Exkurs: Koreanische Krankenschwestern in Deutschland - Eine andere Perspektive der Deutsch-Koreanischen Beziehungen
Die anfängliche Migration gut ausgebildeter südkoreanischer Krankenschwestern nach Westdeutschland begann ab 1966. In diesen Jahren begannen die von der koreanischen Regierung geleiteten Bemühungen, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der verschlechterten Wirtschaftsentwicklung nach dem dreijährigen Koreakrieg, Arbeitskräfte ins Ausland zu schicken. Diese wirtschaftliche Hilfe war essenziell für die koreanische Wirtschaft, um die Probleme der Nachkriegszeit bewältigen zu können. Deutschland zeigte schon sehr früh Interesse, da durch das starke Wachstum in der Wiederaufbauphase in allen Bereichen ein Arbeitskräftemangel entstand, der dringend geschlossen werden musste. Ebenso befand sich Deutschland, als ein gespaltenes Land, in einem politisch ähnlichen Zustand wie Korea und wollte dadurch seine Unterstützung für dieses Land demonstrieren.
Die formelle Vereinbarung zwischen beiden Regierungen über die Beschäftigung von Krankenschwestern wurde 1969 unterzeichnet. Im Zuge dessen wurden im Laufe der Jahre neben Bergleuten insgesamt über mehr als 10.000 südkoreanische Krankenschwestern zum Dienste im westdeutschen Gesundheitssystem der Nachkriegszeit angeworben und verpflichtet, um die Lücke im Gesundheitswesen, insbesondere in Krankenhäusern und Pflegeheimen im Rhein-Main-Gebiet, zu schließen und den Pflegenotstand zu lindern.
In Deutschland angekommen, besuchten die Krankenschwestern die örtlichen Krankenpflegeschulen, nachdem sie in Südkorea eine erste Ausbildung erhalten hatten. Initiiert wurde das Ganze zum einen durch christliche Organisationen und unter Berufung anderer einflussreicher Personen, so zum Beispiel vom südkoreanischen Kinderarzt und Radiologen Dr. Sukil Lee, der in der Kinderstation der Universität Mainz tätig war. Er gilt als einer der Pioniere der südkoreanischen Krankenschwestermigration nach Westdeutschland. Sowohl Südkorea als auch Deutschland seiner Zeit haben von dieser Migration sehr profitiert; das deutsche Gesundheitswesen von der sorgfältigen und fürsorglichen Arbeitskraft der SüdkoreanerInnen, Südkorea durch Deviseneinnahmen, die zur Entwicklung der Wirtschaft zu jener Zeit maßgeblich vonnöten waren.
Motivation
Um im Hinblick auf meine zukünftige ärztliche Handlungskompetenz weiteres Fachwissen zu erwerben und meine interkulturellen Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern, habe ich mich entschieden an der südkoreanischen Gachon Universität einen zweimonatigen PJ-Aufenthalt zu absolvieren. Abgeleistete Famulaturen in der Schweiz und der Türkei, ein zweimaliger Besuch der WHO und ein Austausch-Programm im Ausland boten mir den passenden Rahmen für internationale Begegnungen sowie einen ersten fundierten Einblick in andere Gesundheitssysteme, die mich weiter in meiner Entscheidung, ein Auslands-PJ zu absolvieren, bestärkten.
Außerdem erhoffte ich mir von solch einem Aufenthalt näheren Einblick in ein Land, das eine so erstaunliche wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwicklung hinter sich hat. Der ehemalige Agrarstaat Südkorea hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in eine blühende Wirtschaftsnation verwandelt und ist nicht nur bekannt für seine Unterhaltungselektronik, sondern auch für innovative Medizintechnik und -produkte. Dennoch wissen wir in unserem Arbeits- und Kulturkreis relativ wenig über dieses Land, welches oftmals nur aufgrund seiner Verflechtung mit seinem einzigen Nachbarstaat Nordkorea Schlagzeilen macht. Um mein Wissen und meine Fertigkeiten im Bereich der Chirurgie zu erweitern und mehr über die moderne Chirurgie im Ausland erfahren zu können, wäre eine Auseinandersetzung mit den dort üblichen, teilweise roboterassistierten Verfahren sehr hilfreich gewesen. Zudem interessierte mich der Umgang mit medizinischen Fragestellungen in diesem höchst technologisierten und digitalisierten Land im Vergleich zu unserer westlichen Vorgehensweise.
