Welche Veränderungen bringt Ihrer Meinung nach die anstehende Krankenhausreform im Hinblick auf die ärztliche Weiterbildung mit sich?
Unger: Die bevorstehende Krankenhausreform wird zu einer verstärkten Spezialisierung führen, was bedeutet, dass zukünftig nicht mehr alle Kliniken einer Fachrichtung das gesamte Weiterbildungsprogramm anbieten können. Es wird daher notwendig sein sicherzustellen, dass diejenigen, die sich in der Facharztweiterbildung befinden, tatsächlich alle relevanten Inhalte durchlaufen können, zum Beispiel durch Verbundweiterbildung. Unabhängig von zukünftigen Veränderungen, wie der Krankenhausreform, ist und bleibt die ärztliche Weiterbildung stark von den personellen Ressourcen und dem Engagement einer Klinik abhängig. Im Klinikalltag hat die Patientenversorgung immer oberste Priorität, erst wenn diese sichergestellt ist, kann der Fokus auch gezielt auf die Weiterbildung gestellt werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass ausreichende Personalressourcen vorhanden sind, um eine effektive Weiterbildung zu ermöglichen. Andernfalls wird die Weiterbildung nur nebenher erfolgen, was nicht zur Regel werden sollte. Weiterbildung muss strukturiert erfolgen und darf nicht nur das sein, was man im klinischen Alltag eher zufällig an Wissen und Fertigkeiten mitnimmt. Ärztliche Weiterbildung ist eine grundlegende Säule unserer Tätigkeit und essenziell für die zukünftige Patientenversorgung.
Kann die ärztliche Weiterbildung in Zukunft zu einem Wettbewerbsvorteil für Krankenhäuser werden?
Eine qualifizierte Weiterbildung kann in Zeiten des Personalmangels zu einem bedeutenden Wettbewerbsvorteil werden. Die Unterschiede in den finanziellen Anreizen zwischen den Kliniken sind nicht mehr so entscheidend. Vielmehr ist neben dem Arbeitsklima im Team die Qualität der Weiterbildung für Ärzte und Ärztinnen in Weiterbildung ausschlaggebend. Wenn diese feststellen, dass sie eine erstklassige Weiterbildung erhalten und so gut auf ein späteres selbständiges Arbeiten vorbereitet werden, steigt ihre Zufriedenheit und auch der Zusammenhalt im Team wird gestärkt. Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese Ärztinnen und Ärzte langfristig an das Krankenhaus gebunden werden und die Kontinuität im Team gewährleistet ist. Auch die Weiterbildenden (egal ob ChefärztInnen, OberärztInnen, FachärztInnen oder ÄrztInnen in fortgeschrittener Weiterbildung) profitieren von einer guten Weiterbildung, da eine hochwertige Ausbildung es ermöglicht, dass bestimmte Aufgaben früher zuverlässig übernommen werden können. Dadurch gewinnen die Weiterbildenden Zeitressourcen, die direkt in die Weiterbildung reinvestiert werden können. Es ist wichtig, langfristige Ziele in der Weiterbildung zu verfolgen und nicht nur aufgrund begrenzter Zeitressourcen einen kurzfristigen Fokus zu setzen. Weiterbildung erfordert Zeit, und diese ist von entscheidender Bedeutung.
Welche Einschätzung haben Sie bezüglich der Zukunftsfähigkeit der Krankenhäuser für kommende Generationen?
Unger: Wir erkennen, dass es innerhalb der Ärzteschaft unterschiedliche Vorlieben gibt, insbesondere im Hinblick auf Wochenend- und Bereitschaftsdienste. Einige Kolleginnen und Kollegen legen mehr Wert auf Freizeitausgleich, während für andere der finanzielle Aspekt im Vordergrund steht. Es ist wichtig, dass ein Krankenhaus Modelle entwickelt, die verschiedene Interessen berücksichtigen. Denn die Bedürfnisse bezüglich Arbeitszeit variieren je nach Lebenssituation erheblich. In unserem Krankenhaus bieten wir beispielsweise verschiedene Arbeitszeitmodelle an, insbesondere Teilzeitoptionen. Denn viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entscheiden sich aus wichtigen Gründen, wie der Betreuung von Kindern oder der Pflege von Angehörigen, für die Teilzeitarbeit. Diese unterschiedlichen Modelle umzusetzen, erfordert zwar eine aufwendigere Planung, führt aber zu zufriedeneren Mitarbeitenden. Und schon aus diesem Grund lohnt es sich das anzugehen.
