„Ich kenne den Marburger Bund nicht ohne Frau Ermer“, machte Dr. Helmut Friedlein bei seiner Laudatio auf der Mitgliederversammlung im September deutlich, wie eng der Verband mit der Internistin aus Eilenburg verbunden ist, die seit 2010 auch Mitglied im MB-Bundesvorstand ist. In dieser Funktion hat sie maßgeblich dazu beigetragen, dass die Diskussion um den Frauenanteil in Führungspositionen in MB-Gremien intensiv geführt wurde und diese Diskussion letztlich in einer Regelung zur Geschlechterquote im Bundesvorstand mündete.
Dabei war der Eintritt von Dipl.-Med. Sabine Ermer in den MB kurz nach der Wende zunächst keine bewusste Entscheidung für diesen Verband, sondern das Resultat eines Kopplungsvertrags bei einem Versicherungsabschluss. „Den MB kannte ich gar nicht. Innerhalb weniger Monate änderte sich mit der Wiedervereinigung alles für uns. Wir haben unzählige Versicherungen und Verträge abschließen müssen, die es vorher in der DDR nicht gab und deren Tragweite wir zu diesem Zeitpunkt nicht abschätzen konnten. Es war ein riesiges Rauschen an neuen Dingen. Ich hatte den Kopf gar nicht frei dafür, um mich aktiv mit dem MB zu befassen.“
Heute sei das anders, so Ermer: Der MB ist schon im Studium integraler Bestandteil. Die Studierenden kommen kontinuierlich mit den Angeboten und der Arbeit des Verbandes in Kontakt. In der Weiterbildung setzt sich das fort. Der MB ist heute anders als kurz nach dem Fall der Mauer auch in den neuen Bundesländern jedem approbierten Arzt ein Begriff.
Frau Dipl.-Med. Ermer nahm nach ihrem Beitritt erstmals Kontakt mit dem Verband auf, als sie Unterstützung benötigte: In den frühen 90er Jahren sollte sie eine geringere Vergütung erhalten, als es ihrer Qualifikation entsprach. „Ich fand das empörend und habe mich an den damaligen Geschäftsführer des MB Sachsen gewendet.“ Der Konflikt wurde zentral geklärt – die Verbindung zum MB blieb. Noch im gleichen Jahr, in dem die heutige Ehrenvorsitzende die Rechtsberatung des MB Sachsen anfragte, wurde ein neuer Vorstand gewählt. Unter den Beisitzern: Dipl.-Med. Sabine Ermer. Das war 1994. Ab 2003 war sie stellvertretende Vorsitzende, von 2006 bis 2021 dann Vorsitzende des Landesverbandes.
„Der MB war und ist noch heute ein Verband jenseits von Partei- oder Religionszugehörigkeit. Ich hatte hier plötzlich Kontakt zu Menschen, die ich sonst nicht getroffen hätte: Universitätsprofessoren, Ärztinnen und Ärzten aus Großkrankenhäusern, Menschen aus anderen Regionen und aus anderen Bundesländern. Man konnte gemeinsam etwas bewegen. Dieser Austausch innerhalb des MB Sachsen und auf den bundesweiten Hauptversammlungen war bereichernd. Das Mitgestalten war anders als in der DDR nicht an eine bestimmte berufliche Stellung oder an die Zugehörigkeit zu einer Partei gebunden“, schwärmt sie. Und auch heute sitzen im Vorstand des MB Sachsen Ärztinnen und Ärzte jeder Hierarchieebene gleichberechtigt nebeneinander, um sich für ihre Gemeinsamkeiten stark zu machen.
MB wird zur eigenständigen Gewerkschaft
Die Zeit bis in die 2000er Jahre bezeichnet die langjährige Vorsitzende als „Findungsphase“ im Verband, und macht deutlich: „Wir mussten in den Ost-Verbänden erst an Strukturen aufbauen, was in den alten Bundesländern 40 Jahre lang wachsen konnte. Ärzteverbände gab es in der DDR nicht. Über einen Verband gesellschaftliche Veränderungen anzustreben - darin hatten wir keine Erfahrung.“
Die noch junge Professionalität des MB Sachsen wurde auf die Probe gestellt, als neben der Verbandsarbeit auch Gewerkschaftsarbeit gefordert war: Die neue Arbeitszeitrichtlinie 2003 bewirkte eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes im Folgejahr – mit wesentlichen Auswirkungen auf Bereitschaftsdienste, die ab dato in vollem Umfang bei der Berechnung der Höchstarbeitszeit zu berücksichtigen waren. Der für Ärzte geltende Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) wurde 2005 neu verhandelt. Das Mandat für die Verhandlungen der Ärzte-Tarifverträge lag bei der Gewerkschaft Ver.di.
Vor allem die jungen Ärztinnen und Ärzte waren unzufrieden mit den Verhandlungen – und der MB entzog auf ihren Druck auf der „legendären“, wie sich Dipl.-Med. Ermer erinnert, Hauptversammlung im Jahr 2005 Ver.di kurz vor Tarifabschluss die Verhandlungsvollmacht für die Ärzteschaft. „Es kam zu einer Revolution von unten, und wir wurden selbst als Verhandlungspartner aktiv“, erinnert sich die Internistin. Jurist Steffen Forner, der im April 2003 als Geschäftsführer zum MB Sachsen kam, fand sich in der Rolle eines Verhandlungsführers in einer Ärztegewerkschaft wieder.
