Als Mediziner wissen wir, dass eine Pandemie erst vorbei ist, wenn ein wirksamer Virusimpfstoff weltweit geimpft werden kann oder wir wirksame Medikamente besitzen. Hierzulande gibt es noch gut 2.000 Covid-19-Patienten in Intensivbetten. Unverändert ist die Lage auf vielen Intensivstationen angespannt. Ärzte und Pflegekräfte bräuchten dringend Erholung.
Nun sollen wir aber nochmals Gas geben. Denn in dem durch Budget und DRG angetriebenen kommerzialisierten System wird uns keine Ruhe gelassen. Heute ist jedes zweite Krankenhaus defizitär. Die „Erlöse“ aus den Corona-Ausgleichszahlungen haben die Kliniken nicht gerettet. Mit „Erlösen“ meinen beide Gutachter Umsätze. Da es keine Daten zu Coronabedingten Ausgaben gibt, konnten diese nicht abgezogen werden.
Seit Beginn der Corona-Pandemie haben die Kliniken große Mehrausgaben und Mindereinnahmen. Testkapazitäten, Schutzmaterial, das erst fehlte, dann immer teurer wurde. Geschlossene Ambulanzen, zusätzliches Personal, Sicherheitskräfte, geschlossene Kantinen. Aus- und Abbau von Infektionsstationen und Einrichtungen. Aufbau und Abbau zusätzlicher Intensivbetten – und dann die weißen Kunststoffzelte, die vor unseren Kliniken wie Pilze aus dem Boden sprossen. Mit diesen Provisorien mussten wir auf das gefährliche Virus reagieren und bis heute arbeiten. Viele von uns sind auf „Corona-Normalstationen“ oder Intensivstationen eingesetzt gewesen.
Die Ausgleichszahlungen waren nötig, da im DRG-System diese Daseinsfürsorgeleistungen nicht abgebildet sind. Und der hohe Case-Mix ist durch unsere harte Arbeit für schwerkranke Patienten erzielt worden. Aktuell werden die Zelte vor den Kliniken überall wieder abgebaut. Ich hoffe dauerhaft, aber als Mediziner fehlt mir der Glaube. Die Politik hat eben festgestellt, die Gefahr ist vorbei – zurück in den Normalmodus, denn die Kliniken sollen ja gewonnen haben. Der Applaus ist längst verklungen. Ist Corona vorbei? Können wir uns entspannt zurücklegen und auf Urlaub freuen? Nein! Wir bauen zurzeit nur Provisorien ab – ohne über dauerhafte Strukturänderung zu verfügen. Auch nicht für Infektions-Krankheiten. Weder dauerhafte Quarantäne- noch Infektionsbereiche. Strukturell hat sich nichts geändert.
Was wir also brauchen, ist nicht die Rückkehr zum zwanghaft auf Kommerzialisierung ausgerichteten DRG-System, sondern ein neues System der Daseinsfürsorge. Altbekannte Lösungen – weniger Kliniken mit mehr Betten, Niederlande und Dänemark – werden bereits als Vorbilder mit Corona-Erfahrungen begründet. Und das, obwohl wir Intensivpatienten aus ganz Europa behandelt haben. Das Geld für neue Kliniken müssen wir wahrscheinlich selber mitbringen.
Es gibt viele offene Fragen: Wo brauchen wir zentrale, wo regionale Lösungen? Gibt es absehbare Lösungen für die uns fehlende Digitalisierung? Gibt es wirksame Rezepte gegen den jahrzehntealten Mangel an Pflegekräften oder Ärztinnen und Ärzten? Wann haben wir endlich genug Studienplätze für Humanmedizin? Wann gibt es – am regionalen Bedarf orientierte – ausreichende Klinikinvestitionen? Wann endlich ein Finanzierungssystem, dass keine Fehlanreize schafft?
Was bieten uns die Parteien zum Thema Gesundheit für die neuen Wahlperiode an? Konkrete Antworten sind auf die meisten Fragen unverändert Mangelware. Wir brauchen echte Lösungen. Als Marburger Bund haben wir Forderungen aufgestellt. Der DÄT hat Sie nochmals beschlossen.
Kunststoffzelte sind Mahnmale: Es ist höchste Zeit, dass die für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zuständigen Politiker die Rahmenbedingungen schaffen. Wir brauchen endlich zukunftsfeste Klinikstrukturen. Es sind grundlegende Änderungen des Systems nötig. Die Politik hört aber offenbar bereits wieder lieber auf ihre sog. Wirtschaftsexperten, statt auf uns Ärztinnen und Ärzte. Warum wird unsere medizinische Sachkompetenz nicht genutzt? Wir Ärztinnen und Ärzte müssen – gerade angesichts der Bundestagswahl und der NRW-Landtagswahl in 2022 – der Öffentlichkeit unmissverständlich aufzeigen, wie Versorgung vor Ort auszusehen hat. Neue Krankenhausplanung wird ohne Änderung des Finanzierungssystems auf Bundesebene nicht gelingen.
Als Ärztinnen und Ärzte müssen wir mit unserer Expertise die vorhandenen Defizite weiter klar benennen. Zur Not müssen wir unbequem sein. Wir brauchen in allen Regionen abseits der Maximalversorger eine vernünftige stationäre Versorgungsstruktur. Die zu schaffen, darf nicht mehr daran scheitern, dass unterschiedliche Träger sich nicht auf ein regionales Versorgungskonzept einigen können. Auch kartellrechtliche Bedenken dürfen dies nicht mehr verhindern. Der Politik in einem der wohlhabendsten Länder der Welt muss klar sein, die Zeit der Provisorien in der Krankenhauslandschaft muss endlich vorbei sein – endgültig. Wir brauchen regionale Zusammenarbeit, keine von Wirtschaftsweisen angeheizte Konkurrenz unter einander!