• Das Wichtigste zum Tarifabschluss für Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Kliniken

    In der 5. Verhandlungsrunde gelang der Durchbruch: Marburger Bund und VKA einigten sich am 22. Mai 2019 auf einen Tarifabschluss für die Ärztinnen und Ärzte in den kommunalen Krankenhäusern. Auf ihrer Sitzung am 25. Mai billigte die Große Tarifkommission des Marburger Bundes die Tarifeinigung.

    Das Forderungsportfolio des Marburger Bundes war so komplex wie nie zuvor. Trotz dieser herausfordernden Verhandlungssituation ist es gelungen, in allen Punkten konkrete, teilweise sogar wegweisende Verbesserungen gegenüber dem Status quo zu erzielen. Ohne die Unterstützung der vielen Mitglieder bei den verschiedenen Warnstreik-Aktionen wäre das kaum möglich gewesen.

    Eine Einigung am Verhandlungstisch ist nicht ohne Kompromissbereitschaft möglich. Die Zugeständnisse sind aber mehr als vertretbar, wenn man das Gesamtergebnis betrachtet. Die Vielzahl der Einzelregelungen führt zu Änderungen bei zahlreichen Vorschriften des Tarifvertrages. Wir werden deshalb in nächster Zeit  alle neuen Regelungen einzeln und eingehend erläutern sowie auf Besonderheiten und etwaige Fallstricke hinweisen.

    Das Wichtigste im Überblick:

    Anwesenheit ist Arbeitszeit – neue Regeln für die Zeiterfassung

    Die Kliniken sind ab 1. Juli 2019 verpflichtet, die gesamte Anwesenheitszeit der Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus auf elektronischem Wege oder auf andere Art mit der gleichen Genauigkeit zu erfassen und zu dokumentieren. Dabei gilt sämtliche Anwesenheitszeit, abzüglich tatsächlich gewährter Ruhepausen, als geleistete Arbeitszeit. Das ist ein signifikanter Fortschritt beim Umgang mit der ärztlichen Arbeitszeit. 

    Behauptet der Arbeitgeber, eine bestimmte dokumentierte Zeit sei keine Arbeitsleistung, sondern eine private Tätigkeit, ist er dafür voll beweispflichtig. Juristisch handelt es sich hierbei um eine sogenannte Beweislastumkehr, die im Arbeitszeitrecht tatsächlich einen Paradigmenwechsel darstellt.

    Ferner erhalten Ärztinnen und Ärzte ein persönliches, unverzüglich zu gewährendes Einsichtsrecht in die Arbeitszeitdokumentation, um die dokumentierten Anwesenheitszeiten überprüfen zu können. Damit steht ein weiteres wirksames Instrument zur Verfügung, etwaigen Manipulationen zu begegnen.

    Mindestens zwei freie Wochenenden im Monat

    Ärztinnen und Ärzte, die Bereitschaftsdienste oder Rufbereitschaftsdienste leisten, haben ab 1. Januar 2020 Anspruch auf mindestens zwei arbeitsfreie Wochenenden im Monat (Freitag ab 21 Uhr bis Montag 5 Uhr) im Durchschnitt eines Kalenderhalbjahres. In dieser Zeit ist grundsätzlich weder regelmäßige Arbeit noch Bereitschafts- oder Rufdienst zu leisten. Diese Regel ist zwar mit einer Ausnahme behaftet („wenn andernfalls eine Gefährdung der Patientensicherheit droht“), doch erhöht sich der Anspruch auf freie Wochenenden dadurch, dass nicht gewährte Wochenenden innerhalb des nächsten Kalenderhalbjahres zwingend gewährt werden müssen. Außerdem gilt: Ein freies Wochenende pro Monat ist in jedem Fall zu gewährleisten.

