Mit dem für die Lösung von Konfliktfällen und arbeitgeberseitigen Blockaden völlig ungeeigneten kirchlichen Arbeitsrecht - der Dritte Weg kennt beispielsweise kein Streikrecht der Beschäftigten - haben sie dafür ein wirkmächtiges Instrument in der Hand. Statt die Tarifeinigung vollständig zu übernehmen, versuchen sich die Arbeitgeber über Ausnahmeregelungen einen vermeintlichen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Diese Ausnahmen führen aber nicht nur zu einer substanziellen Entwertung der Regelungen zur Begrenzung der Bereitschaftsdienste, sondern perpetuieren auch die finanziellen Nachteile. Ärztinnen und Ärzte bei der Caritas bleiben damit vom tariflichen Branchenstandard abkoppelt.
Nachdem ein zwischenzeitliches Schlichtungsverfahren gescheitert ist, haben Arbeitgeberseite und Dienstnehmervertreter - diesmal ohne Beteiligung des Marburger Bundes - einen weiteren Versuch unternommen, auf die Verhandlungswege zu einer Einigung zu gelangen. Dass dabei im Wesentlichen die von der Arbeitgeberseite geforderten Ausnahmen und ein deutlich späteres Inkrafttreten der Regelungen herauskommen würde, ist in Anbetracht des bisherigen Verhaltens der Arbeitgeber und des Bemühens der Verhandler auf Dienstnehmerseite, trotz aller Widrigkeiten des Dritten Weges zu Ergebnissen zu kommen, wenig überraschend. Dass die Coronavirus-Pandemie aber nunmehr sogar dazu genutzt wird, den unzureichenden Sachstand noch einmal zu verschlechtern, setzt den Ereignissen die Krone auf. Wegen eines vermeintlich erhöhten Verwaltungsaufwandes, können sich die Arbeitgeber einer Umsetzung weiter Teile des Kompromisses erst zum 1. Januar 2021 - teilweise also 18 Monate später als im kommunalen Bereich - vorstellen.
Die kurzfristige Absage der Sitzung der Bundeskommission infolge der Kontaktbeschränkungen eröffnete den Verantwortlichen nunmehr die Chance, diese Schmalspur-Einigung ohne Diskussion in der Bundeskommission auf schriftlichem Wege vorabstimmen zu lassen. Ein solches Verfahren, das die Mitglieder der Bundeskommission zu bloßen Statisten degradiert hätte, ist in der Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission nicht vorgesehen.
Der Marburger Bund hat sich gegenüber den Dienstnehmervertretern in der Bundeskommission deutlich gegen dieses Vorgehen und die erzielte Einigung positioniert; die Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte wären damit auf Jahre hinweg von den Entwicklungen im kommunalen Bereich abgekoppelt gewesen. Letztlich überwogen auch bei anderen Mitgliedern der Bundeskommission die Zweifel an Einigung und Vorgehen: die vorgelegte Einigung hat die notwendige Mehrheit klar verpasst. Damit verbunden ist zwar weiterer Stillstand im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen; allerdings konnte damit auch verhindert werden, dass substanziell schlechtere Bedingungen für Ärztinnen und Ärzte den offiziellen Segen der Bundeskommission erhalten.
Letztlich zeigt die Situation aber in erschreckender Deutlichkeit einmal mehr, dass das bei der Caritas etablierte System der Arbeitsrechtsfindung nicht in der Lage ist, Konflikte, die in echten Tarifverhandlungen unproblematisch gelöst werden können, zu beseitigen. Stattdessen kann auf eine arbeitgeberseitige Blockade nur durch Nachgeben der Dienstnehmerseite reagiert werden. Diese Form der Verhandlung mag dem Wesen kirchlicher Rechtsträger entsprechen; für die zukunftsfähige Gestaltung von nachhaltigen Arbeitsbedingungen ist sie denkbar ungeeignet.
Der Vorstand des Marburger Bundes wird in seiner kommenden Sitzung beraten, ob er sich auch über das Jahr 2020 hinaus an der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes beteiligen wird. Die jetzige Lage lässt allerdings große Zweifel aufkommen, ob eine weitere Beteiligung nicht nur den Leidensweg eines Systems verlängert, welches gerade erneut unter Beweis stellt, dass es unter dem Deckmantel eines religiös belegten Begriffes der „Dienstgemeinschaft“ einzig dem Zweck dient, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der Wahrnehmung ihrer grundgesetzlich geschützten Rechte abzuhalten. Allen Beteiligten sollte dieser Umstand bewusst sein: Ärztinnen und Ärzten, weil sie bei der Caritas deutlich länger, deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen vorfinden, als bei anderen Krankenhausträgern und den Arbeitgebern der Caritas, weil sie durch das Festhalten an diesem vermeintlich segensreichen System, einen klaren Wettbewerbsnachteil im Ringen um das Personal haben.