• Marburger Bund Schleswig-Holstein fordert verbindliche Personalvorgaben für Klinikärzte, eine objektive Zeiterfassung in Krankenhäusern und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf

    Herbstabend Marburger Bund Schleswig-Holstein: Experten aus Gesundheit und Politik diskutieren über die Zukunft des Gesundheitsstandortes Schleswig-Holstein
    12.Oktober 2017
    Kiel
    „In den vielen Jahrzehnten meines Berufsweges sehe ich wie viele andere den Arztberuf immer noch als einen Traumberuf an. Allerdings haben sich insbesondere in den letzten zehn Jahren die Vorzeichen deutlich geändert. Von einem Ort der Gastfreundschaft, dem Hospital, hin zu einem Wirtschaftsbetrieb. Vom Patienten zum Fall. Diese Entwicklung wird für die Krankenhausärztinnen und -ärzte in Schleswig-Holstein zu einer Zerreißprobe.“ Mit diesen Worten leitete der schleswig-holsteinische Marburger Bund-Vorsitzende Dr. Henrik Herrmann am Donnerstagabend die Diskussionsrunde ein, die sich auf Einladung der Ärztegewerkschaft Marburger Bund Schleswig-Holstein im Wissenschaftszentrum in Kiel versammelt hatte. „Zwischen Personalmangel und Arbeitsbelastung: „Wie zukunftsfähig ist der Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein?“, so lautete das Thema des Abends, zu dem rund 100 Gäste in die Landeshauptstadt gekommen waren.
    MB SH-Vorsitzender Dr. Henrik Herrmann im Gespräch mit Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg
    MB SH-Vorsitzender Dr. Henrik Herrmann im Gespräch mit Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg

    Neben Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg, diskutierten die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90 / Die Grünen, Dr. Marret Bohn, sowie die gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion (Dennys Bornhöft), der SPD-Fraktion (Bernd Heinemann) und der CDU-Fraktion (Hans Hinrich Neve) mit. Mit Kerstin Ganskopf, Landesvorsitzende Schleswig-Holstein, Verband der Krankenhausdirektoren e.V. und Dr. Roland Ventzke, Vorstandsvorsitzender 6K-Klinikverbund, kamen Vertreter des Klinikmanagements zu Wort.

    Die sich in Weiterbildung befindlichen Ärzte Dr. Swantje Brede (UKSH, Lübeck) und Dr. Bören Görke (UKSH, Kiel) sowie Marcin Herz (Leitender Oberarzt, Sana Klinik Lübeck) gaben einen Einblick in den Arbeitsalltag der Krankenhausärzte und warnten davor, dass unbesetzte Stellen durch Mehrarbeit der vorhandenen Ärztinnen und Ärzte ausgeglichen werden. „Ohne zusätzliches Personal im ärztlichen wie im pflegerischen Dienst wird sich an der Überlastungssituation nichts ändern. Deshalb brauchen wir dringend verbindliche Personalvorgaben in den Krankenhäusern“, sagte Dr. Swantje Brede, die sich im sechsten Jahr ihrer ärztlichen Weiterbildung befindet. Dr. Bören Görke, der neben seiner Tätigkeit in der Inneren Medizin als Assistentensprecher am Campus Kiel fungiert, spürt den Missmut vieler Kolleginnen und Kollegen. „Die Weiterbildungsvoraussetzungen sind aufgrund des Ökonomisierungsdrucks in den Kliniken schlechter geworden, weil viel zu wenig Weiterbilder für zu viele Weiterzubildende zuständig sind und weil schlicht die Zeit fehlt.“ Gute Weiterbildung von Ärzten könne nur dort stattfinden, wo die Rahmenbedingungen stimmten und genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt würden.

