Welche Art von Rassismus und Diskriminierung gibt es im Gesundheitswesen?
Dr. Emami: Im Gesundheitswesen gibt es genau wie in der Gesellschaft Rassismus und Diskriminierungen, teils aufgrund der Herkunft, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. Auch Auseinandersetzungen um gendersensible Sprache begegne ich immer wieder, genauso wie ausfallenden Bemerkungen oder nicht angemessenen Bezeichnungen unterschiedlicher Ethnien.
Sie, Dr. Emami, sind als 14-Jähriger mit Ihren Eltern aus dem Iran nach Deutschland ausgewandert. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Dr. Emami: Ich lebe ja nun schon seit fast 40 Jahren in Deutschland und stelle fest, dass sich viel zum Positiven bewegt hat. In meiner Jugendzeit gab es mehr offen rassistische Bemerkungen. Im Alltag heute begegnen mir zum Glück viele Dinge nicht mehr, die mir als Jugendlicher und junger Mann sehr zugesetzt haben. Aber es ist schwer zu sagen, ob dies nicht in erst Linie mit meiner gesellschaftlichen Position und Lebenssituation zusammenhängt.
Dr. Wulff, denken Sie auch, dass hier ein Wandel stattgefunden hat?
Dr. Wulff: Im Grunde stimme ich dem zu. Es gibt heute eine größere Sensibilität beim Thema Rassismus und Diskriminierungen. Und es gibt ein größeres Bewusstsein dafür, dass Rassismus und Diskriminierungen Auswirkungen auf den Behandlungserfolg und das Arbeitsklima haben. Deshalb gehört gerade heute eine ärztliche Haltung zum Selbstverständnis, die jede Person akzeptiert und fördert. Eine Reflexion des eigenen Denkens, Redens und Handelns im Hinblick auf die angesprochenen Probleme gehört auch dazu.
Wie sollten Einrichtungen, Kliniken und Praxen damit umgehen, wenn rassistische oder diskriminierende Äußerungen oder Handlungen stattgefunden haben?
Dr. Emami: Das lässt sich schwer fassen, weil die Bandbreite der Möglichkeiten so groß ist. Bei Äußerungen geht es ja von unbesonnenen Kommentaren bis hin zu gemeingefährlichen Drohungen. Deshalb ist es wichtig, dass es Institutionen oder Stellen gibt, die Hilfe, Halt und Orientierung bieten. Dabei gilt es, auch mit Blick auf die gesamte Gesellschaft sensibel zu agieren: Wir schlagen in unserer Kritik oft einen sehr moralischen Ton an. Eine unbedachte, gleichwohl kränkende Bemerkung ist anders zu bewerten, als wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft systematisch bei der Entwicklung ihrer Karriere behindert werden. Augenmaß, Gewichtung und Bewertung der Fehltritte müssen angemessen sein. Mit harscher Kritik verhärten sich die Fronten.
Was kann die Ärztekammer tun?
Dr. Emami: Ich würde mich freuen, wenn der Dialog innerhalb der Ärzteschaft dazu intensiver geführt wird. Auf jeden Fall möchten wir signalisieren, dass wir ein offenes Ohr haben. Uns schwebt eine Anlaufstelle für Ärztinnen und Ärzte vor, die unterstützt, zuhört und Orientierungshilfen gibt bei Erfahrungen von Benachteiligung und Diskriminierungen – ganz gleich ob wegen des Geschlechts, der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung etc.
Dr. Wulff: Die Kammer ist durch die im Heilberufekammergesetz festgelegten Aufgaben für die Beratung ihrer Mitglieder zuständig. Der geplante Anlaufpunkt wird daher eher eine Lotsenfunktion haben. Ärztinnen und Ärzte, die diskriminiert wurden oder Benachteiligungen ausgesetzt waren, können dann Hinweise von der Kammer bekommen, welche Möglichkeiten sie haben. Das kann z.B. eine spezialisierte Beratung im juristischen, arbeitsrechtlichen oder psychologischen Bereich sein.
Ein Vorhaben der Ampelkoalition ist, Geschlechterdiskriminierung im Gesundheitswesen anzugehen und Gendermedizin auszubauen – das Thema Rassismus oder ethnische Diskriminierung wird nicht eigens genannt. Könnte man empfehlen, nach Hamburg zu schauen?
Dr. Emami: Als Bürger würde ich sagen, wäre schön, wenn auch das ausdrücklich formuliert würde. Aber ich sehe das mehr als unsere eigene Aufgabe an. Die Selbstverwaltung – hier die Kammer mit ihren mehr als 18.000 Mitgliedern – kann sozusagen als kleine Petrischale der Gesellschaft Dinge verändern, was dann auch ein Vorbild für andere sein kann. Einen Schritt gab es schon vor drei Jahren: Da haben die neu gewählten Delegierten den ersten Kammerpräsidenten in Deutschland mit Migrationsgeschichte gewählt und die erste weibliche Vizepräsidentin in Hamburg. Die Gelassenheit und Natürlichkeit, mit der diese Entscheidungen gefallen sind, rechne ich meinen Kolleginnen und Kollegen extrem hoch an, weil sie gezeigt haben, dass es völlig egal ist, wie ich aussehe oder wo ich herkomme oder was mein Hintergrund ist. Einzig und allein war wichtig, was ich zu sagen hatte. Das ist der beste Zuspruch, den man als Mensch mit Migrationshintergrund erfahren kann: die Natürlichkeit, einfach dazuzugehören.
Das vollständige Interview, geführt von Dorthe Kieckbusch und Sebastian Franke, ist im Hamburger Ärzteblatt (Ausgabe 03/22) nachzulesen.