Nach Lesart der Dienstgeberseite sollen die Gehälter von 600.000 Beschäftigten in Einrichtungen und Diensten der Caritas bis zum März 2020 durchschnittlich um 7,5 Prozent steigen. In den nächsten Monaten werden jedoch zunächst die sechs Regionalkommissionen über die Umsetzung der Bundes-Beschlüsse verhandeln. Die auf Bundesebene gefundenen sog. Mittelwerte müssen hier bestätigt werden.
Erfahrungsgemäß erfolgen aber auf regionaler Ebene zeitliche Abschläge oder sogar nur teilweise Übernahmen der Mittelwerte. Die Regionalkommissionen können einen Spielraum von 15 Prozent nach oben und nach unten nutzen, um die neuen Gehaltswerte festzulegen. Der Dritte Weg wird so erfahrungsgemäß von den Dienstgebern genutzt, um Personalkosten einzusparen. Nicht nur bei uns Ärztinnen und Ärzten.
Zur Anpassung der Mittelwerte für die ärztlichen Vergütungstabellen hat die Arbeitsrechtliche Kommission keine Beschlüsse gefasst. Fakt ist, bisher hat nicht einmal der Tarifabschluss des Marburger Bundes vom 16. Oktober 2016 Eingang in die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Deutschen Caritas gefunden. Die letzte Anpassung für Ärztinnen und Ärzte in den betreffenden Kliniken erfolgte zum 1. Dezember 2015. Warum?
Die große Mehrheit der nichtärztlichen Mitglieder der Dienstnehmer in der AVR-Bundeskommission haben sich bisher geweigert, entsprechende Anträge zugunsten der unter die AVR fallenden Ärztinnen und Ärzte zu stellen. Derweil rühmt sich der Sprecher der Dienstgeber nach der Einigung, „wir haben erreicht, dass die Personalkosten nicht rückwirkend steigen“. Dies verdeutlich das Ansinnen der Dienstgeber.
Angesichts der unfairen Sparpolitik der Dienstgeber in der Deutschen Caritas bekräftigt mich die aktuelle Entwicklung in meiner Überzeugung, dass wir als Ärztegewerkschaft auch in kirchlichen Krankenhäusern ein klares und direktes Mitspracherecht mitsamt einem Streikrecht benötigen. Die wirtschaftliche Lage der konfessionellen Kliniken ist ja grundsätzlich nicht schlechter als diejenige der kommunalen Krankenhäuser.
Wir haben auf unserer Hauptversammlung im Vorjahr an unsere Beschlüsse aus den vergangenen Jahren erinnert: Auch kirchliche Arbeitgeber müssen das weltliche Arbeitsrecht anerkennen und sich ohne Einschränkung den für alle übrigen Arbeitgeber in Deutschland geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen stellen, das fordern wir mit guten Gründen beständig.
Das bedeutet insbesondere, dass auch im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts eine konfliktive Auseinandersetzung der Arbeitnehmerseite mit den Arbeitgebern als Ultima Ratio möglich sein muss. Nur auf der Grundlage solcher Rahmenbedingungen gefundenes kollektives Arbeitsrecht ist meiner Ansicht nach in der Lage, einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu erreichen.
Die aktuelle Entwicklung zeigt aber erneut in eindrucksvoll ernüchternder Weise, dass die kirchenrechtlichen Vorschriften in Caritas und auch der Diakonie nicht in der Lage sind, zeitgemäße und sachgerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes hat sich in der Vergangenheit oft wegen der erfolgreichen Blockadehaltung der Dienstgeberseite und des mangelnden Willens der überwiegend nicht-ärztlichen Dienstnehmer nicht auf eine zeit- und wirkungsgleiche Übernahme der Rahmenvorgaben aus den Tarifeinigungen mit der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände einigen können.
All dies hätte bei einem wenigstens annähernden Verhandlungsgleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verhindert werden können. Wer aber der Arbeitnehmerseite die kollektive Durchsetzung ihrer Interessen – auch durch einen Arbeitskampf – nimmt, degradiert sie zum kollektivem Betteln.
Gibt es Anlass, derzeit auf eine echte Reform bei der Caritas zu hoffen? Die neue Vereinbarung der Dienstgeber und Dienstnehmer in der Bundeskommission, der zur Folge die nächste allgemeine Tarifrunde erst nach Abschluss einer dringend notwendigen Reform der AVR stattfinden wird, lässt nicht erahnen, wohin die Reise wirklich gehen soll? Leider könnte es sogar so verstanden werden, dass alle Beschäftigten bei der Caritas somit auf unbestimmte Zeit von der allgemeinen Gehaltsentwicklung abgekoppelt werden, weil eine echte Reform gar nicht gewollt ist oder eine Einigung nicht erzielt werden kann. Wie lange wird der Reformprozess denn dauern?
Klar ist, wenn sich im Dritten Weg nichts grundlegend ändern sollte, hat auch das Caritas-Tarifwerk keine langfristige Zukunft, denn in einer Zeit des Ärztemangels finden Ärztinnen und Ärzte an konfessionellen Kliniken schnell gute Alternativen.