    Ganz wichtig: Es geht nichts verloren, wenn in einem Kalenderhalbjahr nicht durchgehend zwei freie Wochenenden im Monat gewährt werden konnten. Der Anspruch verfällt nicht, sondern geht über auf das nächste Kalenderhalbjahr, wenn innerhalb der ersten vier Wochen des zweiten Halbjahres ein formloser Antrag gestellt wurde. Am Ende dieses zweiten Kalenderhalbjahres müssen alle freien Wochenenden gewährt sein

    Nehmen wir an, in einem Krankenhausbetrieb mit kleineren Abteilungen konnten einem Rufdiensthabenden nicht in jedem Monat zwei freie Wochenenden gewährt werden, weil sonst die Patientenversorgung gefährdet gewesen wäre. In diesem Fall müsste der Rufdiensthabende innerhalb von vier Wochen nach Ablauf des Kalenderhalbjahres einen Antrag stellen, ihm die im ersten Halbjahr vorenthaltenen freien Wochenenden nunmehr im zweiten Halbjahr zu gewähren. Der Antrag ist ein rein formales Erfordernis, damit der Anspruch erhalten bleibt. Die Klinik ist verpflichtet, nach fristgerechtem Eingang des Antrages die nicht beanspruchten freien Wochenenden im laufenden Kalenderhalbjahr zu gewähren. 

    Um es konkret zu machen: Die Regelung gilt ab 1. Januar 2020. Im Juli 2020 müsste der Antrag gestellt werden, damit die nicht gewährten freien Wochenenden aus der ersten Hälfte des Jahres 2020 in der zweiten Hälfte nachgeholt werden können.

    Warum gibt es die Ausnahme von der Regel? Die VKA hat in den Tarifverhandlungen darauf bestanden, weil ohne eine solche Ausnahme die Patientenversorgung in kleineren Abteilungen und Kliniken nicht immer sichergestellt werden könne. Das gelte vor allem für die Rufdienste.

    Mehr Gehalt und höhere Bereitschaftsdienstentgelte in drei Stufen

    Es gibt finanzielle Verbesserungen, die über die reine Gehaltserhöhung hinausreichen. Auch die Änderungen bei den Arbeitszeitregelungen haben materiellen Charakter, beispielsweise die Zuschläge für durchschnittlich mehr als vier Bereitschaftsdienste im Monat. Das ist bei einer Gesamtbeurteilung der Vergütungsfrage zu berücksichtigen.

    Zunächst einmal steigen die Gehälter rückwirkend zum 1. Januar 2019 um 2,5 Prozent. Dann folgen zwei weitere Erhöhungsschritte um 2,0 Prozent jeweils zu Jahresbeginn. Das sind 6,5 Prozent lineare Erhöhung im Gesamtvolumen über 33 Monate. Das bedeutet: Der letzte Erhöhungsschritt am 1. Januar 2021 bezieht sich nur auf neun Monate. Mit Ende der Mindestlaufzeit am 30. September 2021 werden wir neue Tarifverhandlungen führen und dann auch wieder über die Gehälter sprechen.

    Im Gleichklang mit der Gehaltssteigerung erhöhen sich rückwirkend zum 1. Januar 2019 auch die Bereitschaftsdienstentgelte in drei Schritten um insgesamt 6,5 Prozent. Auch die Bewertung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit wird erhöht, wenn auch mit Zeitverzögerung: Ab 1. Januar 2021 wird der Bereitschaftsdienst in der Stufe I mit 70 Prozent bewertet, in Stufe II mit 85 Prozent und in Stufe III mit 100 Prozent. Gegenüber der bisherigen Bewertung als Arbeitszeit ist das in allen Stufen eine Steigerung um 10 Prozentpunkte

    Dienstpläne müssen einen Monat im Voraus aufgestellt sein

    Dienstpläne müssen zukünftig mindestens vier Wochen im Voraus erstellt werden. Wird diese Frist nicht eingehalten, werden sämtliche betroffenen Bereitschaftsdienste höher bewertet, und für die Rufbereitschaften wird ein Zuschlag fällig. Wir glauben, dass von dieser Regelung eine disziplinierende Wirkung auf die Arbeitgeber ausgeht, die die Voraussetzungen für die verbindliche Dienst- und Arbeitsplanung ihrer Beschäftigten nicht zu schaffen bereit sind.