Bewerbungen und Finanzielles
Beworben habe ich mich etwa 8 Monate im Voraus direkt über das International Office der Medizinischen Klinik. Im Rahmen der Bewerbung muss man einen Bewerbungsbogen mit Wunschfächern und -terminen ausfüllen, seinen Lebenslauf und den Nachweis der Haftpflichtversicherung einreichen. Nachdem man eine verbindliche Zusage vonseiten der Universität erhält, muss man eine Bearbeitungs- bzw. Studiengebühr überweisen. Diese Gebühr umfasst die Miete in einem der Wohnheime und das Mittagsessen in der Klinik. Den Flugticket sollte man ebenfalls frühzeitig, spätestens aber etwa drei Monate vor Reisebeginn buchen. Mittlerweile bietet eine koreanische Fluggesellschaft einen Non-Stop- Flug mit dem größten Passagierflugzeug der Welt – dem A380 - zum Beispiel von Frankfurt nach Seoul an. Im Voraus sollte man ebenfalls klären welche Unterlagen das jeweilige Landesprüfungsamt benötigt und ob die ausländische Klinik beim LPA schon bekannt ist, um Probleme bei der zukünftigen Anerkennung zu vermeiden. Zudem kann man sich um finanzielle Unterstützung in Form von Förderprogrammen bemühen. Das DAAD beispielsweise bietet im Rahmen dessen das PROMOS-Stipendium an.
Freizeit
Da ich unter der Woche im Krankenhaus sein musste, standen die Wochenenden während der Zeit zur Verfügung, um das Land und die Umgebung ausgiebig zu erkunden und zu bereisen. An diesen Wochenenden hatte ich die Möglichkeit die zweitgrößte Stadt Busan, um dort auch das Länderspiel Südkorea gegen Australien anzuschauen, zu besichtigen, die Insel Jeju zu erkunden sowie in einem buddhistischen Tempel zu übernachten, fernab vom Lärm der Großstadt. Am Ende meines Aufenthalts war sogar noch Zeit für einen Kurztrip nach Japan.
Diese Unternehmungen haben mir tiefgründige Einblicke in die koreanische Kultur und Lebensweise geboten, da man außerhalb von ausgetretenen Touristenpfaden vielfältige wundervolle Landschaften und Menschen kennenlernen konnte. Natürlich ist die Landessprache Koreanisch, weshalb in weiten Teilen der ländlichen Gebiete kein Englisch gesprochen wird. Dieser Umstand erschwerte deshalb auch die sprachliche Verständigung, aufgrund dessen man in bestimmten Situationen auf Mimik Gestik und mobile Übersetzungsanwendungen angewiesen war. In Großstädten wie Seoul oder Busan spricht die Bevölkerung jedoch neben Koreanisch häufig auch Englisch. Auch im Krankenhaus war es größtenteils möglich sowohl mit dem Pflegepersonal als auch mit ÄrztInnen zu kommunizieren, da diese einfaches bis gutes Englisch sprachen.
