Die ab 1. Januar 2025 in Kraft tretende Neuregelung des § 10 Absatz 2 TV-Ärzte wird folgende wesentliche Neuerungen enthalten:
- Die Arbeitszeiten der Ärzte sind durch elektronische Verfahren so zu erfassen, dass die gesamte Anwesenheit am Arbeitsplatz dokumentiert ist.
- Die näheren Einzelheiten der Arbeitszeitdokumentation können durch die Betriebsparteien geregelt werden.
- Das Direktionsrecht des Arbeitgebers zur Arbeitszeitgestaltung bleibt nach wie vor unberührt, allerdings muss sichergestellt werden, dass entgegengenommene Arbeitsleistung als Arbeitszeit anerkannt und ausgeglichen bzw. bezahlt wird.
Arbeitszeiterfassung durch elektronische Verfahren
Die Vorgängerregelung hatte zwar ebenfalls die elektronische Arbeitszeiterfassung enthalten, allerdings auch noch die Einschränkung „durch andere Verfahren mit gleicher Genauigkeit“, weshalb arbeitgeberseitig angenommen wurde, es könne mit der altbekannten „Zettelwirtschaft“ weiterverfahren werden.
Mit der Neuregelung ist klargestellt, dass sowohl Arbeitszeiterfassung als auch Arbeitszeitdokumentation ausschließlich nur durch ein elektronisches Verfahren erfolgen dürfen.
Anders als bisher, muss nun also auch der Akt der Erfassung elektronisch erfolgen. Damit sind zukünftig aber auch solche Handhabungen ausgeschlossen und tarifwidrig, die
- ohne überhaupt eine gesonderte Erfassung der Arbeitszeit durchzuführen, ausschließlich die geplante und im Dienstplan hinterlegte Arbeitszeit als geleistet anerkennen,
- die Erfassung von der Eingabe handschriftlicher Aufzeichnungen – gegebenenfalls auch durch Dritte – abhängig machen.
Nunmehr müssen elektronische Zeiterfassungsgeräte/ Terminals eingerichtet werden, mit denen Beginn und Ende der Anwesenheitszeit am Arbeitsplatz erfasst werden.
Wie schon zuvor bleibt es dabei, dass sämtliche Anwesenheitszeiten am Arbeitsplatz erfasst und dokumentiert werden. Sämtliche Anwesenheitszeiten gelten nach der Tarifregelung als Arbeitszeit. Hiervon können Pausen nur dann abgezogen werden, wenn sie tatsächlich auch gewährt wurden.
Wann ist eine Pause „gewährt“?
- Dauer und Lage der Pause sind im Dienstplan vorgesehen und
- der Arbeitgeber hat alles seinerseits Erforderliche unternommen, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, seine Arbeit zum Zwecke der Erholung zu unterbrechen.
- Die Arbeitsabläufe sind so zu gestalten, dass der Beschäftigte seinen Arbeitsplatz verlassen kann, ohne dass der Erfolg seiner Arbeit gefährdet ist.
- Erfolgt dies nicht, ist ein pauschaler Pausenabzug unzulässig.
Sind dienstplanmäßig vorgesehene Pausen nicht gewährt worden, muss die Arbeitszeitdokumentation auf entsprechenden Hinweis der Ärztin oder des Arztes korrigiert werden. Die Verpflichtung zur Korrektur der Dokumentation seitens des Arbeitgebers besteht auch dann, wenn dieser auf andere Weise als durch Hinweis der Ärztin bzw. des Arztes – etwa durch Hinweise Dritter – davon erfährt.
Sinnvoll ist es, die Möglichkeiten der Erfassung von Zeiten so zu gestalten, dass auch Pausenzeiten mittels ein- bzw. ausbuchen am Zeiterfassungsterminal erfasst werden können.
Wie zuvor ist eine abweichende Bewertung bei Nebentätigkeiten, die nicht Dienstaufgabe sind, zulässig. Was zur Dienstaufgabe gehört bestimmt sich nach den Festlegungen im Tarifvertrag (vgl. §§ 3, 5 TV-Ärzte), des Arbeitsvertrages und der Verkehrsanschauung. Damit gehören trotz Fehlens einer ausdrücklichen Benennung auch solche Nebentätigkeiten zu den Dienstaufgaben, die üblicherweise mit der ärztlichen Tätigkeit zusammenhängen.
