• Neulandmethode erfordert besondere Aufklärung

    Aufklärungspflichten
    22.März 2018
    Bedient sich ein Arzt einer neuen Behandlungsmethode, so muss er den Patienten explizit darüber aufklären, dass er deren Risiken nicht abschätzen kann. Bei einem neuen Operationsverfahren ist der Patient ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass unbekannte Komplikationen auftreten können. Erfolgt dieser Hinweis nicht, ist die vorgenommene Operation aufgrund unwirksamer Einwilligung des Patienten rechtswidrig und kann Schadenersatzansprüche begründen. Das geht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm hervor.

    Patient muss auf etwaige unbekannte Risiken hingewiesen werden

    Der Fall

    Eine Patientin litt unter einer Belastungsharninkontinenz und begab sich deshalb im April 2008 in ein Krankenhaus. Nach Diagnosestellung wurde ihr das operative Einbringen eines Netzes vorgeschlagen. Hierbei handelte es sich um eine im Jahr 2008 nicht allgemein eingeführte, sogenannte Neulandmethode. Nach einem weiteren ärztlichen Aufklärungsgespräch stimmte die Patientin dem neuen Operationsverfahren zu. Der operative Eingriff erfolgte noch im April 2008. In der Folgezeit litt die Patientin an einer Dyspareunie und einer restlichen Harninkontinenz. Bis zum April 2009 unterzog sie sich fünf weiteren Operationen, bei denen weite Teile des Netzgewebes entfernt wurden. Danach verblieben persistierende Schmerzempfindungen. Die Patientin forderte von der Klinik Schadenersatz, insbesondere ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 €, weil sie unzureichend über alternative Behandlungsmethoden und Risiken der Neulandmethode aufgeklärt worden sei.

    Die Entscheidung

    Das Gericht gab der Patientin Recht und verurteilte die Klinik zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 35.000 €. Der durchgeführte operative Eingriff sei nicht von einer wirksamen Einwilligung der Patientin gedeckt gewesen, weil diese zuvor fehlerhaft über die unzureichende Erfahrung mit den möglichen Folgen des neuen Operationsverfahrens aufgeklärt worden sei.

    Zwar sei die Patientin neben der Neulandmethode auch über ein standardisiertes, klassisches Operationsverfahren aufgeklärt worden. Ihre Aufklärung über die Neulandmethode sei allerdings unzureichend gewesen, weil die Patientin nicht in hinreichender Weise auf die seinerzeit noch nicht abschließend bekannten Risiken der neuen Methode hingewiesen worden sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe das neue Verfahren 2008 zwar als erfolgversprechender als die bisherige, klassische Methode gegolten. Allerdings habe es 2008 in Deutschland noch keine belastbaren Informationen über konkrete Risiken der angewandten neuen Methode gegeben. Die klinische Erprobungsphase des seit 2005 zunächst in den USA eingesetzten Verfahrens sei noch nicht abgeschlossen gewesen. So sei auch noch nicht bekannt gewesen, dass das Einsetzen eines Netzes im Beckenbodenbereich massive gesundheitliche Probleme nach sich ziehen könne. Bei dieser Sachlage habe die Patientin explizit darauf hingewiesen werden müssen, dass es sich um ein neues, noch nicht abschließend beurteilbares Verfahren handele. Ihr hätte ausdrücklich verdeutlicht werden müssen, dass auch unbekannte Komplikationen auftreten könnten. Diesen gesteigerten Anforderungen habe die Aufklärung nicht genügt (OLG Hamm, Urteil vom 23.02.2018, Az.: 26 U 76/17).

    Fazit

    Laut der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist die Anwendung neuer Verfahren für den medizinischen Fortschritt zwar unerlässlich. Am Patienten dürfen sie allerdings nur dann angewendet werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt. Der Patient muss in die Lage versetzt werden, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken operieren lassen möchte oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.

    Praxistipp

    Beabsichtigt ein Arzt die Anwendung einer neuen Behandlungsmethode, muss er dem Patienten (auch schriftlich im Aufklärungsformular) den folgen Hinweis erteilen:

    „Bei der ____ -Behandlung handelt es sich um ein neues Verfahren mit noch nicht abschließender Beurteilung. Es können auch derzeit noch unbekannte Komplikationen auftreten.“

    Für den Fall, dass das Aufklärungsformular insofern noch nicht aktuell ist, sollte der Arzt den Hinweis im Bereich der handschriftlichen Notizen vermerken.