Land und Leute
Obwohl die koreanische Gesellschaft inzwischen eine digitale Revolution erlebt hat, steht sie in weiten Teilen unter dem Einfluss der Lehren des Konfuzius und des Buddhismus. Zurückhaltung, Unnahbarkeit, Höflichkeit und das Verbergen starker persönlicher Affektionen prägen die gesellschaftlichen Interaktionen und stehen im Vordergrund zwischenmenschlicher Beziehungen. Es ist beispielsweise üblich sich zur Begrüßung nicht die Hand zu schütteln, sondern um 60 Grad zu Verbeugen, um seinem Gegenüber Respekt und Dankbarkeit zu demonstrieren. Eine entsprechende schriftliche Anweisung, wie man sich zu verbeugen hat, hing an der Tür des International Office. Darüber hinaus wird eine klare hierarchische Ordnung in Hinsicht auf das Alter und der sozialen Position sehr deutlich. Der Umgang mit diesen ist dominiert von Respekt und Zurückhaltung und der daraus resultierenden untergebenen Körperhaltung Älteren und Höhergestellten gegenüber, denen viel Respekt gezollt wird. An ausländische Studierende hat man in der Hinsicht jedoch keine großen Erwartungen bezüglich der koreanischen Verhaltensregeln und Konventionen. Koreanische Studierende hingegen verbeugen sich vor jedem mit weißem Kittel. Zu Fremden steht jedoch die Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft im Vordergrund. Die Zurückhaltung, der fehlende Austausch von persönlichen Gefühlen und Affektionen, das ständige funktionieren und nach Plan arbeiten müssen, um mithalten zu können, bauen den Mitgliedern der Gesellschaft eine Art sozialen Druck auf, der einen gewissen Konkurrenzkampf entstehen lässt. Die ständige Versagensangst und Angst vor Misserfolgen resultiert in einer für die Betroffenen unumgänglichen Hoffnungslosigkeit, die sich in den Suizidraten niederschlägt. Unter den OECD-Ländern hat Südkorea die höchste Suizidrate. Nach Angaben der OECD-Gesundheitsstatistik begangen 2017 durchschnittlich 24,6 Menschen pro 100.000 Einwohnern Selbstmord, was etwa dem zweieinhalbfachem des OECD-Durchschnitts entspricht.
Koreanische Städte sind durch den wirtschaftlichen Aufschwung mit Zunahme der Bevölkerungszahl rapide gewachsen, weshalb die Städtelandschaft durch viele Hochhäuser und Wohnkomplexe, die pragmatisch-funktionell gebaut sind, geprägt ist. Die größeren Städte, die inmitten bewaldeten Bergketten eingebettet sind, zeigen ein relativ modern und zukunftsorientiert ausgerichtetes Stadtbild mit zwar wenigen Grünflächen im Zentrum, dafür aber sehr großen Einkaufszentren, die insbesondere zu Abendzeiten und Wochenenden regelrecht überfüllt sind. Es gibt einige wenige historische Stadtteile die in den letzten Jahren restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Tradition und Fortschritt werden auf eigener Art und Weise in Einklang gebracht. Südkorea ist eine der technologisch am stärksten vernetzten Nationen der Welt. Man ist jederzeit der Technologie ausgesetzt, sei es in der U-Bahn oder im Bus.
Fachliche Eindrücke
Das 1959 als gynäkologische Klinik gegründete Gil Medical Center ist ein Universitätsklinikum der südkoreanischen Gachon Universität in der Drei-Millionenstadt Incheon unweit der Hauptstadt Seoul und gehört mittlerweile mit seinen etwa 1500 Betten verteilt auf mehr als 30 Stationen verschiedener Fachrichtungen zu den Top 5 Kliniken der Maximalversorgung des Landes. Zudem wurde das Gil Medical Center als eines der Top 3 forschungsorientierten Kliniken des Landes ausgewählt und als erstes regionales Trauma-Zentrum in Korea ausgezeichnet, in das ich eingeteilt wurde.
Am ersten Arbeitstag begrüßte mich der Oberarzt Prof. Yoon freundlich und ich wurde gebeten mich offiziell am Ende der Stationsbesprechung kurz vorzustellen. Das gesamte Team der Abteilung war ausgesprochen freundlich, sehr zugewandt und sorgte sich ausgiebig um den Studierenden aus Europa. So wurde man von einigen der Ärzte, der OP-Assistenten und PflegerInnen zwischendurch auf einen Kaffee eingeladen und unterhielt sich über das kulturelle Angebot, das Korea zu bieten hat. Gelegentlich wurde man durch den einen oder anderen Oberarzt zu einem persönlichen Abendessen eingeladen.
