Besonders kritikwürdig ist aus der Sicht des größten deutschen Ärzteverbandes das Auswahlverfahren zum Studium der Humanmedizin. Ein sachgerechtes Verfahren zur Auswahl geeigneter Bewerber ist durch die Überbetonung der Abiturnote derzeit nicht gewährleistet. Der MB plädiert daher dafür, die beiden Hauptquoten – Abiturnote und Auswahlverfahren der Hochschulen – zusammenzuführen. In dieser neuen Quote sollten die Ergebnisse des Schulabschlusses niedriger als bisher gewichtet und weitere Auswahlkriterien mit entsprechender Aussagekraft, wie beispielsweise Sozialkompetenz und Motivation, stärker und möglichst bundeseinheitlich berücksichtigt werden.
60 Prozent der Studienplätze können die Hochschulen schon jetzt nach eigenen Kriterien in einem eigenständigen Auswahlverfahren besetzen. Bisher erfolgt dies aber nur punktuell und in sehr unterschiedlicher Form. „Um sicherzustellen, dass alternative Kriterien neben der Abiturnote auch tatsächlich berücksichtigt werden, muss das Auswahlverfahren an den einzelnen Universitäten nach einheitlichen Standards, gegebenenfalls mit unterschiedlicher Gewichtung einzelner Kriterien durch die Hochschulen, erfolgen“, fordert der Marburger Bund in seiner Stellungnahme. So könnten objektivierbare Auswahlgespräche, der Nachweis bestimmter, auch im Ausland erworbener Erfahrungen in Ausbildung und Beruf, Tests zur Studierfähigkeit und Praxistests sowie soziales Engagement entsprechende alternative Auswahlkriterien sein.
Daneben hält der Marburger Bund eine Erhöhung der Anzahl der Studienplätze um mindestens 10 Prozent sowie deren adäquate Finanzierung für unabdingbar. Nach der Deutschen Einheit hätten durch die zusätzlichen medizinischen Fakultäten in den neuen Bundesländern mindestens 16.000 Studienplätze zur Verfügung stehen müssen, faktisch sind es derzeit etwa 10.000. Diese restriktive Kapazitätspolitik steht im krassen Widerspruch zur steigenden Nachfrage nach Studienplätzen und zur Versorgungssituation, die in vielen Regionen bereits von Ärztemangel und einer zunehmenden Alterung der Ärzte in der kurativen Medizin geprägt ist.
Eine besonders absurde Erscheinung der Kapazitätspolitik sind Teilstudienplätze, die Studierende im Los- oder Klageverfahren erhalten haben. Nach Bestehen des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung (Vorklinik) wird den Studierenden in der Regel eine Fortsetzung des Studiums verwehrt, da der Umfang der Studienplätze im klinischen Abschnitt nach dem geltenden Kapazitätsrecht nicht nach personellen und sachlichen Mitteln, sondern nach Bettenzahlen ermittelt wird. Auch deshalb fordert der Marburger Bund die Abschaffung der willkürlichen Teilung des Medizinstudiums in die zwei Lehreinheiten Vorklinik und Klinik, wie sie bereits in Modellstudiengängen erfolgreich realisiert worden ist. „Es muss eine neue Methode zur Berechnung geeigneter Kapazitäten entwickelt werden, die sowohl versorgungspolitische Engpässe als auch das Grundrecht der Bewerber auf freie Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 3 Grundgesetz berücksichtigt. Unterfüttert werden muss dieses neue Kapazitätsrecht durch die Festlegung einer ausreichenden Finanzierung“, so der MB in seiner Stellungnahme.
Zugleich plädiert der Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte für eine frühzeitige Einbringung praktischer, klinikrelevanter Aspekte in das gesamte Studium an allen Hochschulen. Medizinstudierende sollten von Beginn an mit realen Behandlungssituationen in Berührung kommen. Basiswissenschaftliche Aspekte müssten mit klinischen Fächern verzahnt werden, um entsprechende Kompetenzen fächerübergreifend und organzentriert frühzeitig zu vermitteln und die Akzeptanz für theoretische Lehrinhalte zu steigern.
Darüber hinaus spricht sich der Marburger Bund für eine flächendeckende Einrichtung von Lehrstühlen bzw. Instituten oder Abteilungen für Allgemeinmedizin aus, so wie sie bereits an vielen Universitäten geschaffen wurden. „Wir sind jedoch der Auffassung, dass es keine zielgerichtete Knüpfung von Landesmitteln zur Hochschulfinanzierung an die Förderung der Ausbildung im Fach Allgemeinmedizin geben darf. Dies würde gegenüber anderen Fächern, die teilweise ebenfalls unter Nachwuchsmangel leiden, eine Ungleichbehandlung bedeuten. Sinnvoller wäre es, finanzielle Anreizsysteme für die Universitäten zur Verbesserung und Qualitätssicherung ihrer medizinischen Lehre insgesamt zu schaffen. Hiervon würde auch die Allgemeinmedizin profitieren“, heißt es in der Stellungnahme des MB.