An welchen Häusern werden dieses Jahr Tarifverhandlungen geführt?
Andreas Wagner: Im Moment dreht sich fast alles um die Tarifverhandlungen für kommunale Kliniken (TV-Ärzte/VKA), für die wir uns seit Herbst letzten Jahres in der Tarifrunde befinden.
Ab dem Sommer wird dann auch an den Unikliniken in Hessen ein neuer Tarifvertrag verhandelt.
Daneben führen wir (Haus)-Tarifverhandlungen für fast 20 Krankenhäuser in ganz Hessen, von Lorsch bis Rotenburg an der Fulda sowie an Häusern im Rhein-Main-Gebiet. Erfreulich ist, dass ein neuer Klinikträger den Wert eines arztspezifischen Tarifvertrags erkannt hat und mit uns darüber verhandelt, die BDH-Klinik in Braunfels.
Was ist der aktuelle Stand bei den Tarifverhandlungen mit den kommunalen Krankenhäusern?
Nach drei Verhandlungsrunden haben wir im Dezember ein Angebot unterbreitet bekommen, was aus unserer Sicht eine Provokation ist. Mein Eindruck ist, dass die aktuelle Pandemiesituation und die Zurückhaltung der Ärztinnen und Ärzte in der aktuellen Coronawelle einen Streik durchzuführen, schamlos ausgenutzt wird. Das Angebot ist aus wirtschaftlicher Sicht ein Schlag ins Gesicht. Bei den Dienstgrenzen führt das Angebot zu einer noch höheren Belastung der Ärztinnen und Ärzte. Krankenhausgeschäftsführer predigen immer, die Attraktivität des Arztberufes steigern zu wollen. Das sind aber nur Sonntagsreden, am Montag darauf wird gleich wieder an der Belastungsschraube gedreht.
Wie geht es weiter?
Mitte Februar wird weiter verhandelt. Momentan bin ich äußerst skeptisch, ob die kommunalen Kliniken die Zeichen der Zeit erkannt haben. Bei solchen „Angeboten“ braucht man sich nicht zu wundern, dass laut unserer jüngsten Umfrage fast ein Drittel der befragten Krankenhausärztinnen und –ärzte wegen Überlastung den Arbeitsplatz Krankenhaus verlassen wollen.
Was erwarten Sie bei den Verhandlungen an den Unikliniken?
An den Unikliniken gehen wir jetzt in den Gremien in die Vorbereitungen im Hinblick auf die Frage, was kündigen wir und was fordern wir. In Hessen haben wir in den Tarifverhandlungen für die Unikliniken immer eine Sondersituation. Das Land Hessen begründet seinen tarifpolitischen Alleingang nach dem Austritt aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder damit, bessere Regelungen für die Beschäftigten zu vereinbaren. Das wollen wir mal sehen…
Wie sieht es sonst an den hessischen Kliniken aus?
Bei den Krankenhäusern, bei denen wir außerhalb der kommunalen oder Universitätskliniken in Tarifbindung stehen, laufen gerade auch Tarifverhandlungen. Dort verhandeln Ärztinnen und Ärzte ihre Arbeitsbedingungen selbst .
Anders sieht das in Krankenhäusern aus, die keine arztspezifischen Tarifverträge des Marburger Bundes haben, zum Beispiel einzelne Ketten wie die Median-Kliniken, kirchliche Krankenhäuser oder einzelne Krankenhäuser wie die Kreisklinik Darmstadt-Dieburg GmbH. Dort sieht man, dass Arbeitsbedingungen, die nicht vom Marburger Bund verhandelt wurden, aus meiner Sicht für Ärztinnen und Ärzten nachteiliger und intransparenter sind.
Wie sieht es im ambulanten Bereich aus, in Praxen und MVZ?
Das ist ein Bereich der tariflich noch nicht geregelt ist. Aber auch das ist aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit. Aktuell stehen wir mit einem ersten MVZ im Kontakt, um arztspezifische Regeln in einem Tarifvertrag für die dortigen Ärztinnen und Ärzte zu vereinbaren.
Bis dahin beraten wir angestellte Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich individuell. Hier ist eine fundierte Beratung durch unsere Anwältinnen und Anwälte äußerst wichtig. Unsere Mitglieder vermeiden dadurch „Fallstricke“ und können bessere Arbeitsbedingungen erreichen.
Leider wissen viele angestellte Ärztinnen und Ärzte noch nicht, dass der Marburger Bund auch im ambulanten Bereich berät und hilft, gute Arbeitsbedingungen zu erreichen.
Was läuft derzeit nicht rund in Hessen?
Ich habe den Eindruck, dass Klinikträger und Politik die Arbeit der Ärztinnen nicht ausreichend auf dem Schirm haben und wertschätzen. Auch in der öffentlichen Diskussion finden die Interessen der Ärztinnen und Ärzte noch zu wenig Beachtung. Dazu findet ein ärztlicher Stellenabbau im Krankenhaus statt.
Von einer Zeiterfassung, die die gesamte ärztliche Arbeitszeit ehrlich ohne Hürden, Tricksereien und Repressalien erfasst, sind die meisten hessischen Krankenhäuser noch weit entfernt. Da befinden sie sich deutschlandweit in bester „schlechter Gesellschaft“.
Wie im gesamten Bundesgebiet gibt es auch in Hessen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst keinen arztspezifischen Tarifvertrag, obwohl dies mit den Arbeitgebern (VKA) so vereinbart war. Dieser Wortbruch ist für mich ein tarifpolitischer Skandal.
Was versprechen Sie sich von den Tarifverhandlungen für das Jahr 2022?
Es werden wie immer mühsame und zähe Verhandlungen. Die Pandemiesituation verschärft dies, gerade für uns als Arbeitnehmervertreter. Der aktuelle Trend vieler Krankenhausträger, Arztstellen abzubauen, Arbeit zu verdichten und nur marginale Gehaltssteigerungen anzubieten, macht die Situation noch schwieriger.
Ich bin dennoch zuversichtlich, gute Ergebnisse zu erzielen, vor allem, wenn die Ärztinnen und Ärzte als Mitglieder im Marburger Bund geschlossen sind und uns dabei unterstützen. Die große Zahl unserer Mitglieder ist die Basis unserer Tarifergebnisse, um die uns viele beneiden.