Um es gleich vorwegzunehmen: Ich halte dieses Urteil für in höchstem Maße fragwürdig und wehre mich gegen die derart einengende Ausgestaltung eines fundamentalen Grundrechtes. Ich halte die Aushöhlung des Freiheitsrechtes für gefährlich – für jeden Bürger dieses Landes.
Ich kann die juristischen Begründungen des Ersten Senats nicht nachvollziehen, dies insbesondere, zumal zwei renommierte Richter des Ersten Senats meine fest verwurzelte Überzeugung vom Verständnis des im Artikel 9 unserer Verfassung zum Ausdruck kommenden Freiheitsrechtes mustergültig vertreten haben. Ihnen schulde ich meine Hochachtung. Leider hat ihre urdemokratische Überzeugung keine Mehrheit im Ersten Senat gefunden.
Meiner Überzeugung nach hätte das Bundesverfassungsgericht das Tarifeinheitsgesetz nicht nur für teilweise verfassungswidrig erklären, sondern zwingend komplett als verfassungswidrig und nichtig bezeichnen, bzw. kassieren müssen. Dazu fehlte dem Senat aber der Wille. Das Bundesverfassungsgericht hätte kleinere Gewerkschaften fürsorglich schützen, nicht große Branchengewerkschaften privilegieren müssen, denn für das Tarifeinheitsgesetz gibt es keine tatsächlichen Erfordernisse.
Die Bundesregierung hat in dieser Frage schlicht Behauptungen aufgestellt. Sie wurden nicht begründet und können auch gar nicht begründet werden, denn es gibt keine exorbitanten Tarifabschlüsse von Berufsgewerkschaften, keine nennenswerten Neugründungen von Spartengewerkschaften und alles andere als auffällig viele Streiktage hierzulande.
Das Tarifeinheitsgesetz beruht lediglich auf einer unheiligen Allianz, einem einseitigen politischen Kompromiss des DGB und Arbeitgeberverbandes (BDA), dessen Präsident Ingo Kramer in der mündlichen Verhandlung unverblümt bestätigte, es ginge doch letztlich nur darum, dass die lästigen Berufsgewerkschaften endlich domestiziert werden.
Immerhin haben die Richter eindeutig klargestellt, dass wir weiterhin für unsere Rechte streiken dürfen. Auch dafür, dass das Tarifeinheitsgesetz keine Anwendung findet, wenn Gewerkschaften und Arbeitgebern dies vertraglich miteinander vereinbaren (wie bei der GDL im Konflikt mit Bahn und EVG bis 2020).
Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Wesentlichen aber dafür entschieden, dass von einer Einheitsgewerkschaft träumende Arbeitgeberlager zu entlasten und die Bundesregierung weitgehend entpflichtet, ein neues und in Gänze verfassungsgemäßes Gesetz vorzulegen. Doch darf nicht übersehen werden, dass die bis Ende 2018 vom Gesetzgeber geforderte Nachbesserung kaum lösbar sein wird. Nicht wenige erwarten, dass die neue Bundesregierung das Gesetz fallen lassen wird. Wir werden es jedenfalls fordern.
Das Urteil des Ersten Senats zum Tarifeinheitsgesetz schafft nämlich auch keinen Rechtsfrieden, es lädt vielmehr die rechtliche Klärung unzähliger strittiger Probleme auf die arbeitsgerichtlichen Fachgerichte ab. Das mündet in eine Prozesslawine. Das Urteil schafft auch nicht die beabsichtigte Kooperation der Gewerkschaften in einem Betrieb, sondern es spaltet fortan vielmehr die Arbeitnehmer eines Betriebs.
Der Erste Senat heizt einen – von den betroffenen Gewerkschaften noch nicht mal gewollten – Häuserkampf an. Der Kampf um die Mehrheit in den Betrieben wird nicht nur den Betriebsfrieden bundesweit opfern, letztlich zerstört er den Flächentarifvertrag, das über Jahrzehnte bewährte Fundament unseres Wohlstandes. Auch das ist eine gefährliche Tendenz in der höchsten Rechtsprechung.
Sollte der Gesetzgeber oder die anderen Tarifparteien uns dazu zwingen, werden wir die notwendigen Mehrheiten herstellen. Ich kann Ihnen eines versichern: Wir haben immer dafür gestritten, als Ärztegewerkschaft die Arbeitsbedingungen in unseren Krankenhäusern zu verbessern. Das werden wir jetzt und auch in Zukunft nicht aufgeben. Wir werden gemeinsam weiter als eigenständige Gewerkschaft für Ärztinnen und Ärzte für dieses Ziel kämpfen, wenn man uns zwingt, auch in jedem einzelnen Betrieb.