Welche Maßnahmen halten Sie für erforderlich, damit Weiterbildende auch zukünftig eine qualitativ hochwertige Ausbildung gewährleisten können?
Unger: Es ist eine unserer primären Aufgaben in den Kliniken, Weiterbildung durchzuführen. D.h. nicht nur Unterschriften nach einer bestimmten Anzahl von Jahren zu leisten, sondern die Weiterbildungszeit zu strukturieren und mit Inhalten zu füllen. Hierfür wird neben persönlichem Engagement vor allem Zeit benötigt. Allerdings ist es derzeit im ärztlichen Bereich immer noch so, dass viel wertvolle Zeit für andere Aufgaben verloren geht, z.B. für eine überbordende Dokumentationspflicht. Hier liegt aber auch ein großes Potenzial zur Effizienzsteigerung, welches dringend genutzt werden muss. Um besser mit den vorhandenen Zeitressourcen umzugehen, könnte etwa auch künstliche Intelligenz im ärztlichen Alltag eingesetzt werden, insbesondere bei Tätigkeiten wie dem Verfassen von Arztbriefen, die oft gerade für nicht-muttersprachliche Kolleginnen und Kollegen einen hohen Zeitaufwand bedeuten. Künstliche Intelligenz als Unterstützung ist inzwischen auch kein unrealistisches Zukunftsszenario mehr. Es gibt inzwischen viele Softwarelösungen, die gerade bürokratische Prozesse vereinfachen können. Ein weiterer Aspekt ist die Überlegung, welche Aufgaben im Krankenhaus von anderen Berufsgruppen übernommen werden könnten. Es besteht die Möglichkeit, dass neue Berufsgruppen bestimmte Tätigkeiten übernehmen, für die weder eine abgeschlossene Pflegeausbildung noch ein Medizinstudium erforderlich ist. Wenn wir die Zeit, die durch solche Maßnahmen eingespart wird, in die Weiterbildung investieren, würden wir bereits einen großen Fortschritt erzielen. Ich denke, dass zukünftig eine gewisse Umverteilung von Aufgaben unumgänglich sein wird, denn aufgrund der demographischen Entwicklung werden einer immer älter werdenden Gesellschaft und einer zunehmenden Zahl an Krankheitsfällen immer weniger (ärztlichem) Fachpersonal gegenüberstehen.
Welche Fortschritte wurden Ihrer Ansicht nach seit der letzten Kammerwahl 2019 im Bereich der Weiterbildung erzielt?
Unger: Ein sehr wichtiger Schritt war die Verabschiedung der Musterweiterbildungsordnung und ihre Anpassung für unser Bundesland, wobei der Marburger Bund einen wesentlichen Beitrag geleistet hat. Besonders erwähnenswert ist die Flexibilisierung der Weiterbildung in Teilzeit. Des Weiteren wurde die strenge 6-Monats-Pflicht für einen Weiterbildungsabschnitt aufgehoben und flexiblere Zeiträume geschaffen, die besser die Arbeits- und Lebensrealität der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung widerspiegeln. Auch die Inhalte der Weiterbildung wurden überarbeitet. Die Landesärztekammer des Saarlandes, als zuständige Institution zur Schaffung der Rahmenbedingungen für die ärztliche Weiterbildung, überprüft verstärkt, ob die Weiterbildenden die vorgeschriebenen Inhalte tatsächlich in ihren Einrichtungen anbieten. Diese Überprüfung bietet den Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung eine erhöhte Sicherheit und Zuversicht hinsichtlich der Qualität ihrer Ausbildung.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Weiterbildung und des Krankenhauses?
