Mit diesen Worten kritisiert Dr. med. Hans-Albert Gehle, der Vorsitzende des Marburger Bundes Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz, den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst. Dieser enthält auch eine Zulagen-Regelung in Höhe von 300 Euro im Monat – allerdings nur für Fachärzte im ÖGD, andere ÖGD-Ärzte erhalten sie nicht. „Es ist fraglich, warum ver.di überhaupt einem Tarifabschluss mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VkA) verhandelt und zustimmt, wenn doch kein ÖGD-Arzt dort als Mitglied vertreten ist? Wie will man da überhaupt für Ärztinnen und Ärzte sachgerecht verhandeln? Der Marburger Bund verhandelt ja bisher auch nicht für Pflegekräfte.“
Freie Stellen im ÖGD lassen sich nur mit Branchenstandards wiederbesetzen
„Wir wollen für die Ärztinnen und Ärzte im ÖGD in dieser schwierigen Situation etwas tun, deshalb sucht der Marburger Bund NRW/RLP ab sofort das direkte Gespräch mit allen Oberbürgermeistern in beiden Bundesländern. „Wir bieten für betroffene Gesundheitsämter unseren arztspezifischen Tarifvertrag (TV-Ärzte) an. Nur damit werden sich die offenen Arztstellen im ÖGD wiederbesetzen lassen. Nur so kann eine gesundheitliche Gefahr für unsere Bevölkerung abgewendet werden.“
Bekanntlich ist die überwiegende Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte im ÖGD im Marburger Bund organisiert. Die kommunalen Spitzen haben aber die Tarifverhandlungen mit dem Marburger Bund jahrelang vehement abgelehnt und zuletzt mit fadenscheinigen Gründen abgebrochen. Nun betreibt die VkA bewusst eine Spaltung der Tariflandschaft. „Offenbar ist der VkA leider noch immer nicht der seit Monaten bestehende Ernst der Lage in den Gesundheitsämtern bewusst. Durch diese fortgesetzte rein ideologische Verweigerungshaltung der VkA wird der Gesundheitsschutz der Bevölkerung massiv gefährdet“, warnt Dr. med. Hans-Albert Gehle.
Ärzte im ÖGD werden weiterhin deutlich schlechter als Ärzte in Krankenhäusern bezahlt
Auch nach dem jüngsten Tarifabschluss im öffentlichen Dienst bleiben für Ärztinnen und Ärzte im ÖGD im Vergleich zum kommunalen Krankenhaus immense Gehaltsunterschiede durch geringere Gehälter und auch durch einen langsameren Aufstieg in der Gehaltstabelle bestehen: Im besten Fall gelingt es einem Facharzt im öffentlichen Dienst erst nach 15 Dienstjahren sein Gehaltsdefizit von bis zu 1.500 Euro gegenüber seinen Kollegen in Kliniken auf verbleibende 600 Euro im Monat zu minimieren.
Obendrein ist die Anerkennung von vorherigen Facharztzeiten für den ÖGD-Bereich weiterhin nicht verbindlich geregelt. So erleiden Fachärzte, deren medizinische Fachrichtung in der ÖGD-Tätigkeit nicht anerkannt wird, beim Stellenwechsel mitunter noch höhere Verluste.
Der Tarifvertrag für Ärzte ist alternativlos!
Ganz zu schweigen von den im arztspezifischen Tarifvertrag (TV-Ärzte/VKA) geregelten vielen Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen - etwa die ausnahmslose Erfassung der Arbeitszeit, die Fristen bei der Dienstplanerstellung oder die Höchstgrenzen bei Wochenenddiensten. Gehles Fazit: „Zulagen für einen ausgewählten Personenkreis im ÖGD können keinen Tarifvertrag für Ärzte ersetzen. Der Branchenstandard - unser Tarifvertrag für Ärzte - ist alternativlos.“
Gesundheitlicher Schutz unserer Bevölkerung steht auf dem Spiel
„Gerade in der Corona-Pandemie ist jedem Bürger bewusst geworden, welche folgenschweren Versäumnisse in den vergangenen Jahren zur heutigen Überlastung der Gesundheitsämter geführt haben. Wer glaubt denn jetzt ernsthaft, dass die Tausenden freie Arztstellen im ÖGD mit dem Ergebnis des jüngsten Tarifabschlusses überhaupt wiederbesetzt werden können?“, fragt Hans-Albert Gehle.
„Es geht um den gesundheitlichen Schutz unserer Bevölkerung, der steht auf dem Spiel. Der ÖGD hat ein vielfältiges Aufgabenspektrum: die Beratung von Familien mit Kleinkindern, von Müttern, Schwangeren, psychisch und chronisch Kranken sowie körperlich Behinderten, die Schwangerschaftskonfliktberatung, Kita- und Einschulungsuntersuchungen, Kontroll- und Überwachungsaufgaben in Krankenhäusern, die Umwelt- und Seuchenhygiene und zahnärztliche Vorsorge. „All diese wichtigen Aufgaben können angesichts der Unterbesetzung des ÖGD und der Überlastung durch die Corona-Pandemie nicht mehr ausreichend erfüllt werden.“