Im glimpflich verlaufenen Sommer haben wir vor einem gefährlichen Virusherbst gewarnt. Zehn Monate nach der ersten Infektion sind die 450 Krankenhäuser in NRW und RLP an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt. Täglich erreichen uns immer traurigere Bilanzen des RKI. Pro Tag verlieren bundesweit fast bis zu 1.000 Menschen ihr Leben. Sie sterben an den Folgen ihrer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus, das erstmals vor zwölf Monaten aufgetaucht ist und uns weltweit in Erinnerung rief, wie verletzlich die Existenz der Menschheit doch trotz aller technologischen und medizinischen Fortschritte geblieben ist.
Viren kennen keine Grenzen. Wir haben schon gefährliche Infektionen erlebt: SARS, Ehec, Ebola, Vogelgrippe oder Schweinegrippe – jedes Mal haben wir vor den Risiken einer Epidemie gewarnt, eine geeignete Infrastruktur gefordert und gemahnt, den ÖGD nicht ausbluten zu lassen. Aber wer von uns hat sich eine Pandemie mit solchem Ausmaß wirklich vorstellen können?
Corona hat menschlich schwer erträgliche Folgen: Traurigerweise können selbst die nächsten Angehörigen Sterbende auf den Isolierstationen nicht begleiten. Das ist wohl für jeden von uns die erschütterndste Aufgabe, der wir uns auf den Stationen verantwortungsvoll täglich neu stellen. Aber wir zweifeln, ob das richtig ist, wissen kaum, wie wir Sterbenden die Humanität des letzten Beistands durch ihre nächsten Angehörigen doch geben könnten.
Wir Ärztinnen und Ärzte arbeiten mit einem hohen, professionellen Engagement, ohne ausreichende Zeit für unsere notwendige eigene Erholung zu finden. Dafür gebührt Ihnen allen eine ganz besondere Anerkennung und ein großer Dank!
Aber, wir alle fragen uns, wie lange reichen unsere Kräfte noch? Nach der ersten Corona-Welle haben wir im Sommer die verschobenen Operationen durchgeführt. Nur wenige konnten Urlaub nehmen. Nun, arbeiten wir wieder seit vielen Wochen – ebenso wie die Pflegekräfte – an der Grenze unserer Belastbarkeit.
Wir sind dennoch für unsere Patienten da, tagsüber und nachts, an sieben Tagen in der Woche. Das werden wir bleiben. Aber, wir brauchen dringend Entlastung – Zeit zum Durchatmen. Daher haben wir am 10. Dezember die Kliniken aufgefordert, angesichts der Überlastung alle Operationen und Diagnosen abseits der Behandlung von Covid-19-Fällen und sonstigen Notfällen bis zum 10. Januar 2021 auf das Niveau eines Feiertages abzusenken.
Im Krankenhaus begleitet uns die große Sorge, dass die steigende Fallzahl in eine Katastrophenmedizin führt und wir die Grenze erreichen, ab der wir an den Krankenbetten fürchterliche Entscheidungen über Leben und Tod treffen müssen. Das will niemand von uns, aber wer sonst kann sagen, wer gerettet und wer sterben wird? Daher fordern wir seit Monaten von allen Bürgern ein verantwortungsvolles Handeln. Jeder Einzelne muss die Infektionsschutzmaßnahmen strikt befolgen, denn jeder Einzelne trägt mit seinem möglichst besonnenen Verhalten die Verantwortung für alle Mitmenschen, nicht nur für die besonders Gefährdeten.
Realität ist aber, dass die Infektionswelle zum Jahresende noch nicht gebremst wird, gleichzeitig die Erschöpfung und der Krankenstand in den Kliniken steigt. Wir hoffen auf bald sinkende Infektionszahlen. Auch, wenn uns die unmittelbar bevorstehenden ersten Corona-Schutzimpfungen erstmals Mut zur Hoffnung machen können: Es wird noch viele Monate, vermutlich ein Jahr oder schlimmstenfalls noch länger dauern, bis wir das erhoffte Ziel eines flächendeckenden Infektionsschutzes vor SARS-CoV-2 hierzulande erreicht haben werden.
Auf absehbare Zeit werden wir in unserem Leben noch nicht zu einer gewohnten Normalität aus der Zeit vor Corona zurückfinden können, müssen weiterhin akzeptieren und auch lernen, mit dem Corona-Virus zu leben. Deshalb brauchen wir weiter viel Kraft, Vorsicht und Geduld.
Wir brauchen zudem neue Ideen. Denn, was lehrt uns die Corona-Pandemie? Unsere Gesellschaft muss klären, was ihr eine bestmögliche medizinische Versorgung dauerhaft wirklich wert ist. Wir Ärzte begrüßen die vielen Sonderinvestitionen in Kliniken in diesem Jahr, mahnen aber, dass die noch weit größeren Versäumnisse der Vergangenheit sich damit noch nicht ausräumen lassen.
Wir brauchen langfristige, sinnvolle Konzepte zur Sicherstellung einer flächendeckenden, verantwortungsvollen Gesundheitsversorgung, nicht nur im Bereich des Infektionsschutzes. Wir brauchen in jeder Klinik klar abgetrennte Infektionsbereiche. Wir brauchen vor allem mehr Personal und mehr Zeit für unsere Patienten. Damit sicher noch nicht genug.
Die vielen bisherigen „Jahrhundertgesetze“ in unserem Gesundheitswesen standen vordringlich unter einem Diktat des Einsparens von Kosten. Dieser Weg hat dazu geführt, dass wir inmitten der Pandemie ständig gegen die eingetretenen Fehlentwicklungen und vorhandenen Mängel – ob strukturell oder personell – gegensteuern müssen. Diese Pandemie zeigt uns schonungslos die Mängel im Gesundheitssystem. Der gefährliche Sparkurs ist definitiv an seinem Ende angelangt. Wir werden der Politik daher auch im nächsten Jahr eindringlich raten, dass in der Gesundheitspolitik endlich bessere Wege in eine Versorgung der Zukunft beschritten werden müssen. Dafür engagieren wir uns alle.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in diesen schwierigen Zeiten, wünsche ich Ihnen auch im Namen des gesamten Landesvorstandes ein besinnliches Weihnachten und einen guten Rutsch in das neue Jahr. Bleiben Sie bitte gesund.