Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kostet Klinik 93.000 €
Der Fall
Eine demente Patientin wurde im Januar 2011 aufgrund eines Schwächeanfalls stationär in ein Krankenhaus eingewiesen. Am Aufnahmetag gab sie sich unruhig, aggressiv, verwirrt und desorientiert. Sie zeigte Weglauftendenzen und wollte die Station verlassen. Mit verabreichten Neuroleptika konnte die Patientin nicht ruhig gestellt werden. Um sie am Weglaufen zu hindern, verstellten Krankenschwestern u. a. die Tür des Krankenzimmers der Patientin von außen mit einem Krankenbett.
Am späten Abend des dritten Behandlungstages kletterte die Patientin unbemerkt aus dem Zimmerfenster und stürzte auf ein ca. 5 Meter tiefer liegendes Vordach. Dabei erlitt sie erhebliche Verletzungen, u. a. Rippenfrakturen, eine Lendenwirbel-, eine Oberschenkel- und eine Beckenringfraktur. Die Verletzungen wurden in einer anderen Klinik operativ versorgt. Von dort aus kam die Patientin in ein Pflegeheim, in dem sie später verstarb. Für die unfallbedingte Heilbehandlung und ein Krankenhaustagegeld wandte die Krankenversicherung der Patientin rund 93.000 € auf, die sie von dem Krankenhaus unter Hinweis auf – ihres Erachtens- unzureichende Sicherungsmaßnahmen als Schadenersatz gerichtlich geltend machte.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts hat die Klinik gegen ihre vertraglichen Fürsorgepflichten und gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie sei verpflichtet gewesen, die Patientin im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren, soweit ihr körperlicher und geistiger Zustand dies erfordert habe, vor Schäden und Gefahren zu schützen. Dieser Verpflichtung sei das Krankenhaus nicht gerecht geworden. Ausweislich der Dokumentation sei das Verhalten der Patientin auch am Unfalltag unberechenbar gewesen, u. a. habe sie auch an diesem Tag aus dem Zimmer flüchten wollen.
Der angehörte medizinische Sachverständige habe ebenfalls bestätigt, dass Patienten mit einem derartigen Krankheitsbild praktisch alles machen würden und in ihrem Verhalten unberechenbar seien. Bei dieser Ausgangslage habe das Personal auch einen Fluchtversuch durch das Fenster des Krankenzimmers in Betracht ziehen müssen. Dieses Fenster sei für die Patientin über einen davor stehenden Tisch und einen Stuhl zu erreichen und über einen nicht verschließbaren Fenstergriff zu öffnen gewesen. Die Klinik hätte das Öffnen dieses Fensters durch die Patientin verhindern oder diese in ein ebenerdig gelegenes Krankenzimmer verlegen müssen. Die notwendigen Vorkehrungen gegen ein Hinaussteigen der Patientin aus dem Fenster des Krankenzimmers seien der Klinik möglich und zumutbar gewesen. Das pflichtwidrige Unterlassen dieser Maßnahmen begründeten ihre Haftung (OLG Hamm, Urteil vom 17.01.2017, Az.: 26 U 30/16).
Fazit
Mit der stationären Aufnahme eines Patienten übernimmt die Klinik eine Obhuts- und Schutzpflicht, um den Patienten vor Gefahren und Schäden zu schützen. Insbesondere gegenüber demenzkranken Patienten bestehen darüber hinaus besondere Fürsorgeplichten, die vom Zustand des jeweiligen Patienten abhängen. Deshalb sollten seitens der Klinik in solchen Fällen besondere Vorkehrungen getroffen werden, um Schäden und Verletzungen, aber auch ein Weglaufen der Patienten, abzuwenden. Besteht bei einem Patienten eine Hin- und Weglauftendenz, kann eine Sicherung der Fenster geboten sein. Das Klinikpersonal ist dazu angehalten, ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob Patienten eine Gefahr für sich selbst darstellen können. Ist das der Fall, so gilt es, die entsprechenden zumutbaren Sicherungsmaßnahmen zu treffen.