• Neue Zugangswege alleine reichen nicht aus

    Aktueller Kommentar des ersten Vorsitzenden Dr. Hans-Albert Gehle
    01.Oktober 2017
    Köln
    Wir bemängeln seit Jahren, dass die Zahl der Studienplätze deutlich erhöht werden muss, da wir den vorhandenen Bedarf an Ärztinnen und Ärzten längst nicht mit Absolventen heimischer Studienfakultäten füllen können. Dass wir 2.000 offene Arztstellen in NRW/RLP gar nicht und viele nur noch mit zugewanderten Ärzten besetzen können, ist im Grunde beschämend. Wir müssen wieder die deutlich höheren Zahlen an Studienplätzen der 80er Jahre erreichen. Damals leisteten wir uns alleine in NRW 1.200 mehr als heute. Ein weiterer Aspekt geht in den Debatten etwas unter: Wir haben über 40.000 Bewerber für rund 9.000 Studienplätze Humanmedizin. Wie lässt es sich da sicherstellen, dass auch die geeignetsten Bewerber einen der viel zu knappen Studienplätze erhalten. Diese Frage beschäftigt nun das höchste deutsche Gericht. In dieser Woche verhandelt der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes über den Weg der Zulassung zum Medizinstudium.

    In der mündlichen Verhanbdlung geht es um die Frage, ob die für die Vergabe von Medizinstudienplätzen vorgesehenen Regelungen im Hochschulrahmengesetz und in den Vorschriften der Länder mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

    Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind zwei Richtervorlagen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen. Sie sehen den Verzicht auf sog. Landesquoten im Auswahlverfahren der Hochschulen als Verletzung der Berufsfreiheit und als einen Verstoß bei der Vergabe der Studienplätze.

    Zudem bemängelt das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, dass die Wartezeitquote gleichheitswidrig sei, denn langjährig Wartende können von später hinzukommenden sog. Gelegenheitsbewerbern „überholt“ werden. Zu guter Letzt beanstanden die Gelsenkirchener Richter die Überbetonung der Abiturnote. Dadurch habe eine sehr große Gruppe potenzieller Bewerber – trotz weiterer Auswahlkriterien – faktisch von vornherein keinerlei Zulassungschancen.

    Unabhängig von diesen juristischen Fragestellungen sind wir als Marburger Bund seit langem der Auffassung, dass der Zugang zum Studium der Humanmedizin ganz neu geregelt werden muss. Ein System, das nur auf den Abiturnoten basiert, ist nicht mehr zeitgemäß. Andere Kriterien müssen im Auswahlverfahren eine stärkere Berücksichtigung finden. Ich meine ferner, Wartesemester gehören abgeschafft.

    Wir wissen aus unserem klinischen Alltag doch nur zu gut, zum Arztsein braucht es weitaus mehr als nur gute Noten, nämlich u.a. auch menschliche, sprich geeignete soziale Kompetenzen. Vorteilhaft bei der Vergabe der Studienplätze wäre zum Beispiel, was bisher nicht berücksichtigt wird: Wenn diejenigen Bewerber Studienplätze erhalten, die ein womöglich soziales Engagement haben oder sogar einschlägige Berufserfahrung besitzen. So ließe sich sicherstellen, dass nicht nur die Besten eines Abiturjahrgangs, sondern vielmehr die geeignetsten Bewerber einen Studienplatz finden. Damit nicht genug: Wir meinen, die Universitäten sollten bundeseinheitliche, transparente Auswahlverfahren durchführen.

    Anhand des Fragebogens des Gerichtes und der Tagesordnung der Anhörung lässt sich erkennen, dass der Erste Senat die gesamte Problematik des Zulassungsverfahrens grundsätzlich erörtern und am Ende auch grundsätzlich neu entscheiden wird. Nach der Anhörung wird noch für dieses Jahr ein Urteil erwartet, da der Berichterstatter im Senats Ende des Jahres in Pension geht.

    Klar ist, auch mit einer grundlegenden Änderung des Zugangswegs zum Studienplatz alleine ist das gravierende und sich verstärkende Problem des Ärztemangels nicht zu lösen. Wer auch noch glaubt, zukünftig mit noch weniger Ärzten die Versorgung sicherstellen zu können, der muss dem Patienten auch die dadurch drohenden Konsequenzen vorstellen. Eine womöglich reduzierte medizinische Versorgung durch Nicht-Ärzte – wie sie in anderen Ländern bereits gang und gebe ist – möchte ich jedenfalls nicht. Dies ist der Grund, warum wir den Ausbau der Studienplatzzahl fordern.