Die Ärztekammer Nordrhein fordert daher verbesserte Hilfen für suizidgefährdete Menschen und eine sofortige und umfassende Bestandsaufnahme der bestehenden Programme. Des Weiteren verlangt das Parlament der nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte mehr Information und Aufklärung zum Thema Suizid. Zudem solle der Gesetzgeber die Werbung für Suizid oder Suizidbeihilfe nach Auffassung der Ärzteschaft konsequent verbieten.
„Es darf keine organisierte Ermutigung zum Suizid geben und es darf kein gesellschaftliches Klima entstehen, in dem sich schwerkranke, pflegebedürftige oder behinderte Menschen zur Selbsttötung gedrängt fühlen“, betonte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke. Es sei zu befürchten, dass sich durch die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe die Zahl der Selbsttötungen hierzulande im Laufe der Jahre stark erhöht.
90 Prozent der Suizide gingen mit psychischen Erkrankungen einher. Unter betagten und schwer erkrankten Menschen sei der Anteil depressiver Suizidenten besonders hoch. Die Kammerversammlung stellte fest, dass Suizidalität „kein beständiger psychischer Zustand“ ist. Der Wunsch, sich das Leben zu nehmen, entwickle und verändere sich mit den Erfahrungen in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Suizidale Menschen befänden sich meist in einem Zustand der Ambivalenz. Hier setzt die Suizidprävention an, bei der Verständnis für die Betroffenen und das Angebot zur Hilfe im Vordergrund stehen. Zu den am besten belegten suizidpräventiven Maßnahmen gehöre neben der Einschränkung des Zugangs zu tödlich wirkenden Medikamenten das entlastende Gespräch.
Der Deutsche Ärztetag will sich in Rostock vor allem über die Konsequenzen des Urteils im Hinblick auf die Musterberufsordnung beschäftigen. „Ich persönlich plädiere für sehr, sehr gründliche Beratungen in dieser fundamentalen Frage und würde vor einer berufsethischen Entscheidung erst einmal die Beratungen des Gesetzgebers abwarten“, mahnte Rudolf Henke.
„Dazu kann ich berichten, dass derzeit zwei Anträge unterschiedlicher Initiatoren vorliegen und eine dritte Gruppierung die Arbeit an einem dritten fraktionsübergreifenden Antrag aufgenommen hat. Ich rechne damit, dass es noch in diesem Frühjahr zu einer Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag kommt, um das Spektrum der Sichtweisen auf die Aufgaben des Gesetzgebers in Erfahrung zu bringen. Dass es noch in der laufenden Legislaturperiode zum Abschluss einer gesetzlichen Regelung kommt, halte ich für mehr als fraglich.“
Zum Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht am hat 26. Februar 2020 das im Jahr 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung zum Beispiel durch Sterbehilfevereine für verfassungswidrig erklärt. Das „Recht auf selbstbestimmtes Leben“ schließe die Freiheit ein, „sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“, begründete das Verfassungsgericht.
Ausdrücklich gestand das Gericht zu: „(Der Gesetzgeber) verfolgt insoweit ein legitimes Anliegen, als er verhindern will, dass sich der assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt. Er darf einer Entwicklung entgegensteuern, welche die Entstehung sozialer Pressionen befördert, sich unter bestimmten Bedingungen, etwa aus Nützlichkeitserwägungen, das Leben zu nehmen.“