Der recht neue Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG), Roland Engehausen, formulierte eingangs Thesen, die in MB - Reihen wenig Widerspruch provozieren dürften: ärztliche und pflegerische Tätigkeiten sind kein Bereich für Skaleneffekte und richten sich am Bedarf der Patienten aus. Jedoch sieht er durchaus Qualitätsvorteile, die durch Größe entstehen können. Im Bereich der Verwaltung hingegen gäbe es Skalierungspotential für Wettbewerbsvorteile, zu denen kleine und mittelgroße Häuser allerdings Zugang finden müssten. Aufgrund der zunehmenden Fokussierung auf ein spezifisches Leistungsportfolio in den Kliniken sah er sowohl Vor- als auch Nachteile. Abschließend skiziierte er den Anwesenden das Positionspapier der BKG für den 20. Deutschen Bundestag u.a. mit dem Fokus, die Finanzierung der stationären Versorgung auskömmlich abzudecken und um Vorhaltekosten zu ergänzen. Er wünschte sich, dass Krankenhäuser leichter und vermehrt Kurzzeitpflegeplätze anbieten können und die Länder Gestaltungskompetenz zur Anpassung von Vorgaben des G-BA auf bedarfsgerechte regionale Strukturen erhielten. Die Forderung nach einem eigenen Vergütungssystem für Pädiatrie und Geburtshilfe hatte der MB Bayern bereits vor einem Jahr in sein Positionspapier geschrieben.
Sehr deutlich positionierte sich anschließend Dr. Ina Konietzko aus dem MB-Landesvorstand, die aus ihrer Erfahrung als Neurochirurgin in ihrem persönlichen medizinischen Umfeld für das „Dänische Modell“ warb, weil auch in Deutschland eine Konzentration für deutlich mehr Qualität in den Kliniken sorgen würde. Bereits vor 20 Jahren merkte man in Dänemark, dass zwar viele Kliniken „alles machen, aber nur wenige es richtig und richtig gut“. So wurden 5,7 Milliarden Euro – etwa 1.000 Euro pro Einwohner – um aus etwas vier Häusern eine moderne Superklinik zu entwickeln. Auf Deutschland übertragen bedeute das laut Bertelsmann Stiftung eine Investitionssumme von 80 Milliarden, um die vorhandenen 1.400 Krankenhäuser auf 600 Kliniken zu reduzieren mit 50 Universitätskrankenhäusern im Sinne maximal versorgender „Superkliniken“ . Konietzko sah nicht die hohe erforderliche Investitionssumme als Hinderungsgrund für eine derartige Qualitätsoffensive sondern die wahltaktisch motivierte Unehrlichkeit der Politiker und Politikerinnen gegenüber der Bevölkerung. Es sei einfach heute nicht mehr möglich, den gestiegenen medizinischen Herausforderungen mit entsprechend qualifiziertem Personal und modernster technischer Ausstattung in allen Häusern gerecht zu werden. Vielerorts fehle es an Personal, um selbst Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften, 24 Stunden täglich umsetzen zu können. Trotzdem suggeriere man den Wählern und Wählerinnen, dass sie überall eine hervorragende Versorgung wohnortnahe fänden. Konietzko sieht in der Zentralisierung und Verschlankung der Krankenhausstruktur einen großen Qualitätsgewinn für die medizinische Versorgung in Deutschland.
Sonja Schniewindt, ebenfalls Vorstandsmitglied, in Weiterbildung zur Fachärztin für Innere Medizin und Anästhesie, analysierte den Themenkomplex aus der Perspektive eines eher kleinen, ländlichen Versorgers sowie ihrer Notarzttätigkeit. Dazu kategorisierte sie die Patienten in drei Gruppen abhängig von ihrem Versorgungsbedarf: Der erste Teil benötige eine eindeutige hochspezialisierte Versorgung, die in entsprechende Zentren sehr gute, fachspezifische Qualität bekämen. Ein zweiter Teil seien die Akut-Patienten, die interdisziplinär und schnell versorgt gehörten. Gerade im Notarzteinsatz wäge man ständig zwischen kurzem Weg oder umfassenderer Versorgung ab, um im Zweifel eine weitere Verlegungsfahrt zu vermeiden und für den Pateinten wertvolle Zeit zu verlieren. Hier sah Schniewindt den Einsatz der Telemedizin bzw. IT-Unterstützung nur begrenzt hilfreich. Auf die Expertise je nach Krankheitsbild durch entsprechendes Fachpersonals am Patienten ließe sich nicht verzichten. Sie forderte eine ehrliche Evaluation der Notfallversorgungsstrukturen und die Definition einer „kritischen Größe“ bezüglich Bettenzahl und Fachabteilungen, ab derer eine interdisziplinäre Versorgung rasch und qualitativ hochwertig gewährleistet werden kann. Die dritte identifizierte Gruppe stellten die chronischen, multimorbiden und meist auch geriatrischen Patienten. Sie benötigten häufig einen erhöhten pflegerischer Bedarf, ärztlicherseits reichte meist eine geringe Intensivierung der Betreuung. Sie bezeichnete das gerne als „stationäre Hausarztversorgung". Schniewindt verwies auf das in ihren Augen zielführende Konzept der intersektoralen Gesundheitszentren, die allerdings noch um eine pflegerische Versorgung ergänzt werden sollten. An dem bisherigen Kooperationsansatz zwischen den Kliniken zweifelte sie. Oft bestünden sie lediglich auf Papier, endeten spätestens an der regionalen Grenze oder am unterschiedlichen Träger. Sie forderte neue Konzepte sowohl im stationären Setting, in der Verzahnung zur ambulanten Weiterversorung als auch im Bereich der Weiterbildung. In der Schweiz beispielsweise müssten Abschnitte an jeder Versorgungsstufe geleistet werden, das die gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung deutlich verbessere.
