Kindesmisshandlung und kinderpornografisches Material gebe es in allen sozialen Verhältnissen. Inzwischen verbreiteten nicht nur Erwachsene aller Bevölkerungsschichten, sondern auch immer mehr Kinder und Jugendliche über ihre Smartphones kinderpornografisches Material.
Trotz Bundeskinderschutzgesetz und der Einrichtung sog. Frühwarnsysteme in allen Bundesländern hätten Kinder noch immer keine verfassungsrechtlich gesicherten Rechte. Elternrecht gehe immer noch vor Kinderrecht, kritisierte die Kammerversammlung wenig später in einer Resolution. „Die Ärztekammer Westfalen-Lippe sieht Kinderschutz in der Priorität vor dem Elternrecht, vor Datenschutz und grenzenlos pädagogischem Optimismus“, betonte Gehle. Auch müsse der Opferschutz Vorrang haben vor dem Täterschutz, forderte er weiter.
Mit seinem jährlichen „Forum Kinderschutz“ ist die ÄKWL in den letzten Jahren immer wieder initiativ tätig gewesen. „Wir haben eine Plattform zum multiprofessionellen und disziplinenübergreifenden Austausch aller am Kinderschutz Beteiligten geschaffen. Diesen Weg müssen wir weiter intensivieren. Ziel ist, den Kindern Schutz zu geben und die Quäler in die Zange zu nehmen“, so Gehle.
Das Parlament der westfälisch-lippischen Ärzteschaft sieht bei der Prävention gegen sexuellen Missbrauch von Kindern noch erheblichen Handlungsbedarf und plädiert in einer einstimmig angenommenen Resolution für eine „konzertierte Aktion Kinderschutz“. „Wir Ärztinnen und Ärzte müssen uns noch stärker einmischen zum Wohl derer“, forderte Gehle, „die sich uns anvertrauen. Gerade das Wohl unserer Kinder ist uns wichtig. Ich fordere eine interdisziplinäre staatlich finanzierte niedrigschwellige Anlaufstelle für das Kindswohl und eine öffentliche Aufklärungsinitiative wie die Kampagne zum Schutz vor Aids.“
Der NRW-Kinderbeauftragte soll auf institutioneller Ebene alle Möglichkeiten der Prävention und Sensibilisierung für das Thema nutzen und die neben dem Jugendamt bestehenden Hilfeangebote stärker vernetzen. Es müsse in NRW eine unabhängige Stelle geben, an die sich jeder Bürger auch anonym bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch wenden kann. Verletzungen der Kinder durch körperliche, seelische Gewalt und Vernachlässigung seien ein Verbrechen und kein Vergehen, postuliert die Kammerversammlung.
Oft bleibe die Gewalt gegen Kinder unerkannt, weil sie im sog. geschützten Raum passiere. Anamnese, Ermittlung, Fallverstehen und Prognose erforderten in Kinderschutzfällen eine gute Ausbildung und genug Zeit. Die Aufgabe der ÄKWL bestehe darin, dass für alle Gesundheitsberufe, die mit Kindern und Jugendlichen unterwegs sind, Pflichtfortbildungen möglich gemacht werden, um mehr Information sowie bessere Wahrnehmung und Mut zu ermöglichen.
Die Kammerversammlung fordert daher eine konzertierte Aktion „Kinderschutz“, die Folgendes beinhalten soll:
Wir fordern auf Landesebene einen Beauftragten für den Kinderschutz, der auf institutioneller Ebene alle Möglichkeiten der Prävention und Sensibilisierung für das Thema „Sexueller Missbrauch von Kindern und Kinderpornografie“ nutzt und die neben dem Jugendamt bestehenden Hilfeangebote stärker miteinander vernetzt und ihren Bekanntheitsgrad erhöht. Es muss in NRW eine unabhängige Stelle geben, an die sich jeder Bürger auch anonym bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch wenden kann.
Wir fordern für jedes Jugendamt einen 24 Stunden erreichbaren Ansprechpartner, der im Vorfeld, ohne die Polizei einzuschalten, Verdachtsfälle prüft. Die ÄKWL wird mit der Akademie berufsgruppenübergreifend mehr Pflichtfortbildungen zur Kindeswohlgefährdung und -misshandlung anbieten.
Die Zusammenarbeit vom Gesundheitswesen mit Jugendhilfe, Kindergärten, Schulen, Sportvereinen, Behinderteneinrichtungen soll gefördert werden. Kinderschutz muss auch verpflichtender Inhalt der neuen Weiterbildungsordnung für alle Arztgruppen werden, die sich mit der Versorgung von Kindern und Jugendlichen und deren Eltern beschäftigen.
Wir fordern Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz und Unterstützung der medizinischen Fachgesellschaften (Siehe Koalitionsvertrag 2018, sollte bis Ende 2019 verabschiedet sein).
Wir brauchen eine einprägsame öffentlichkeitswirksame Aktion, um das Umfeld, in dem sich Kinder regelmäßig bewegen, wie z.B. Nachbarn, Kitas, Schulen oder Sportvereine, stärker für die Anzeichen sexuellen Missbrauchs zu sensibilisieren und darauf hinzuweisen, wann man an Kindesmissbrauch denken muss. Der Digitalpakt für Schulen darf nicht dazu führen, dass Kinder- und Internetpornografie in Schulen und Bildungseinrichtungen für die Schüler dort verfügbar sind. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass hoher Pornografiekonsum den Konsum von Kinderpornografie und sexuelle Übergriffe an Kindern fördert. (Weitere Berichte zur Kammerversammlung folgen.)