praxis- und Klinikpersonal und den Rettungskräften schadeten, sondern dem Gesundheitssystem und damit der Gesellschaft insgesamt.
Gewalt gegen Gesundheitsberufe unter Strafe zu stellen, sei natürlich nicht die alleinige Lösung des Problems, sagte Berson. Viele Kliniken und Praxen hätten bereits reagiert und böten ihren Mitarbeitern Deeskalationstrainings an.
Krankenhäuser beschäftigten inzwischen Sicherheitsdienste. Kliniken und Praxen installierten gleichermaßen Notrufsysteme, räumten gefährliche Gegenstände wie Vasen, Scheren oder Brieföffner von den Empfangstresen.
„Doch auch diese Maßnahmen reichen nicht. Wir brauchen bessere Daten und verlässliche Meldeverfahren in Krankenhäusern und Praxen, um die Größe des Problems und mögliche Ursachen zu erfassen. Und darüber hinaus brauchen wir eine wirklich gut gemachte Sensibilisierungskampagne für die Bevölkerung“, forderte der Vizepräsident. „Wir müssen deutlich machen, dass Ärztinnen und Ärzte allen kranken Menschen nach Schwere ihrer Krankheit und Dringlichkeit der Behandlung helfen wollen. Die Beurteilung der Dringlichkeit ist aber eine medizinische Aufgabe und darf nicht durch die aggressiv vorgetragene Anspruchshaltung Einzelner auf Kosten dringender Notfälle ausgehebelt werden.“