Ein Beispiel, wie diese Grenzen durch überregionale Kooperation überwunden werden können, erläuterte im letzten Beitrag Martin Lücke, langjähriger MB-Vorstand, Anästhesist und Oberarzt am Klinikum in Coburg. Am Beispiel der REGIOMED Kliniken GmbH stellte Lücke, der Vorsitzender des Konzern- Betriebsrats und Mitglied des Aufsichtsrats ist, die Vorteile dieses Zusammenschlusses von vier kommunalen Kliniken in Oberfranken und Süd-Thüringen dar. Unter dem Dach des Konzerns werden unter anderem sechs Klinikstandorte, 10 MVZs, 6 Senioreneinrichtungen, eine Medical School sowie eine Servicegesellschaft betrieben. Die kommunale Trägerschaft stelle eine besondere Herausforderung dar: Versorgungsauftrag, lokale Sonderwünsche und Einflussnahme und betriebswirtschaftliche Gesamtverantwortung seien im kommunalen Bereich schwer in Einklang zu bringen. So könne man in Bezug auf Effizienz von den privaten Trägern lernen. Krankenhäuser jedoch als „Profit-Center“ zu missbrauchen, kritisierte Lücke deutlich. Die Stärkung des Schwerpunkt- Klinikums im Verbund sei die neue Perspektive: jede beteiligte Gebietskörperschaft habe 25% Anteil am Konzern und sei entsprechend an jeder Klinik beteiligt. Manches Kreistagsmitglied müsse hier „regionales Denken“ erst erlernen. Demgegenüber sei der Zusammenhalt der Mitarbeiter über die Standorte gerade in der „Corona-Zeit“ gewachsen und helfe, Personalengpässe auszugleichen.
Er verwies ähnlich wie seine Vorrednerinnen auf den dringenden Bedarf einer Neuregelung der ambulanten Versorgung: „Gerade Corona hat gezeigt, dass wir für eine gute Patientenversorgung in der Region einen steigenden Bedarf an leistungsstarken Intensivstationen haben, die in vertretbarer Transportzeit zu erreichen sind. Dies geht nur am regionalen Schwerpunkt- Krankenhaus.“ Dieser Gedanke müsse - auch im Hinblick auf den demographischen Wandel - in die Krankenhausplanung der Länder Einzug finden, denn bis zur Fertigstellung von Krankenhäusern gingen in der Regel ca. 15 Jahre ins Land.
Praxis prallt auf Theorie
In der Überleitung zur nachfolgenden Diskussion betonte Dr. Andreas Botzlar, dass die ersten drei Statements sich eher aus der Theorie genähert hätten, hingegen Lücke plastisch die praktischen Umsetzungs-Stolpersteine geschildert habe. Die vielen kommunalen Interessen in Bayern zeigten deutlich, dass der Radius der Planungsregion für eine vernünftige Patientenversorgung zu gering sei. Tagsüber würde die Vorhaltung in kleineren Häusern zwar funktionieren, in der Nacht und am Wochenende meldeten sich diese jedoch regelhaft aus der Versorgung wegen Nichtbesetzung ab. Daher bräuchte es zwingend die zentrale Einheit, die so ausgestattet ist, dass sie aus einem größeren Umkreis jederzeit vom Rettungswagen angefahren werden könne.
In den Beiträgen der Delegierten spiegelte sich deutlich die persönliche Erfahrung wieder. Dr. Egbert Knöpfle, der lange Jahre bei einem Maximalversorger tätig war, aktuell in einem Verbund sechs kleinerer Häuser, pflichtete der Zentralisierungs- und Konzentrationsforderung aus dieser Erfahrung bei. Auch unterstütze er die Forderung von Schniewindt, dass es neben den Abteilungen Innere, Chirurgie und Anästhesie zwingend die Neurologie, Gynäkologie und Urologie für eine sichere Versorgung benötige. Da lande man bei 250 Betten, eine Größe, in der es sich qualitativ vernünftig arbeiten ließe. In seiner Wortmeldung pflichtete Vorstandsmitglied Dr. Florian Gerheuser seinem Vorredner absolut bei und forderte dafür eine strukturierte vertikale Kooperation zwischen ambulant und stationärem Sektor. Man müsse dem Patienten klar machen, dass nicht jede Klinik jede spezialisierte Medizin in guter Qualität anbieten könne. Nach Gehrheusers Kenntnis, gäbe es einen sehr beliebten Arbeitgeber in Dingolfing, der seine Mitarbeiter poolt nach Bedarf stundenweise durch die Nacht fährt.
In seinem Schlusswort dankte Botzlar allen Referenten und Delegierten für die interessanten und regen Austausch und regte an, die Idee einer Etablierung stationärer Allgemeinmedizin mit guter Pflege weiterzudenken.
Im Anschluss fand der interne Teil der Landesversammlung mit Berichten, Jahresabschluss, Haushalt und Anträgen sowie Beschlüssen statt.