Dabei ist rechtlich die Lage ziemlich eindeutig: das Idealbild der Rufbereitschaft verpflichtet den Arzt zwar zur ständigen Erreichbarkeit, aber nicht zur ständigen Anwesenheit am Arbeitsort. Außerhalb des Krankenhauses muss sich der Arzt frei bewegen können. Allerdings ist sein Bewegungsradius insoweit eingeschränkt, als dass er in angemessener Zeit auf Abruf die Arbeit aufnahmen kann.
Rufbereitschaft = Ruhezeit
Die bloß angeordnete Rufbereitschaft ist nach dem Arbeitszeitgesetz privilegiert und daher als Ruhe- nicht als Arbeitszeit zu werten. Sobald jedoch ein Arzt Arbeitsleistungen erbringt, etwa, wenn er auf Anruf wegen eines Notfalles ins Krankenhaus geordert oder für Rückfragen zuhause angerufen wird, wird diese Ruhezeit unterbrochen. Und zwar ab Anruf und nicht erst bei Ankunft im Krankenhaus. Dies heißt auch etwaige An- und Abfahrtzeiten ins Krankenhaus zählen in der Rufbereitschaft, anders als beim Dienstantritt des Regeldienstes, zur Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz und sind, wie in den Tarifverträgen geregelt, vergütungspflichtig. Die Verträge des Marburger Bundes sehen vor, dass Inanspruchnahmen die Ausnahme statt die Regel darstellen sollen.
Mittlerweile wird dieses Idealbild von vielen Kliniken konterkariert. Unter dem Deckmantel der Rufbereitschaft ordnen sie Dienste an, die lediglich der Verbesserung der Arbeitsabläufe im Routinebetrieb dienen – eine Folge der massiven Ausdünnung der ärztlichen Belegschaft in den letzten Jahren.
In der Beratungspraxis häufen sich daher die Anfragen zur Definition der Arbeit im Ausnahmefall oder wie eine Inanspruchnahme in der Rufbereitschaft von der Überstunde abgegrenzt wird. Ob die verkürzte oder regelhafte elfstündige Ruhezeit zum Tragen kommt, oder die Ruhezeit auch dann eingehalten wird, wenn sie sich durch eine Addition mehrerer kurzer Ruhezeiten am Stück ergibt.
Arbeiten im Ausnahmefall
Ein Ausnahmefall ist gekennzeichnet durch unvorhersehbare und/oder plötzlich eintretende Ereignisse. Dies bedeutet, eine Arbeit kann nicht mehr als Ausnahmefall gelten kann, wenn der Arzt oder die Ärztin mit einer Inanspruchnahme in prognostisch verlässlicher Regelmäßigkeit rechnen muss und sich nicht darauf einrichten kann, nur vereinzelt zum Dienst herangezogen zu werden.
Die Rechtsprechung ist hier zwar nicht einheitlich, allerdings gibt es erste Stoßrichtungen, die darauf hindeuten, dass Rufbereitschaften dann unzulässig sind,
- wenn auch in vergangenen Diensten maßgeblich Einsätze stattfanden, die nicht ausdrücklich eingeplant waren,
- eine Inanspruchnahme zumindest bei der Hälfte der geleisteten Dienste erfolgte,
- wenn regelmäßige Inanspruchnahmen im Umfang von mehr als sechs Prozent erfolgen.
Dem Sinn und Zweck einer Rufbereitschaft entsprechen daher keine planmäßigen Dienste, wie etwa Visiten oder andere standardmäßigen Tätigkeiten. Folglich können sie einer Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers für eine Rufbereitschaft entgegenstehen.
Anfallende Überstunden
Sobald ein Arzt oder eine Ärztin nach Beendigung der regelmäßigen Arbeitszeit nahtlos in der angesetzten Rufbereitschaft weiterarbeitet, ist dies eine Überstunde und keine Inanspruchnahme. Eine tatsächliche Rufbereitschaft würde nur dann vorliegen, wenn zwischen dem Ende der Arbeitszeit und der Inanspruchnahme in der Rufbereitschaft eine zeitliche Zäsur bestünde. Dabei reicht bereits eine nur sehr kurze Zäsur aus.
Normalerweise sind Kliniken gehalten, alle Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer, die über die werktäglichen acht Stunden hinausgehen, zu dokumentieren. Mit dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofes Anfang Juni dieses Jahres, dass die komplette Anwesenheit als Arbeitszeit zu werten ist, wird diese Dokumentationspflicht zukünftig noch einmal verstärkt. Das wird es auch schwieriger machen, angefallene „Überstunden“ vor der Rufbereitschaft oder etwaige Inanspruchnahmen unter den Tisch fallen zu lassen.
Ruhezeiten
Laut Arbeitszeitgesetz haben Arbeitnehmer grundsätzlich pro 24 Stunden Zeitraum, beginnend ab Arbeitsaufnahme, das Recht auf eine elfstündige ununterbrochene Ruhezeit. Doch dies gilt nicht immer, denn das Gesetz lässt auch Ausnahmen zu.
Die Ruhezeit bei Ableistung von Rufbereitschaft kann auf die Hälfte verkürzt werden, also auf bis zu fünfeinhalb Stunden, sofern die Inanspruchnahme in der Rufbereitschaft ebenfalls nicht mehr als fünfeinhalb Stunden beträgt. Liegt sie darüber, dann tritt erneut die 11 Stundenregelung ein, d.h. der Arzt oder die Ärztin müssen eine elf Stunden andauernde Pausenzeit einhalten.
Wenn nun im Zusammenspiel mit vorgelagerter Regelarbeitszeit insgesamt mehr als zwölf Stunden gearbeitet wurde, gilt auch hier eine elfstündige Ruhezeit. Aber ob regulär oder verkürzt, in jedem Fall sind Ruhezeiten am Stück zu nehmen und dürfen nicht durch eine Addition mehrerer Kurzruhezeiten erreicht werden.
Muss aufgrund verstärkter Einsätze in der Rufbereitschaft im Anschluss an den letzten Einsatz die elfstündige Ruhezeit eingehalten werden, führt dies am Folgetag oftmals zu Versorgungsengpässen im Regelbetrieb. Viele Krankenhäuser haben hier noch keinen adäquaten Weg gefunden, diese Problematik zu vermeiden.
Ein Gegensteuern durch Minusstunden bei den Rufbereitschaftsdienstleistenden oder Einrichtung von Spätdiensten ohne Restrukturierungen bei der Arbeitsfülle, erscheint zur Bindung von qualifizierten Fachkräften, welche oft arg beansprucht werden, nicht gerade als geeignetstes Personalinstrument um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Hinweis: Als Mitglied oder betroffene Gruppe von Rufbereitschaftsdienstleistenden können Sie sich hinsichtlich der Anordnungsbefugnis bei stetig überbordenden Inanspruchnahmen in der Rufbereitschaft gerne bei Ihrem Landesverband beraten lassen.