• VKA-Tarifrunde 2019

    FAQ zum Tarifabschluss für die Ärztinnen und Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern

    Nach der Tarifeinigung mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) Ende Mai haben den Marburger Bund zahlreiche Fragen zu den Neuerungen erreicht. Nachfolgend greifen wir die wichtigsten Punkte auf.


    Arbeitszeiterfassung

    Wie bereits berichtet, sind künftig die kommunalen Krankenhäuser verpflichtet, die gesamte Arbeitszeit der Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus auf elektronischem Wege oder auf andere Art mit der gleichen Genauigkeit zu erfassen. Die Regelung sieht vor, die Arbeitszeit so zu erfassen, dass die gesamte Anwesenheitszeit der Ärztinnen und Ärzte am Arbeitsplatz dokumentiert ist.

    Die Regelung greift auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Zeiterfassung auf, geht aber hinsichtlich der Pflicht zur Dokumentation der gesamten Anwesenheit sogar darüber hinaus.

    Was bedeutet die Pflicht zur Dokumentation?

    Erfassen der gesamten Anwesenheitszeit bedeutet: Pauschale Kappungen sind unzulässig! Unterlassene Erfassung wie auch eine nachträgliche Manipulation ist unzulässig!

    Warum ist das nun ein „schärferes Schwert“?

    Natürlich durften auch bisher schon nachträgliche Änderun-gen, Kappungen oder Manipulationen – etwa mit dem Ziel, überlange Arbeitszeiten nachträglich als gesetzeskonform erscheinen zu lassen – nicht vorgenommen werden. In der der Regel hatte dieses Vorge-hen aber deshalb kaum Folgen, weil es sich hierbei „lediglich“ um einen Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Arbeitszeitvorschriften handelte, der von den staat-lichen Stellen häufig nicht geahndet wurde.

    Die nun gefundene Einigung hat aber einen gänzlich neuen Bestandteil: Durch die Feststellung, dass die gesamte Anwesenheitszeit als Arbeitszeit gilt, hat ein Verstoß gegen die Erfassungs- und Dokumentationspflicht nicht nur den Charakter eines Kavalierdelikts, sondern konkrete  Folgen für den Arbeitgeber. Diese Regelung bedeutet nichts anderes als eine sogenannte Beweislastumkehr. Will der Arbeitgeber bestimmte Zeiten nicht als Arbeitszeit bewertet wissen, muss er künftig beweisen, dass die Ärztin oder der Arzt in der Zeit private Tätigkeiten ver-richtet hat oder solche Nebentätigkeiten, die nicht Dienstaufgabe sind. Etwas anderes gilt nur für Pausenzeiten – und auch nur dann, wenn diese tatsächlich gewährt wurden.

    Was kann ich tun, wenn mein Arbeitgeber doch dagegen verstößt?

    Da die Bewertung als Arbeits-zeit jetzt nicht mehr nur eine öffentlich-rechtliche Vorgabe, sondern eine arbeitsrechtliche – und damit finanziell relevant – ist, kann jeder ärztliche Beschäftigte selbst gegen diese Verstöße vorgehen, ohne auf Intervention der Aufsichtsbehörden angewiesen zu sein. Dafür reicht künftig die Unterstützung durch die Juristen der MB-Landesverbände.

     

    Freie Wochenenden

    Vom 1. Januar 2020 sind grundsätzlich mindestens zwei arbeitsfreie Wochenenden pro Monat in der Zeit von Freitag 21 Uhr bis Montag 5 Uhr zu gewähren. Zusätzliche Bereitschaftsdienste oder Rufbereitschaften sind nur zu leisten, wenn andernfalls eine Gefährdung der Patientensicherheit droht.
    Aus Sicht des MB liegt kein Grund für eine Gefährdung vor, wenn der Arbeitgeber den Grund für eine Gefährdung – etwa durch das Versäumnis, Personal in ausreichendem Maße zu beschäftigen oder die Dienste rechtzeitig zu planen – selbst gesetzt hat.

    Was passiert, wenn ich keine zwei freien Wochenenden im Monat erhalten habe?

    Festgeschrieben ist, dass ein freies Wochenende im Monat in jedem Fall zu gewähren ist. Nicht gewährte freie Wochenenden müssen auf Antrag, der innerhalb von vier Wochen nach Ende des Kalenderhalbjahres zu stellen ist, innerhalb des dann laufenden Kalenderhalbjahres zusätzlich nachge-holt werden. Am Ende dieses 2. Kalenderhalbjahres müssen sowohl die freien Wochenenden aus dem aktuellen Kalenderhalbjahr wie auch etwaige übertragende Wochenenden gewährt sein. Ein Übertrag in ein dann drittes Kalenderhalbjahr ist nicht möglich.