Der Tag begann stets mit morgendlichen Fallbesprechungen sowie CT-, MRT- und Röntgenbesprechungen und anschließenden Patientenvisiten, die zu meinem Bedauern auf koreanische abgehalten wurden. Jedoch gab es immer wieder einige bemühte Ärzte, die einem die Themen kurz auf Englisch zusammengefasst haben. Während meines Tertials musste ich ebenfalls die eine oder andere Präsentation über interessante traumatologische Themen und über meine Heimatuniversität für die Stationsbesprechung vorbereiten und vortragen. Tagsüber bekam ich die Möglichkeit bei den unfallchirurgischen Operationen mit am Tisch stehend zu assistieren oder auch die Operationen aus unmittelbarer Nähe zu beobachten, um dem Operateur im Anschluss einige Fragen stellen zu können. Meistens waren die Operateure bemüht während oder nach der OP den Fall mit mir durchzusprechen und den Eingriff in seinen Einzelheiten zu erklären. Hier gab es viele Eingriffe in Zusammenhang mit Verkehrsunfällen oder Stürzen aus großen Höhen (meist suizidale Absichten), aber auch kleinere Eingriffe, wie Implantatentfernungen oder Vakuum-Wechsel. Koreanische Studierende hingegen dürfen hingegen während ihrer Ausbildung einzig und allein beobachten und sich Notizen machen. Das führt dazu, dass sich viele Studierende im Bezug auf ihre Assistenzarztzeit schlecht vorbereitet fühlen.
Die fachlichen Kenntnisse der koreanischen Ärzte und die Qualität ihrer medizinischen Behandlungen und Eingriffe kann man, soweit ich es persönlich beurteilen kann, an deutschen Standards messen. Viele medizinische Geräte sind mit deutschen vergleichbar und stammen oftmals sogar von namhaften deutschen Firmen. Der Hygienestandard entspricht allerdings nicht ganz deutschen Standards. Insgesamt befindet sich die medizinische Versorgung jedoch im chirurgischen Bereich auf gleichem Niveau wie in Deutschland. Die Patienten jedoch sind in der Regel in Vier- oder Sechsbettzimmer untergebracht. Die PflegerInnen haben in Südkorea mehr medizinische Verantwortung als in Deutschland und sind nicht für die direkte Körperpflege der PatientInnen verantwortlich. Die allgemeine Körperpflege wie Waschen oder Füttern der Patienten wird von Familienangehörigen übernommen, die oft mit im Patientenzimmer untergebracht werden.
Fazit
Das PJ in Südkorea war sowohl kulturell, kulinarisch als auch fachlich ein lohnenswerter Einblick, der es mir ermöglicht hat, Medizin und Menschen außerhalb der mir üblichen Umgebung zu erfahren. Dieses kleine Land bietet unglaublich viele verschiedene Teilaspekte - von der landschaftlichen Kulisse bis hin zu kulturell-spirituellen Einzigartigkeiten, die mittlerweile mit der erlebten Innovation im Einklang stehen - und jeder davon ist ein Bericht wert, würde jedoch den hier vorgegebenen Rahmen sprengen.
Im Hinblick auf meine spätere ärztliche Handlungskompetenz hat mir der Auslandsaufenthalt geholfen zusätzlich zur Bereicherung meiner fachlichen Erfahrung, meine interkulturellen Kompetenzen auszubauen. Ich hatte die Möglichkeit Menschen und deren Handlungsweisen kennenzulernen, die nach anderen Wertevorstellungen agieren. Ein entscheidender Mehrwert dieses Aufenthaltes war ebenfalls der Erhalt eines ersten fundierten Einblicks in die Prinzipien und Funktionsweisen eines anderen Gesundheitssystems.
Erfahrungen zu bündeln und mittels eines kleinen Artikels wiederzugeben kann manchmal sehr schwerfallen, denn was jene Erfahrungen wirklich ausmacht und was am Ende im Gedächtnis bleibt sind vage kommunizierbare Bilder, Eindrücke und wortlose Gefühle, die während des Aufenthalts entstehen. Nichtsdestotrotz würde ich es jedem empfehlen, der Interesse an anderen Traditionen und Kulturen zeigt, dieses einzigartige Land zu besuchen und zu bereisen.
Zum Autor
Aykut Kaya studierte an der JLU in Gießen und arbeitet aktuell als Arzt in der Weiterbildung.