Bereits als Kind hatte Charlotte Wiegank den Wunsch, sich als Ärztin um kranke Menschen zu kümmern. Doch während mehrerer Praktika kamen Zweifel auf: „Damals erlebte ich, wie sich das Arzt-Patienten-Verhältnis wandelt. Das traditionelle Modell, das von Begriffen wie ‚Ärztlicher Ethos‘, ‚Deontologie‘, ‚Fürsorge‘ oder ‚Helfen und Heilen‘ geprägt ist, wird vom kommerziellen Modell abgelöst. Das Krankenhaus gilt als Wirtschaftsbetrieb, die praktizierte Medizin ist oft geprägt von Regeln des freien Marktes und des ökonomischen Erfolgs.“ Charlotte entschied sich dennoch fürs Medizinstudium und wird mit jedem Semester, das sie absolviert hat, in dieser Entscheidung bestärkt.
Vor ihrer Immatrikulation in Leipzig war sie an der Universität Bergen/Norwegen in Philosophie und Ethik eingeschrieben – für sie ein großes Glück: „Dieses Studium ermöglicht mir als zukünftige Ärztin einen besseren Zugang zu medizinisch-ethischen Konfliktfeldern, wie Reproduktionsmedizin und Abtreibung, Euthanasie, Tod oder Allokation knapper Ressourcen. Die Pandemie hat die Relevanz dieser Themen verdeutlicht“.
In ihrem Nebenjob als studentische Hilfskraft am St. Elisabeth Krankenhaus in Leipzig sammelt sie wertvolle Praxiserfahrung: „Älteren Menschen gut zuzureden oder sie leicht am Arm zu berühren, kann Wunder bewirken. Ich würde mir wünschen, dass man nach der Pandemie den intergenerationellen Austausch in einer Form stärkt, von der Alte wie Junge profitieren.“ Auch die universitäre Lehre sollte ihrer Meinung nach mehr Patientenkontakt integrieren: „Das Medizinstudium ist in Deutschland sehr theorielastig. Ich finde, Medizinstudierende sollten früher mit Patient*Innen in Kontakt kommen, Anamnesen und einfache körperliche Untersuchungen durchführen – sei es im Pflegeheim oder im Krankenhaus. Denn gute Medizin orientiert sich nach meiner festen Überzeugung zuallererst am Menschen.“
Neben ihrem Studium und dem HiWi-Job engagiert sich Charlotte in der Hochschulgruppe PAN (Physicians Association for Nutrition) University Leipzig. Sie setzt sich dafür ein, dass Krankheitsprävention durch Ernährung in der Ausbildung von Medizinstudentinnen und -studenten etabliert wird und bei politischen Entscheidungen eine größere Rolle spielt. „Eine falsche Ernährung ist laut der WHO weltweit für mehr Todesfälle verantwortlich als Tabakkonsum, Hypertension oder andere Gesundheitsrisiken. Studien bestätigen, dass eine gesunde Ernährung Erkrankungen, die in den industrialisierten Ländern die höchste Prävalenz zeigen, verhindern und einen Großteil der Kosten des Gesundheitssystems drastisch senken würde.“ Dieses Thema ist Gegenstand ihrer Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und mittlerweile auch Bestandteil der universitären Lehre: Die PAN-Hochschulgruppe etabliert ein Wahlfach im vorklinischen Studienabschnitt, in dem Medizinstudierende mehr über den Zusammenhang von Gesundheit und Ernährung erfahren. Die erste Veranstaltung hierzu fand nach langer, aufgrund der Vorgaben der Universität auch formal anspruchsvoller Vorbereitung, im Februar 2022 als Blockseminar statt.
Der Marburger Bund Sachsen unterstützt diese studentische Initiative und übernahm einen Teil der Veranstaltungskosten.
Mit dem Wahlfach ist es aber noch lange nicht getan, findet Charlotte: „Um den Einzelnen nicht allein in die Verantwortung zu nehmen, muss auch die Politik ihren Beitrag zur Gesundheitsförderung leisten. Ansatzpunkte hierfür könnten eine kostenlose, gesunde, hochwertige Schul- und Krankenhausverpflegung, aber auch die Ausbildung zukünftiger Ernährungstherapeut*Innen und die entsprechende Weiterbildung von Ärzten und Ärztinnen sowie von Pflegepersonal darstellen.“
Das Deutschlandstipendium des Marburger Bunds Sachsen ist eine hilfreiche Säule für ihr Engagement: „Das Stipendium erleichtert es mir, mich ehrenamtlich zum Beispiel in der Hochschulgruppe zu engagieren und mich der Erforschung der Darm-Hirn-Achse zu widmen. Die Unterstützung durch den MB bestärkt mich außerdem darin, dass ich mit meinen Ansichten nicht allein bin, sondern es hier eine starke Interessensvertretung gibt.“