Mühsam müssen in jedem Einzelfall alle möglichen Infektionsketten geklärt werden. Gefährdete Menschen müssen identifiziert, kontaktiert und getestet werden. Immer wieder muss Quarantäne für direkte Kontaktpersonen und die Infizierten verhängt werden. Die 52 Ärztinnen und Ärzte im ÖGD in Rheinland-Pfalz sind für vier Millionen Bürger im Land verantwortlich. Sie arbeiten seit Wochen jenseits ihrer Belastungsgrenzen, wie ihre gut 2.500 Kolleginnen und Kollegen im gesamten Bundesgebiet.
Die Verantwortlichen für die inakzeptable Situation der betroffenen ÖGD-Ärzte sind auch in Rheinland-Pfalz bei der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) zu suchen. Die kommunalen Spitzen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten aus rein finanziellen Gründen den ÖGD kaputtgespart. Ihre klare Devise: Schlechter bezahlte ÖGD-Ärzte schonen eben die kommunalen Haushalte. Dieses politische Handeln ist in hohem Maße unverantwortlich. Leichtfertig wird so mit dem gesundheitlichen Wohl unserer Bevölkerung und der Gesundheit der ÖGD-Ärzte gespielt. Jede Infektionswelle belegt das erschreckend.
Es ist zwar erfreulich, dass immerhin viele Politiker in Bund und Land in der Corona-Pandemie erkannt haben, wie unverzichtbar die Arbeit des Öffentlichen Gesundheitsdienstes tatsächlich ist. Als Vertreter des Marburger Bundes haben wir dies auf allen Ebenen seit vielen Jahren immer öffentlich unterstrichen und auch das Kernproblem klar benannt.
Aber dessen ungeachtet verweigert die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA) seit gut eineinhalb Jahrzehnten und bis zum heutigen Tag mit immer neuen spitzfindigen „Gründen“ den Ärztinnen und Ärzten im ÖGD alle arztspezifischen tarifvertraglichen Regelungen zur Vergütung und zu den Arbeitsbedingungen, die wir bereits für die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern erkämpft haben.
In dieser Folge sind die Voraussetzungen für die Beschäftigung von Ärzten im ÖGD denkbar schlecht. Ein Drittel der ÖGD-Ärzte hat sich binnen zweier Jahrzehnte schon der Realität gebeugt, hat schlicht resigniert und den ÖGD für immer verlassen. Höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen – das finden heutzutage Ärztinnen und Ärzte schnell andern- und allerorts.
Egal ob Minister, Landräte oder Oberbürgermeister - sie alle haben in den vergangenen Monaten ihre folgenreichen Fehler erkannt. Sie alle wissen auch, dass der ÖGD dringend mehr Unterstützung braucht. Auch in RLP hat gerade der Ministerrat die zentrale Rolle des ÖGD für den gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung festgestellt. Zur Aufgabenerfüllung und zur Gewährleistung einer bedarfsgerechten Erreichbarkeit benötige man durchschnittlich vier Ärztinnen und Ärzte und einem Weiterbildungsassistenten pro 100.000 Einwohner, stellte auch der Ministerrat RLP klar.
Folglich bräuchten wir alleine in Rheinland-Pfalz insgesamt mindestens 160 Fachärztinnen und -ärzte sowie 40 Weiterbildungsassistenten im ÖGD. Zurzeit können die aber angesichts der geschilderten Zustände keineswegs aus anderen ärztlichen Tätigkeitsbereichen abgeworben werden. Das könnte frühestens gelingen, wenn auch im ÖGD endlich unser TV-Ärzte/VKA gelten würde.
Selbst die in RLP im kommenden Semester startende ÖGD-Quote wird an der riskanten Situation nichts ändern. Ab diesem Winter sollen sechs oder sieben Studienplätze an der Universitätsmedizin Mainz an jene Bewerber/innen vergeben werden, die sich verpflichten, nach ihrer sechsjährigen Ausbildung zehn weitere Jahre lang als ÖGD-Arzt zu arbeiten.
Blicken wir auf die Altersstruktur unserer 52 ÖGD-Ärzte in RLP, sehen wir, dass der Nachwuchs seit vielen Jahren schon ausgeblieben ist. Es bleibt leider bisher dabei: Im ÖGD kann kaum Nachwuchs gewonnen werden, weil die Gehälter bis zu 1.500 Euro im Monat unter denen der Klinikärzte liegen.
Die öffentliche Wertschätzung der Politiker ist einfach nicht genug. Den vollmundigen Worten müssen endlich auch die richtigen Taten folgen. Für weitere Ausreden gibt es auch in der breiten Bevölkerung mittlerweile keinerlei Verständnis mehr.
Fakt ist, solange die kommunalen Arbeitgeber den Ärztinnen und Ärzten im ÖGD einen eigenen Tarifvertrag verweigern, konterkarieren sie den im Konjunkturpaket der Bundesregierung beschlossenen „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“. Dabei wissen alle, die einzige verlässliche und dauerhaft wirksame Strategie zur Gewinnung ärztlichen Personals in den Gesundheitsämtern ist ein arztspezifischer Tarifvertrag wie er in Krankenhäusern, im Medizinischen Dienst der Krankenkassen und anderen Bereichen des Gesundheitswesens längst gang und gäbe ist.