Ebenso zulässig ist eine abweichende Bewertung bei rein privaten Tätigkeiten. Der Arbeitgeber trägt hier die Darlegungs- und – im Bestreitensfalle – die Beweislast, dass die Ärztin bzw. der Arzt in Teilen ihrer/ seiner Anwesenheitszeit privat veranlassten Tätigkeiten nachgegangen ist. Wichtig ist aber auch hier, dass der Arbeitgeber weder durch die Behauptung, Anwesenheitszeiten der Ärztin bzw. des Arztes seien privat veranlasst, noch durch den Antritt des Beweises von der grundsätzlichen Pflicht der Dokumentation dieser Anwesenheitszeiten befreit wird.
Bei außerplanmäßiger Überschreitung der täglichen bzw. dienstplanmäßigen Arbeitszeit über 10 Stunden hinaus müssen Ärztinnen und Ärzte nach wie vor den Grund für diese Überschreitung mitteilen. Dies muss allerdings nur im Einzelfall auf Aufforderung durch den Arbeitgeber erfolgen. Globale Anweisungen zur Dokumentation von Gründen sind nicht zulässig. Ebenso unzulässig sind grundsätzliche Kappungen bei über 10 Stunden hinausgehenden Arbeitszeiten.
Die sämtliche elektronische Erfassung und Dokumentation der Arbeitszeit schließen zudem auch aus, dass zwischen Erfassung und Dokumentation erfasste Zeiten wieder „verschwinden“.
Eine unerlaubte Manipulation liegt insbesondere in folgenden Fällen vor:
- Ein Vorgesetzter muss Zeiten noch „freigeben“, damit sie in der Dokumentation erscheinen.
- Erfasste bzw. dokumentierte Zeiten werden nachträglich entfernt, da ein Vorgesetzter oder Zeitverantwortlicher diese nicht als Arbeitszeit „anerkennt“.
Weiterhin steht Ärztinnen und Ärzten ein persönliches Einsichtsrecht zu, um die Arbeitszeitdokumentation überprüfen zu können. Die Einsicht muss unverzüglich – also ohne jedes schuldhafte Zögern – durch den Arbeitgeber gewährt werden. Ärztinnen und Ärzte sollen auf diese Weise in die Lage versetzt werden nachzuvollziehen, ob der Arbeitgeber seiner Pflicht, die gesamte Anwesenheit am Arbeitsplatz zu dokumentieren, nachgekommen ist. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die gesamte Aufzeichnung der Anwesenheit vorzulegen, damit die ärztlichen Beschäftigten diese – gegebenenfalls anhand eigener Aufzeichnungen – überprüfen können.
Weiterhin stellt die Protokollerklärung zu § 10 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte – deklaratorisch – fest, dass das Direktionsrecht des Arbeitgebers zur Arbeitszeitgestaltung unberührt bleibt. Damit wird lediglich der arbeitsrechtliche Grundsatz wiederholt, dass der Arbeitgeber neben dem Inhalt und dem Ort der Arbeitsleistung auch ihre Zeit bestimmen kann. Generelle Anordnungen, wie etwa Mehrarbeits- bzw. Überstunden erst nach Genehmigung freizugeben, sind mit dieser Regelung nicht vereinbar. Der Grundsatz „Anwesenheit = Arbeitszeit“ kann dadurch nicht ausgehebelt werden. Beispielsweise kann der Arbeitgeber allein durch die Aufstellung des Dienstplanes und die Ankündigung, Mehrarbeit nicht entgegennehmen zu wollen, nicht von der prinzipiellen Wertung der Vorschrift abweichen. Will der Arbeitgeber Mehrarbeits- bzw. Überstunden vermeiden, kann er diese nicht durch wie auch immer geartete Anweisungen unterdrücken, sondern muss Vorkehrungen dafür treffen, dass diese erst gar nicht entstehen.
Durch die neu aufgenommene Ergänzung der Protokollerklärung wurde zusätzlich nun klargestellt, dass die Arbeitszeiterfassung nicht nur die Aufzeichnung aus Arbeitsschutzgründen, sondern auch die Abgeltung von Arbeitsleistungen zum Ziel hat: Entgegengenommene Arbeitsleistungen müssen als Arbeitszeit anerkannt und – entweder in Freizeit oder finanziell – abgegolten werden. Die Arbeitszeiterfassung und -dokumentation dient also fürderhin auch dazu, zu belegen, dass – mit Ausnahme von berechtigterweise nach den oben genannten Kriterien nicht als Arbeitszeit gewerteter Zeiten – Mehrarbeit bzw. Überstunden geleistet wurden. Auf dieser Grundlage können Ärztinnen und Ärzte den Ausgleich dieser zusätzlichen Arbeitsleistungen verlangen.