    Daneben haben wir auch einen Einstieg in ein System für Zuschläge bei kurzfristiger Inanspruchnahme erreicht. Auch hierbei geht es uns um die Verpflichtung der Arbeitgeber, Grundvoraussetzungen für den sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit der ärztlichen Arbeits- und Lebenszeit zu schaffen.

    Durchschnittlich vier Bereitschaftsdienste im Monat - neue Höchstgrenze

    Grundsätzlich haben Ärztinnen und Ärzte zukünftig im Kalenderhalbjahr durchschnittlich nur bis zu vier Bereitschaftsdienste im Monat zu leisten. Darüber hinaus sind Bereitschaftsdienste nur dann anordnungsfähig, wenn andernfalls eine Gefährdung der Patientensicherheit droht. In einem solchen Fall erhöht sich die Bewertung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit um 10 Prozentpunkte und bei jedem weiteren Dienst um jeweils weitere 10 Prozentpunkte. Die Auszahlung dieses Zuschlags erfolgt halbjährlich.

    Auch die Opt out-Regelung wurde verändert und mit einer neuen Höchstgrenze versehen. Das „Opt out“ erfordert eine schriftliche Einwilligung der Ärztin oder des Arztes und macht eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit möglich, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst fällt. Nach der neuen Tarifvereinbarung darf die wöchentliche Arbeitszeit dabei durchschnittlich bis zu 56 Stunden betragen. Vorher lag die Höchstgrenze bei 58 Stunden. Der Ausgleichszeitraum bleibt derselbe: Für die Durchschnittsberechnung der wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von sechs Monaten zugrunde zu legen.

    Minusstundenproblematik wird entschärft

    Was bisher in jeder Tarifrunde am Widerstand der Arbeitgeber scheiterte, ist diesmal zumindest in Ansätzen gelungen: Durch verschiedene zukünftige Regelungsmechanismen entschärfen wir in der Folge die sogenannte Minusstundenproblematik, indem wir zum einen die Bereitschaftsdienste grundsätzlich höher bewerten und zum anderen einen nicht in Freizeit ausgleichbaren Zuschlag einführen.

    Keine Verdrängung - der Tarifvertrag ist gesichert

    Die neue Vereinbarung mit der VKA wäre nicht das Papier wert, auf dem sie steht, wenn der Ärzte-Tarifvertrag des Marburger Bundes auf Dauer keinen Bestand hätte. Ohne arztspezifische Regelungen, beispielsweise zum Bereitschaftsdienst, lassen sich für Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern keine Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erzielen. Deshalb war es in dieser Tarifrunde so wichtig und entscheidend, eine rechtssichere Regelung zu treffen, die eine Verdrängung des Tarifvertrages durch die Anwendung der Kollisionsnorm im Gesetz zur Tarifeinheit („Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“) ausschließt. 

    Das war kein leichtes Unterfangen, weil die VKA zu Beginn der Verhandlungen die vom Marburger Bund vorgelegte Tarifsicherungsklausel rundweg abgelehnt hatte. Erst im weiteren Verlauf der Verhandlungen und durch die eindrucksvollen Warnstreiks kam Bewegung in diese Sache. Die VKA stimmte der vom Marburger Bund geforderten Tarifsicherung noch vor der abschließenden Verhandlungsrunde zu.

    Anerkannt wurde auch die Tarifzuständigkeit des Marburger Bundes für die Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst und anderen kommunalen Diensten. Für diese Gruppe wird es separate Tarifverhandlungen geben, die bis spätestens Ende Oktober dieses Jahres aufgenommen werden sollen.
     

    Impressionen der zentralen Warnstreikkundgebung am 10. April 2019 in Frankfurt am Main