    Der Antrag ist ein rein formales Erfordernis, damit der Anspruch erhalten bleibt. Die Klinik ist verpflichtet, nach fristgerechtem Eingang des Antrages die nicht beanspruchten freien Wochenenden im laufenden Kalenderhalbjahr zu gewähren.

    • Beispiel: Ein Arzt, dem im ersten Halbjahr beispielsweise im Januar, Mai und Juni jeweils nur ein Wochenende gewährt wurde, nimmt diese drei „fehlenden“ freien Wochenenden ins nächste Kalenderjahr mit. In diesem muss der Arbeitgeber, wenn der Antrag zeitgerecht erfolgt ist, sicherstellen, dass diese drei „fehlenden“ freien Wochenenden zusätzlich zu den sowie zu gewährenden zwei freien Wochenenden pro Monat gewährt werden.

    Wird es ein Musterformular geben?

    Das Tarifreferat des MB-Bundesverbandes erstellt gerade ein entsprechendes Formular, dass Sie dann auch auf unserer Homepage finden wer-den.

    Warum gibt es die Ausnahme von der Regel?

    Zum einen meint hat die VKA auf diese Ausnahme angewiesen zu sein, weil ohne sie die Patientenversorgung in kleineren Abteilungen und Kliniken nicht immer sichergestellt werden könne. Zum anderen gibt es individuelle Arbeitsmodelle, die zumindest phasenweise eine intensivere Beschäftigung an Wochenenden vorsehen. Das gelte vor allem für die Rufbereitschaft. Diese Modelle wollten wir auch weiterhin ermöglichen.

    Gilt die Regelung der zwei freien Wochenenden auch für Schichtdienstleistende?

    Die zwei freien Wochenenden gelten nicht für Ärztinnen und Ärzte die ausschließlich Schichtdienst leisten. Sie haben aber – zumindest, wenn sie regelmäßig an Sonntagen arbeiten – ohnehin eine Regelung, wonach sie innerhalb von zwei Wochen zwei freie Tage zu erhalten haben, von denen einer auf einen Sonntag fallen soll.

     

    Begrenzung der Bereitschaftsdienste

    Ab dem 1. Januar 2020 haben Ärztinnen und Ärzte innerhalb eines Kalenderhalbjahres grundsätzlich monatlich im Durchschnitt nur bis zu vier Bereitschaftsdienste zu leisten. Darüber hinaus sind Bereitschaftsdienste nur dann zulässig, wenn andernfalls eine Gefährdung der Patientensicherheit (siehe oben) droht.

    Was passiert, wenn ich doch mehr Dienste leisten muss?

    Als Kompensation für jeden Dienst über dem vierten erhöht sich die Bewertung der Bereitschaftsdienste um 10 Prozent und für jeden weiteren über diesem Durchschnitt liegenden Dienst um weitere 10 Prozent.

    Was ist mit der gekündigten Opt out-Regelung?

    Auch die Opt out-Regelung wurde verändert und mit einer neuen Höchstgrenze versehen. Nach der neuen Tarifvereinbarung darf die wöchentliche Arbeitszeit dabei durchschnittlich bis zu 56 Stunden betragen. Vorher lag die Höchstgrenze bei 58 Stunden.

    Hat sich der Ausgleichszeitraum verändert?

    Nein, der Ausgleichszeitraum bleibt derselbe: Für die Durchschnittsberechnung der wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von sechs Monaten zugrunde zu legen.

    Was ist bei der Opt out-Regelung zu beachten?

    Das „Opt out“ erfordert eine schriftliche Einwilligung der Ärztin oder des Arztes. Erst dadurch wird eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit möglich, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst fällt. Übrigens: Es gibt keine irgendwie geartete Verpflichtung zur Abgabe einer opt-out Erklärung. Die Erklärung kann zudem mit weniger als 56 Stunden abgegeben und jederzeit mit einer Frist von sechs Monaten widerrufen werden, ohne dass eine Benachteiligung erfolgen darf.

     

    „Sandwich-Dienste“

    Ein sich unmittelbar an den Bereitschaftsdienst anschließender Arbeitsabschnitt im Rahmen der Vollarbeit – etwa zum Zwecke der Übergabe – ist vom 1. Januar 2020 an nur dann zulässig, wenn er nicht länger als 60 Minuten dauert und sich der dem Bereitschaftsdienst vorangegangene Arbeitsabschnitt entsprechend verkürzt.

