„Wir haben angesichts der unhaltbaren Zustände im vorigen Jahr auf der Hauptversammlung des Marburger Bundes eine angemessene, soweit wie möglich tarifvertraglich verankerte Aufwandsentschädigung für Studentinnen und Studenten im Praktischen Jahr gefordert. Diese sollte monatlich mindestens 1.500 Euro betragen“, erinnerte Dr. med. Hans-Albert Gehle bei der Eröffnung des ersten PJ-Symposium „Faire Vergütung im Praktischen Jahr“ in Köln.
„Unsere jüngste PJ-Umfrage im Marburger Bundes Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz ergab, dass über 90 Prozent mehr als acht Stunden im Krankenhaus tätig sind. Es ist erschreckend, dass angehende Ärztinnen und Ärzte bei ihrem Einstieg in das Krankenhaus so wenig Wertschätzung erhalten. PJ´ler dürfen nicht als billige Hilfskräfte ausgebeutet werden. In einer Zeit des Ärztemangels wird ärztlicher Nachwuchs dringend benötigt. In einem ersten Schritt fordern wir eine PJ-Vergütung, die sich am BAFÖG-Höchstsatz orientiert. Über 3.200 Studenten der Humanmedizin aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben im vorigen Wintersemester eine entsprechende Petition unterschrieben.
„Neben der gebotenen fairen Vergütung sollte vor allem auch eine patientennahe, strukturierte Ausbildung erhalten. Derzeit ist die Realität davon aber noch sehr weit entfernt“, mahnte Thorsten Hornung, Mitglied im Vorstand des Marburger Bundes NRW/RLP. Er fügte hinzu: „Wir brauchen dringend eine PJ-Ausbildungsoffensive. PJ´ler benötigen endlich Zeit zum Lernen, die sie betreuende Ärzte benötigen Zeit zum Lehren. Praktisches Jahr muss praktische Ausbildung heißen, nicht nur Hakenhalten und Blutabnehmen.“ Seitens der Teilnehmer wurde beklagt, dass es im Praktischen Jahr vor allem an Lehrangeboten mangelt. „Man muss regelrecht kämpfen, um sie zu erhalten." An einzelnen Beispielen wurden gravierende Mängel in dem Praktischen Jahr beleuchtet.
Blicken wir auf vergleichbare Vergütungen für andere angehende Akademiker: „Während Rechtsreferendare bis zu 1.300 Euro im Monat erhalten und Lehramtsanwärter bei gut 1.450 Euro liegen, unterschreiten viele akademische Lehrkrankenhäuser sogar mit ihrer PJ´-Vergütung das Existenzminimum eines Erwachsenen. Das hat die Bunderegierung auf 414 Euro festgelegt“, bilanziert Hans-Albert Gehle weiter.
Unsere PJ-Umfrage ergab im Einzelnen, dass 87 Prozent der gut 300 befragten PJ´ler aus NRW und RLP monatlich weniger als 500 Euro Aufwandsentschädigung erhalten. 74 Prozent der befragten PJ´ler erhalten weniger als 400 Euro im Monat, 22 Prozent weniger als 300 Euro, zehn Prozent weniger als 200 Euro und drei Prozent gar kein Geld.“
„Da jeder vierte PJ´ler zudem noch seine tägliche Verpflegung verrechnet bekommt, schmälert sich das monatlich zur Verfügung stehende Salär dieser PJ´ler sogar noch weiter“, erläuterte Gehle die Umfrageergebnisse. „Kostenfreie Unterkünfte und Fahrtkostenzuschüsse der Kliniken erhalten lediglich 13 Prozent der befragten PJ´ler in NRW und RLP.“
Betrachten wir einen Einzelfall: Die 28-jährige Bela Basilaia lebt seit fünf Jahren in Deutschland. Sie hat ihr erstes Medizinstudium in der Tiflis, der Hauptstadt von Georgien absolviert. Ihr 2. Medizinstudium absolvierte sie 2018 an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Bela Basilaia legte ein ausführlichen Aufgabenplan vor – ein beeindruckendes Tätigkeitsspektrum: Erhebung der Anamnese, Diskussion der erhobenen Befunde, Erstellung des Diagnose- und Therapieplans, Assistenz bei Operationen, Vorstellung der Patienten bei Ober- und Chefarztvisiten, Besprechung pflegerischer und sozialfürsorglicher Maßnahmen, Kompetenzerwerb in der ärztlichen Gesprächsführung mit Patienten und seinen Angehörigen, Erstellen und Unterzeichnen der Arztbriefe.
„Unter dem Strich bin ich nur vier oder fünf Tage im Monat weniger als acht Stunden am Tag bin der Uniklinik“, erklärt Bela Basilaia. „Zeit für einen Nebenjob bleibt mir so nicht. Wir dürfen ohnehin zusätzlich nur maximal acht Stunden pro Woche als studentische Hilfskraft arbeiten. Meine Aufgaben sind dann, die Beantwortung von Patientenanfragen, Hilfe bei deren Körperpflege, Mobilisation, Verpflegung, Messung der Vitalparameter, Sitzwachen und Botengänge.“ Stundenlohn: 13,46 Euro. Ihre monatliche PJ-Vergütung beträgt 400 Euro. Wohnen, Essen, Krankenversicherung, Semesterticket - davon kann ich kaum leben. Mir bleibt nicht ein Euro zur freien Verfügung.“
„Nebenjobs gefährden die unverzichtbaren Ruhezeiten“, betonte Pauline Lieder, Bundeskoordinatorin für Medizinische Ausbildung im bvmd. „Gerade in einer Zeit, in der meist das Kindergeld wegfällt und auch die Familienversicherung endet, benötigen PJ´ler eine finanzielle Absicherung.“ Der BVMD fordert den BAFÖG-Höchstsatz.
Die derzeit unterschiedliche Höhe der deutlich tiefer liegenden Aufwandsentschädigungen im Praktischen Jahr könne bedenkliche Mobilitätstendenzen verursachen. „Die Lehrqualität muss das vorrangige Auswahlkriterium für eine PJ-Stelle sein, nicht die womöglich bessere Vergütung.“
„Weniger als die Hälfte der PJ´ler bewerteten ihre Lehre im ersten Quartal als gut oder sehr gut oder hatten einen persönlichen Ansprechpartner/Mentor. Es seien klare, transparente Regelungen für die Rechte und Pflichten eines PJ´lers erforderlich.
Auch ein Vergleich mit Medizinstudenten in Frankreich überraschte: „Dort müssen wir sofort die Arbeit machen, für die wir gar nicht ausgebildet wurden", berichtet Chloé Ponvelin aus Nancy. „Viel Praxis, in den Notaufnahmen, den Intensivstationen und der Chirurgie, aber ohne ärztliche Betreuung“, beklagte sie.
Die Studenten müssen 36 Monate praktische Tätigkeiten im Krankenhaus in Teilzeit absolvieren. Die restliche Zeit sei für das Lernen reserviert. Sie erhalten lediglich 128 Euro anfänglich, im zweiten Jahr 248 und zuletzt 277 Euro. Eine Nachtschicht wird mitunter nicht bezahlt, aber auch mit 52 Euro pauschal vergütet. „Ist das genug zum Leben? Nein! Und leider bleibt auch keine Zeit, um noch einen anderen Job zu haben. Medizinstudenten werden auch in Frankreich oft nur als billige Arbeitskräfte betrachtet.“