Hoher Druck, zu wenig Freizeit, zu wenig Schlaf – das ist für die meisten Ärztinnen und Ärzte in deutschen Krankenhäusern eine alltägliche Erfahrung. Der Marburger Bund macht dagegen mobil. In den anstehenden Tarifverhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) setzt die Ärztegewerkschaft auf mehr Planungssicherheit, klare Höchstgrenzen und eine manipulationsfreie Erfassung der Arbeitszeit der rund 55.000 Ärztinnen und Ärzte in den bundesweit mehr als 500 kommunalen Kliniken.
„Wir treten an für einen neuen Umgang der Krankenhäuser mit der Arbeitszeit ihrer Ärztinnen und Ärzte. Heute verstoßen etliche Krankenhäuser landauf landab gegen die Regeln der Arbeitskunde und sorgen in einem gewaltigen Umfang für mehr Fluktuation in den ärztlichen Belegschaften, als der dort verlangten Teamleistung guttut. Unsere Forderungen in der kommenden Tarifrunde sind deshalb darauf gerichtet, die Gesamtarbeitslast zu reduzieren und Überlastungen der Ärzte entgegenzuwirken“, erklärte Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des Marburger Bundes, heute bei der Präsentation der Forderungen des Marburger Bundes für die Tarifrunde mit der VKA.
„Praktisch alle Krankenhausärzte erbringen Arbeitsleistungen außerhalb der typischen Tagesarbeitszeiten. Häufige Nachtarbeit aber kann die Schlafqualität verschlechtern und auch auf diesem Weg langfristig Burnout und Depressionen begünstigen. Gerade in der gesundheitlichen Versorgung können Fehler infolge Müdigkeit und Erschöpfung schwerwiegende Folgen haben. Die heutige Arbeitszeitgestaltung von Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus nimmt aber auf arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse viel zu wenig Bezug. Stattdessen sind kurzfristige Dienstverpflichtungen an eigentlich freien Tagen eher die Regel als die Ausnahme“, sagte Henke.
Grundbedingung für jede gezielte Verbesserung ist eine exakte Erfassung der Arbeitszeit. „Wir brauchen eine objektive, automatisierte und manipulationsfreie Arbeitszeiterfassung in den Krankenhäusern. Ohne solche vom Marburger Bund lizensierte Systeme werden wir die Anordnung von Bereitschaftsdienst nicht mehr erlauben“, bekräftigte Dr. Andreas Botzlar, 2. Vorsitzender des Marburger Bundes. Die derzeitige, völlig unsystematische Praxis der Arbeitszeitdokumentation sei geprägt von pauschalen und nachträglichen Kappungen der geleisteten Arbeitszeit. In den Geschäftsführungen vieler Krankenhäuser fehle es weitgehend an Unrechtsbewusstsein. Die erfassten Arbeitszeiten würden im Nachgang ‚passend gemacht‘, Überschreitungen von Höchstgrenzen blieben unberücksichtigt. Die Vorgaben des Tarifvertrages müssten deshalb geschärft werden. Botzlar: „Die gesamte Anwesenheitszeit der Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus ist als Arbeitszeit zu werten.“
Zusätzlich müsse die Anordnung von Bereitschaftsdienst an die Bedingung geknüpft werden, innerhalb eines Kalendermonates zwei Wochenenden in der Zeit von freitags 18:00 Uhr bis montags 07:00 Uhr von jedweder Arbeitsleistung (regelmäßige Arbeitszeit, Rufbereitschaft, Bereitschaftsdienst) frei zu halten. „Auch die Verlässlichkeit der Dienstplangestaltung wollen wir zur Voraussetzung machen, dass überhaupt Bereitschaftsdienst angeordnet werden kann. Die endgültige Dienstplanung muss sechs Wochen vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraumes bekannt gegeben werden“, forderte Botzlar.
Notwendig seien auch klare Höchstgrenzen. „Bereitschaftsdienste sind notwendig, um den 24-Stunden-Betrieb der Krankenhäuser aufrechtzuerhalten. Das steht für uns außer Frage. Wir sind aber überzeugt, dass insbesondere Nachtdienste einer Begrenzung bedürfen, um Arbeitszeitexzesse zu verhindern, Ärztinnen und Ärzte vor psychischer und physischer Überforderung zu schützen und damit auch die Patientensicherheit besser zu gewährleisten“, erläuterte Botzlar. Im Anschluss an einen Bereitschaftsdienst dürfe es auch keine regelmäßige Arbeitszeit mehr geben.
Es verstehe sich von selbst, dass auch die angestellten Ärztinnen und Ärzte in den kommunalen Krankenhäusern an der allgemeinen Tarifentwicklung teilhaben müssten. Deshalb fordere der Marburger Bund in dieser Tarifrunde eine lineare Erhöhung der Ärztegehälter um fünf Prozent bei einer einjährigen Laufzeit.
„In Anbetracht der Situation in den Krankenhäusern hat der Marburger Bund klare Erwartungen an die kommunalen Arbeitgeber“, betonte Rudolf Henke. „Klar ist aber auch, dass wir die notwendigen Veränderungen gemeinsam mit den Arbeitgebern angehen wollen. Die VKA sollte den Umstand, dass wir den Tarifvertrag einstweilen nicht vollständig gekündigt haben, auch als deutliches Signal in diese Richtung verstehen.“
Es gelte auch, die unterbrochenen Verhandlungen mit der VKA über einen Tarifvertrag für die Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst fortzusetzen. „Wir wollen diesen tariflosen Zustand endlich überwinden und damit die Tarifbindung in einem wichtigen Bereich der ärztlichen Versorgung stärken“, sagte Henke.
Die Auftaktrunde der Tarifverhandlungen zwischen Marburger Bund und VKA wird am 21. Januar 2019 in Berlin stattfinden.