     

    Minusstundenproblematik

    Was bisher in jeder Tarifrunde am Widerstand der Arbeitgeber scheiterte, ist diesmal zumindest in Ansätzen gelungen: Durch verschiedene Regelungsmechanismen wird die sogenannte Minusstundenproblematik entschärft, indem zum einen die Bereitschaftsdienste grundsätzlich höher bewerten und zum anderen ein nicht in Freizeit ausgleichbarer Zuschlag eingeführt wird.

    Wie sehen die Regelungsmechanismen konkret aus?

    Ab dem 1. Juli 2019 wird zusätzlich zum Stundenentgelt im Bereitschaftsdienst für jede Stunde des Bereitschaftsdiens-tes ein Zuschlag von 15 Prozent des Stundenentgeltes eingeführt. Dieser Zuschlag kann nicht in Freizeit abgegolten werden.

    Ab dem 1. Januar 2021 wird die Bewertung der Bereit-schaftsdienste um jeweils 10 Prozentpunkte angehoben. Die Bewertung beträgt dann:

    • Stufe I: 70 Prozent
    • Stufe II: 85 Prozent
    • Stufe III: 100 Prozent

    Durch die vollständige Umsetzung der Regelung durch die Anhebung der Stufenbewertungen ab Januar 2021, ist die Minusstundenproblematik“ er-heblich reduziert.

    Wurden dazu weitere Vereinbarungen getroffen?

    Ab 1. Juli 2019 wird die Höherbewertung der Bereitschaftsdienste im Falle der Gewährung von Freizeitausgleich und der Zuschlag ab der 97. Bereitschaftsdienststunde aufgehoben.

     

    Verlässliche Dienstplanung

    Vom 1. Januar 2020 an ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Rufbereitschafts- und Bereitschaftsdienste spätestens einen Monat vorher mittels Dienst-plans anzuzeigen.

    Was passiert, wenn der Arbeitgeber sich nicht daran hält?

    Im Falle der Nichteinhaltung dieser Frist erhöht sich die Bewertung für jeden Bereitschaftsdienst im Planungszeitraum um 10 Prozentpunkte; jede Rufbereitschaft des zu planenden Folgemonats wird mit 10 Prozent des jeweiligen Entgeltes bezuschlagt.

    Erfolgt eine Änderung des Dienstplans mit weniger als drei Tagen Abstand zum Beginn des Dienstes, erhöht sich ebenfalls die Bewertung der betreffenden Bereitschaftsdienste um 10 Prozentpunkte, beziehungsweise wird ein Zu-schlag von 10 Prozent auf das Rufbereitschaftsentgelt gezahlt.

    Wir glauben, dass von dieser Regelung eine disziplinierende Wirkung auf die Arbeitgeber ausgeht, die die Voraussetzungen für die verbindliche Dienst- und Arbeitsplanung ihrer Beschäftigten nicht zu schaffen bereit sind. Und auch bei kurzfristiger Inanspruchnahme geht es uns um die Verpflichtung der Arbeitgeber, Grundvoraussetzungen für den sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit der ärztlichen Arbeits- und Lebenszeit zu schaffen.

     

    Was passiert jetzt?

    Wir befinden uns mitten in der Textredaktion über den genauen Wortlaut der Änderungstarifverträge mit der VKA. Erfahrungsgemäß wird die vollständige Umsetzung noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Sobald diese Hürde genommen ist, brauchen wir - ebenso wie bei der Durchsetzung der Forderungen - Ihre Unterstützung.

    Informieren Sie uns über die Umsetzung der Tarifeinigung in Ihrem Haus, geben Sie uns Ihre Rückmeldung und ermöglichen Sie uns, die Ernsthaftigkeit der Arbeitgeber, die ärztlichen Arbeitsbedingungen zu verbessern, auf die Probe zu stellen. Nur anhand der konkreten Umsetzung der neuen Regelungen vor Ort können wir beurteilen, ob sich tatsächlich etwas verbessert.

    Eine besondere Aufgabe wartet auch auf die Betriebs- und Per-sonalräte vor Ort, deren Auf-gabe es vielfach sein wird, die Umsetzung der tariflichen Vorgaben zu überwachen. Als MB werden wir unsererseits im Herbst eine Betriebsrätekonferenz veranstalten, die sich ausschließlich mit dem Tarifabschluss befasst; weitere Schulungen werden folgen.


    Weitere Infos

    Die Tarifeinigung im Überblick finden Sie im Internet hier