Gut jede dritte Arztstelle im ÖGD ist unterbesetzt und kann auch nicht mehr besetzt werden, weil die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VkA) sich seit Jahren – aus rein prinzipiellen Gründen – strikt weigert, die Ärztinnen und Ärzten im ÖGD nach dem branchenüblichen Standard unseres TV-Ärzte zu bezahlen und auch unsere Arbeitsbedingungen an diejenigen der Kollegen in kommunalen Krankenhäusern anzupassen. Die Gehaltsdifferenzen sind beträchtlich. Zusätzlich haben die Länder versäumt die beamtenrechtlichen Voraussetzungen einer adäquaten Eingruppierung oder Stellenzulage zu schaffen.
Daran haben auch die vielen Lobreden, Pläne und Absichtserklärungen in jüngster Vergangenheit bis heute nichts geändert. Im Wettbewerb um die besten vorhandenen Arbeitskräfte gehen wir weiterhin meist zwangsläufig leer aus, weil wir im ÖGD potenziellen neue Kolleginnen und Kollegen einfach nicht das anbieten können, was andere Kolleginnen und Kollegen in Kliniken dank unserer Tarifverträge schon seit Jahren als selbstverständlich erleben.
Um es klar zu sagen: Auch die kurzfristigen, nicht dauerhaften personellen Aufstockungen mit lediglich geschulten Studenten und Mitarbeitern aus anderen Verwaltungen in der Pandemie können nur Symptome lindern, nicht aber strukturelle Defizite heilen.
Corona hat die seit Jahren bestehende Problematik der fehlenden Ärztinnen und Ärzte im ÖGD öffentlich sichtbar gemacht und in Folge der monatelangen Überlastung nochmals dramatisch verschärft. Sieben Tage in der Woche herausfordernde Arbeit mit bis zu 14 Arbeitsstunden und mehr täglich sind derzeit im ÖGD der Regelfall – manche gehen endgültig. Die prekären Zustände im ÖGD können und dürfen so nicht bleiben. Langfristig ist eine ausreichende Ausstattung mit Fachärzten zum Management der Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit zwingend erforderlich – eine Erkenntnis, die mittlerweile auch beim Bund angekommen ist.
Vor genau einem Jahr verpflichteten sich Bund und Ländern mit dem „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ selbst. Seine volle Wirkung erfordert, dass die kommunalen Arbeitgeber endlich arztspezifische Tarifverträge abschließen und das Beamtenrecht anpassen. Das Geld ist vorhanden, aber der Wille leider immer noch nicht.
Vier Milliarden Euro stellt der Bund für diesen Pakt bis zum Jahr 2026 zur Verfügung. Hinzu kommen 50 Millionen Euro, die für Investitionen in die technische Modernisierung des ÖGD fließen können. Bis Ende 2021 sollen 1.500 zusätzliche und unbefristete Vollzeitstellen in den kommunalen Behörden des ÖGD sowie in den befassten Landesstellen und obersten Landesbehörden geschaffen werden. Mindestens 3.500 weitere kommen dem Pakt zufolge bis zum Ende des Jahres 2022 hinzu. 90 Prozent dieser Stellen sind für den ÖGD in den Städten und Kreisen gedacht. Für Ärztinnen und Ärzte fehlt aber dennoch der Anreiz des Branchenstandards TV-Ärzte.
Auch nach über einem Jahr der intensiven Corona-Bekämpfung hat sich deshalb die Situation der Gesundheitsämter nicht wesentlich gebessert. Es fehlt immer noch eine langfristige und nachhaltige Förderung, die eine verbesserte personelle, strukturelle und finanzielle Ausstattung der Gesundheitsämter gewährleistet. Wir brauchen unbedingt eine zügige Umsetzung des „Pakts für den öffentlichen Gesundheitsdienst“. Hier ist die Politik in Bund und Land sowie auf kommunaler Ebene weiter gefordert – gerade in Zeiten einer nicht enden wollenden Pandemie.
Klar ist, die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung zur Stärkung des ÖGD reichten noch nicht aus, das notwendige Personal zu gewinnen. Es ist ausgesprochen fahrlässig, dass seit Beginn der Corona-Pandemie nichts Wirksames unternommen wurde, um das händeringend benötigte ärztliche Personal im ÖGD einstellen zu können. Hier bleiben der Bundesgesundheitsminister und die VKA in der Pflicht. Damit der ÖGD handlungsfähig bleibt, fordern wir eine langfristige Perspektive.
Ganz konkret: Zur Aufgabenerfüllung und zur Gewährleistung einer bedarfsgerechten Erreichbarkeit benötige man durchschnittlich vier Ärztinnen und Ärzte pro 100.000 Einwohner, stellte jüngst selbst der Ministerrat RLP klar. Folglich bräuchten wir alleine in Rheinland-Pfalz insgesamt mindestens 160 Fachärztinnen und -ärzte im ÖGD. Hinzukommt noch ein kontinuierlicher Nachwuchsbedarf. 40 bis 50 Ärztinnen und Ärzten im ÖGD müssten sich ständig in der Weiterbildung zum Arzt für öffentliches Gesundheitswesen befinden. Zurzeit kann aber das ärztliche Personal angesichts der geschilderten Zustände keineswegs aus anderen ärztlichen Tätigkeitsbereichen abgeworben werden. Das könnte frühestens gelingen, wenn auch im ÖGD endlich unser TV-Ärzte/VKA gelten würde.
Selbst die in RLP just gestartete ÖGD-Quote wird an der riskanten Situation nichts ändern. Sechs oder sieben Studienplätze an der Universitätsmedizin Mainz für jene Bewerber/innen, die sich verpflichten, nach ihrer sechsjährigen Ausbildung zehn weitere Jahre lang als ÖGD-Arzt zu arbeiten, das reicht ebenso wenig aus und kommt zu spät. Blicken wir auf die Altersstruktur unserer ÖGD-Ärzte in RLP, sehen wir, dass der Nachwuchs seit vielen Jahren schon ausgeblieben ist. Wir wissen, freie Stellen im ÖGD lassen sich nur mit Branchenstandards wiederbesetzen.