    Auch Dr. Joachim Schur, zweiter Vorsitzender des Marburger Bundes Schleswig-Holstein, betonte, dass die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen an den Kliniken Ärzte und auch Pflegekräfte mürbe machten, da sie immer mehr am Limit arbeiten müssten. Laut einer Umfrage der schleswig-holsteinischen Ärztegewerkschaft fühlten sich 89 Prozent der Krankenhausärztinnen und -ärzte überlastet und rund 40 Prozent überlegten, ihre Arbeit im Krankenhaus aufzugeben. „Das sind alarmierende Zahlen, die wir als Gewerkschaft und Berufsverband als Aufforderung verstehen, aktiv zu werden.“ So setze sich der Marburger Bund Schleswig-Holstein beispielsweise für die landesweite Einführung eines objektiven Zeiterfassungssystems ohne Kappung in den Krankenhäusern ein. „Überstunden und Mehrarbeit außerhalb der Zeiterfassung zu leisten, gefährdet die Gesundheit von Arzt und Patient.“

     Eine direkte Aufforderung an Politik und Krankenhausmanagement formulierte Ärztegewerkschafts-Chef Herrmann: „Machen Sie Ernst mit der Entbürokratisierung der ärztlichen Tätigkeit.“ Der Zeitaufwand der Verwaltungstätigkeiten wie Datenerfassung und Dokumentation betrage bei gut einem Viertel der Krankenhausärztinnen und -ärzte täglich zwei bis drei Stunden.

    Durch diese Tätigkeit würde den Ärzten wichtige Zeit geraubt, die sie für die Behandlung ihrer Patienten dringend bräuchten. Um dem Entgegenzuwirken befürworte der Marburger Bund Schleswig-Holstein die Beteiligung von Arztassistenten (Physican Assistants) an der Versorgung von Patienten im Krankenhaus, die Delegationstätigkeiten zur Arzt-Entlastung ausüben (beispielsweise das Schreiben von Arztbriefen).

    Herrmann, der seit über dreißig Jahren den ärztlichen Beruf bekleidet, betonte, dass eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu höherer Arbeitszufriedenheit und zu weniger Fehlzeiten führe sowie zu einem schnelleren Wiedereinstieg nach Mutterschutz und Elternzeit. „Vor dem steigenden Anteil der Medizinstudentinnen und Ärzten, aber auch angesichts einen sich verändernden Rollenverständnisses bei jungen Männern, ist eine echte Vereinbarkeit von Beruf, Karriere, Familie und Privatleben ein Schlüsselfaktor, um genügend ärztlichen Nachwuchs zu gewinnen und so die Versorgung der Bevölkerung auch künftig sicherzustellen.“ Der Marburger Bund Schleswig-Holstein fordere daher, die Möglichkeiten zur Teilzeittätigkeit in den Kliniken zu stärken, auch während der Weiterbildung, einem Lebensabschnitt, der typischerweise zeitlich in die Familienplanung falle. Darüber hinaus dränge der Marburger Bund Schleswig-Holstein darauf, die Anzahl der an Wochenenden zu leistenden Bereitschaftsdienste auf höchstens zwei zu begrenzen. 

    Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg geht in seinem Grußwort auf die Herausforderungen im Gesundheitswesen ein: „Dazu zählen  für mich der Personalmangel und die hohe Arbeitsbelastung. Um den Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein zukunftsfähig zu gestalten, starten wir gemeinsam mit den Partnern eine Reihe von Maßnahmen: Dazu gehören u.a. der Abbau des Investitionstaus in der Krankenhauslandschaft oder die Stärkung der Telemedizin. Dies sind Beispiele, die auch zu einem besseren Arbeitsumfeld und Entlastung von Ärztinnen und Ärzten beitragen sollen.“ Zudem kündigte Garg an, auf Bundesebene eine Initiative zu starten, die die gesetzlichen Voraussetzungen für echte Portalpraxen schafft, um in der Notfallversorgung eine bessere Steuerung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu erreichen. Damit sollen die Notfallambulanzen entlastet werden. „Nur wenn wir gemeinsam attraktive Arbeitsbedingungen schaffen, können wir dauerhaft Ärztinnen und Ärzte für diesen Beruf begeistern“, so Garg abschließend.