Sofern einzelne Arbeitgeber nun weiterhin die Ansicht vertreten, die ausdrückliche Benennung des Direktionsrechtes in der Protokollerklärung zu § 10 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte erweitere die Möglichkeiten zur einschränkenden Entgegennahme geleisteter Arbeit, sei hier nochmals klargestellt: Diese Ansicht verkennt zum einen die Reichweite des Direktionsrechts, zum anderen aber auch die Vorgabe, wie dieses auszuüben ist. Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht – unter anderem geregelt in § 106 Gewerbeordnung – erlaubt dem Arbeitgeber, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung zu bestimmen. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers besteht dem Grunde nach unabhängig von den Regelungen des Arbeits- oder Tarifvertrages. Allerdings wird sein konkreter Inhalt eben durch diese bestimmt und muss sich in den Grenzen dieser Regelungen bewegen. Die Ausübung des Direktionsrechts hat innerhalb der arbeits- beziehungsweise tarifvertraglichen Grenzen zu erfolgen und muss auch in seiner konkreten Ausübung sogenannten Billigkeitsgrundsätzen entsprechen.
Die Bezugnahme auf das Direktionsrecht in der Protokollerklärung stellt in diesem Zusammenhang denn auch lediglich – zutreffend – fest, dass die Vorgaben zur Erfassung der Arbeits- und Dokumentation der Anwesenheitszeiten den Umfang des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts nicht verändern. Allerdings ändert sich eben auch an der Pflicht des Arbeitgebers, das Direktionsrecht nach billigem Ermessen auszuüben, nichts. Eine Anordnung, geleistete Arbeit zu bestimmten Zeiten (beispielswiese außerhalb der dienstplanmäßigen Vorgabe) generell nicht als solche anzuerkennen, anzunehmen oder zu bewerten, kann bei objektiver Wertung ebenso wenig Billigkeitsgrundsätzen entsprechen, wie die nicht vom Arbeitsvertrag gedeckte Anordnung, nichtärztliche Arbeiten auszuführen.
In der Neuregelung ist nunmehr ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, dass Einzelheiten der Arbeitszeitdokumentation zwischen den Betriebsparteien geregelt werden können. Daraus folgt, dass Arbeitgeber und Personalräte zwar gemeinsam die genauen technischen und logistischen Einzelheiten der Dokumentation im Wege einer Dienstvereinbarung regeln können. Von dem grundsätzlich verpflichtenden Inhalt und den Wertungen der Tarifvorschrift können sie aber nicht abweichen. Die Personalvertretungen sollen mit dieser Regelung ermächtigt werden, auf die jeweils passgenaue Umsetzung der tariflichen Vorgaben ein- und so an der Gestaltung vor Ort mitzuwirken.
Was bedeutet das praktisch im Hinblick auf die Arbeitszeitverkürzung?
Die beschriebene Neuregelung der Arbeitszeiterfassung war Grundbedingung für die Vereinbarung der Arbeitszeitverkürzung von regelmäßig wöchentlich 42 auf 40 Stunden.
Dem zugrunde lag auch seitens der Verhandler auf MB-Seite gerade die Befürchtung, dass alles wie bisher weiterläuft und über 40 Stunden hinaus geleistete Zeiten einfach unerfasst, undokumentiert und unausgeglichen bleiben. In vielen Ihrer Zuschriften kam ebenfalls genau diese Befürchtung zum Ausdruck, da es ganz offensichtlich derzeit wegen fehlender automatisierter Zeiterfassung vielerorts gang und gäbe ist, dass zusätzlich erbrachte Arbeitsleistungen schlicht nicht ausgeglichen werden.
Bereits jetzt regeln die Vorschriften zu Mehrarbeit und Überstunden die Behandlung von über die regelmäßige bzw. geplante Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit. Nunmehr gibt der Tarifvertrag allen Beteiligten ein Instrument an die Hand, um die Umgehung dieser Regelungen zu beenden und die jeweiligen Ansprüche durchzusetzen. Die Regelung zur Arbeitszeiterfassung wird dabei bewusst bereits ein Jahr früher – nämlich zum 1. Januar 2025 – in Kraft gesetzt. Dadurch besteht genügend Zeit, die technische Umsetzung in den Kliniken zu gewährleiten, bevor das Arbeitszeitvolumen abgesenkt wird. So wird sich auch herausstellen, inwieweit bei den Personalzahlen nachgesteuert werden muss.
Ab dem 1. Januar 2026 muss selbstverständlich auch die Dienstplanung auf die regelmäßige Wochenarbeitszeit von 40 Stunden angepasst sein.