Wofür brauchen Sie im Klinikalltag mehr Zeit?
Friederike Schlingloff: Ich brauche mehr Zeit für meine Gespräche mit den Patienten. Sowohl Aufklärungen als auch die Kommunikation mit besorgten Patienten sowie deren Angehörigen benötigen oft viel mehr Zeit, als der klinische Arbeitsalltag heutzutage zulässt. Im Zeitalter der immer komplexer werdenden Medizin lassen sich Ängste, Unverständnis und Sorgen der Patienten häufig nicht so schnell ausräumen. Dafür wünsche ich mir mehr Zeit und außerdem auch Ruhe. Ich hetze meine Punkte durch, die ich dem Patienten sagen muss. Währenddessen klingelt mehrfach das Telefon. Für adäquate Antworten zu Nachfragen der Patienten oder deren Angehörigen bleibt häufig zu wenig Zeit.
Ich möchte den Patienten empathisch und respektvoll entgegentreten können und sie nicht unter Stress mit Fakten bombardieren müssen. Dazu gehört auch, ihnen die Zeit zu geben, Ängste ansprechen zu können.
Warum bleibt so wenig Zeit für Gespräche? Wo liegt das Problem?
Schlingloff: Planerische Aspekte haben heute Vorrang vor medizinischen. Der immer größer werdende betriebswirtschaftliche Druck, der auf den Kliniken lastet, zwingt zu Einsparungen wo es nur geht - nicht zuletzt am Personal. Stellenschlüssel existieren vielerorts nicht und dort, wo es diese Schlüssel gibt, werden sie nicht selten unterschritten. Durch Einsparungen von Stellen müssen wir Ärzte oft zusätzlich arbeitsplatzfremde administrative Aufgaben übernehmen. Zum Beispiel müssen Unmengen von Daten für unterschiedliche Register und zur Qualitätssicherung gesammelt und aufbereitet werden. Das müssen Ärzte machen. Eine Stationssekretärin, die solche administrative Tätigkeiten übernehmen könnte, gibt es vielerorts längst nicht mehr. Das Resultat ist eine extreme Arbeitsverdichtung während der letzten Jahre. Eine Überlastung des einzelnen Mitarbeiters ist die logische Folge. Dies gilt für uns Ärzte, aber natürlich ebenso für die Pflege und alle anderen Berufsgruppen im Krankenhaus.
All dies geht letztendlich zu Lasten des Privatlebens und der Gesundheit.Wir sind permanent überlastet und nur noch bemüht, die Arbeit, häufig durch Ableistung von Überstunden, irgendwie zu schaffen. Die Qualität, aber auch die Freude an der Tätigkeit bleiben dabei auf der Strecke.
Wie sehen Sie die Situation der jungen Ärzte?
Schlingloff: Die Frustration durch den ständigen Zeitdruck und die vielerorts fehlenden verbindlichen Weiterbildungspläne ist hoch - das schlägt sich auch im Arbeitsklima nieder. Es ist ein Umdenken nötig. Wir jungen Ärztinnen und Ärzte werden mit Verachtung gestraft, wenn wir Grenzen ziehen. Ich wünsche mir mehr Verständnis und Empathie von Chefs der sogenannten „alten Schule“ für unsere Situation.
Was soll sich ändern? Was fordern Sie?
Schlingloff: Wir brauchen mehr Personal, damit der einzelne wieder mehr Zeit für die eigentliche Patientenversorgung hat. Die Arbeitszeiten sind am Rande der Legalität. Wir brauchen auch eine Entlastung von medizinfremden Aufgaben. Wir haben einfach zu viel Bürokratie in der Klinik, die wir abgeben könnten. Ein bis zwei Schreibkräfte pro Station würden schon helfen.
Was kann der Einzelne tun, um die Situation zu verbessern?
Schlingloff: Wir Ärzte müssen wieder mehr für unsere Rechte und vor allem auch für die Rechte der uns anvertrauten Patienten einstehen. Viele von uns haben eine zu hohe Leidensfähigkeit.
Was können die Mitglieder im Marburger Bund tun, um die Situation zu verbessern?
Schlingloff: Wir Ärzte müssen uns formieren und mehr zusammenhalten. Dafür bietet der Marburger Bund den richtigen Rahmen als Ärztegewerkschaft. Gemeinsam können wir mehr bewegen – das sollte Maßstab für uns alle sein.