Unger: Weiterbildung ist eine Teamaufgabe, bei der alle, einschließlich Fach- und OberärztInnen, zusammenarbeiten müssen. Ich wünsche mir auch, dass die Weiterzubildenden aktiv ihre Lerninhalte einfordern. Auch begrüße ich konstruktives Feedback, z.B. wenn jemand feststellt, dass bestimmte Inhalte in meiner Weiterbildung fehlen. Ein kritischer Blick ist hier durchaus erwünscht und für mich auch ein Zeichen von Interesse auf Seiten der Weiterzubildenden. Die Weiterbildung hat gleichermaßen eine Hol- wie Bringschuld. Wenn die Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren funktioniert, kann es gelingen, viele Lerninhalte auch in einem hektischen Klinikalltag zu vermitteln. Es wäre auch wünschenswert, wenn Krankenhäuser bei der Berechnung der notwendigen Arztstellen nicht nur das Arzt-zu-Patienten-Verhältnis, sondern auch die Weiterbildung in die Planung mit einbeziehen würden. Es wäre ideal, wenn jemand auf der Ebene eines Ober- oder Facharztes/-ärztin zusätzliche Ressourcen frei hätte und sich primär um die Weiterbildung kümmern könnte. Angesichts des aktuellen Personalmangels bleibt dies jedoch eher eine Idealvorstellung. Was das Krankenhaus der Zukunft angeht, plane ich in unserem Hause ein Pilotprojekt. Dieses Projekt soll eine gemeinsame Initiative des Marburger Bundes Saar, unserer Klinik und der Jungen Kammer der Landesärztekammer sein. Es soll sich mit den Wünschen der Mitarbeiter und den dafür erforderlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen.
Sie sind derzeit Mitglied im Ausschuss für Ärztinnen und Ärzte mit ausländischer Qualifikation der Saarländischen Ärztekammer. Welche Ziele verfolgt dieser Ausschuss und welche Erfolge wurden bisher erzielt?
Unger: Der Ausschuss unterstützt Kolleginnen und Kollegen mit ausländischer Qualifikation bei ihrem beruflichen Einstieg in Deutschland. Dies umfasst einerseits die Vereinfachung dieses Einstiegsprozesses und andererseits die Bereitstellung wichtiger Informationen, die für sie zugänglich sein müssen. Eine weitere wichtige Aufgabe des Ausschusses besteht darin, sich gegen Diskriminierung im Gesundheitswesen einzusetzen. Aus diesem Engagement heraus entstand die Kampagne "Gegen Rassismus und Sexismus in der Medizin". Trotz bisheriger Fortschritte bleibt auf diesem Gebiet noch viel zu tun. Zudem unterstützte dieser Ausschuss die Organisation einer Veranstaltung für Ärztinnen und Ärzte mit ausländischer Qualifikation, die vom Marburger Bund Saarland in Zusammenarbeit mit der Landesärztekammer durchgeführt wurde.
Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig zu wählen?
Unger: Jede Stimme trägt dazu bei, dass die eigenen Interessen (Angestelltenverhältnis, Weiterbildung, Altersvorsorge) in den politischen Prozessen berücksichtigt und umgesetzt werden können. Besonders für junge Wählerinnen und Wähler, die bei den vergangenen Wahlen eher unterrepräsentiert waren, ist es wichtig, dass ihre Anliegen Gehör finden. Auf unserer Liste zur Ärztekammerwahl sind viele junge Ärztinnen und Ärzte vertreten. Selbst wenn man am Anfang seiner beruflichen Laufbahn noch nicht stark an berufspolitischem Engagement interessiert ist, besteht gerade beim Marburger Bund Saarland die Möglichkeit, Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen, die sich z.B. hinsichtlich Alter und Weiterbildung in einer ähnlichen Situation befinden.