Um ihre Forderungen durchzusetzen, streikten Ärztinnen und Ärzte 2006 deutschlandweit öffentlichkeitswirksam. Unter den Demonstranten am Rande der Fußballweltmeisterschaft in Leipzig war auch Dr. Helmut Friedlein, damals Assistentensprecher der Uniklinik Leipzig. Es folgten harte Verhandlungen über mehrere Monate, in denen im Wochentakt Großkundgebungen mit mehreren tausend Teilnehmern in ganz Deutschland durch den MB organisiert wurden. „Das hätte auch schiefgehen können. Ein Erfolg war nicht sicher, im Ergebnis konnten wir uns aber als eigenständige Tarifvertragspartei durchsetzen“, stellt Forner 15 Jahre später fest. In Sachsen gibt es seit 2006 eigenständige MB-Tarifverträge zunächst in den Unikliniken und später auch in kommunalen und privat geführten Kliniken. Aktuell befinden sich 26 Tarifobjekte mit mehr als 35 Kliniken in sächsischer Verantwortung. Daneben werden für weitere sächsische Klinikstandorte vom MB Bundesverband Tarifverträge verhandelt, die in mehreren Bundesländern gelten.
„Mit den Kundgebungen 2006 ist der MB in Sachsen gut 15 Jahre nach seiner Gründung nach außen sichtbar geworden. Innerverbandlich hatten wir uns gut aufgestellt, um die damit gestiegenen Anforderungen der Mitglieder bewältigen zu können“, resümiert Dipl.-Med. Ermer, und stellt fest: „Es ist nicht selbstverständlich, dass wir in Sachsen einen solchen Verband aufgebaut haben, der heute mit fast allen sächsischen Krankenhäusern Tarifverträge verhandelt und seine Mitglieder dabei unterstützt, diese auch umzusetzen. Nur unser Organisationsgrad und die Mitwirkung der Ärzteschaft machen es möglich, dass nicht jede Ärztin und jeder Arzt für sich allein verhandeln müssen“, macht Dipl.-Med. Sabine Ermer deutlich, dass Mitbestimmung vom Engagement der Mitglieder lebt.
MB Sachsen will berufspolitischen Einfluss ausbauen
Einem konstanten Kern an engagierten Mitgliedern ist es über die Jahre immer wieder gelungen, angehende und junge Ärztinnen und Ärzte für die Mitgliedschaft und die aktive Arbeit im Verband zu begeistern. Heute ist das Durchschnittsalter im MB Sachsen 37 Jahre, im Vorstand 44 Jahre. „Um etwas zu bewegen, braucht es die Erfahrung der Älteren gepaart mit der Dynamik der Jüngeren“, findet die Ehrenvorsitzende.
Dabei müssen ihrer Ansicht nach die Schwerpunkte des Verbandes vielfältig bleiben: „Mich hat vor allem die berufspolitische Arbeit im MB begeistert. Ich möchte nicht nur Arbeitsbedingungen mitbestimmen, sondern auch Berufs – und Gesundheitspolitik“. Ihr Wunsch für die Zukunft des MB Sachsen: „Wirksame Berufspolitik! Wir müssen dahin kommen, dass Entscheidungsträger in der Gesundheits- und Sozialpolitik ganz selbstverständlich bei dem MB anfragen, wenn Veränderungen anstehen. Die Meinung und Erfahrung der Krankenhausärzte sind bislang unterrepräsentiert.“
Die Weichen dafür sind gestellt: Wie auch Dipl.-Med. Sabine Ermer ist Dr. Helmut Friedlein gewähltes Mitglied der Kammerversammlung der sächsischen Landesärztekammer. Der neue Vorsitzende Torsten Lippold vertritt den MB Sachsen in der Zukunftswerkstatt des Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zur Novellierung des SächsKHG. Er ist seit 18 Jahren MB-Mitglied, seit 2018 im Landesvorstand und zudem Aufsichtsratsmitglied im Klinikum Chemnitz. „Neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Ärztlichen Dienst liegt mir besonders eine stärkere Teilhabe der Ärztinnen und Ärzte an den notwendigen Veränderungen im Gesundheitssystem am Herzen“, positionierte sich Torsten Lippold in der konstituierenden Vorstandssitzung im September.
Dipl.-Med. Sabine Ermer wird an diesen Entwicklungen weiter teilhaben: Als Ehrenvorsitzende bleibt sie auf Lebenszeit zu jeder Vorstandssitzung eingeladen. Wer sie kennt, weiß, dass sie auch ohne aktive Vorstandsmitgliedschaft im Landesverband Sachsen engagiert bleiben wird: „Ich will etwas bewegen! Ich verrate noch nicht wo, aber ich werde mich in jedem Fall weiter einbringen.“