• Tarifzukunft

    Die wichtigsten Eckpunkte für einen neuen MB-Tarifvertrag im Überblick

    Von Dr. Andreas Botzlar und Christian Twardy

    Mit den ersten arztspezifischen bundesweit geltenden Tarifverträgen TV-Ärzte/VKA für die kommunalen Krankenhäuser und TV-Ärzte für die Unikliniken haben die Mitglieder des Marburger Bundes nach teilweise wochenlangen Arbeitskämpfen in den Jahren 2005 und 2006 Wegweisendes geleistet. Diese Tarifverträge waren Blaupause für zahlreiche Tarifverträge in ganz Deutschland und für viele Tausend Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern unterschiedlichster Trägerschaft. Tarifverträgen ist aber – weitgehend unabhängig davon, wie sie zustande kommen – gemeinsam, dass sie stets auch Kompromisse abbilden und beide Seiten im Laufe der Zeit danach trachten, bestimmte Aspekte weiterzuentwickeln, zu revidieren oder schlicht zu verbessern. So waren und sind die arztspezifischen Tarifverträge des Marburger Bundes immer auch Gegenstand der Veränderung.

    In den vergangenen Jahren konnten die Verhandlungskommissionen des MB in verschiedenen Tarifbereichen neben der Erhöhung der Entgelte auch substanzielle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen durchsetzen. Das geschah vielfach friedlich und dort, wo bestimmte Bestandteile der Tarifverträge nicht gesondert kündbar (und damit auch nicht ohne Kündigung des gesamten Tarifvertrages bestreikbar) waren, auch wegen der Einsichtsfähigkeit bestimmter Arbeitgebervertreter. In einigen Fällen jedoch konnten Veränderungen nur über Arbeitskämpfe und dort, wo diese rechtlich nicht möglich waren, eben auch gar nicht gestaltet werden.
    In den vergangenen Jahren kam ein anderer Umstand hinzu, der den MB zwar nicht an der Wahrnehmung seiner grundrechtlich geschützten Aufgaben gehindert hat, aber dennoch sehr viel vorsichtiger hat agieren lassen; die Rede ist vom Tarifeinheitsgesetz und seinen verfassungsgerichtlichen Nachwehen. Zwar wurde das unnötige Gesetz (noch) nicht aufgehoben, aber das Bundesverfassungsgericht hat ihm dennoch die besonders morschen Zähne gezogen. Für die Tarifgremien war all das aber Grund genug, die Tarifverträge einer kritischen Würdigung zu unterziehen und zu fragen, ob diese denn eigentlich noch die Arbeitsbedingungen festlegen, unter denen die Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2018 und vor allem auch zukünftig arbeiten wollen.

    Die regelmäßigen Mitgliederbefragungen (MB-Monitor), zahlreiche Zuschriften, Mitgliederversammlungen, Netzwerktreffen und nicht zuletzt die Erfahrungen unserer Juristen aus der Rechtsberatung zeichneten indes ein zwar vielfältiges aber dennoch eindeutiges Bild: es gibt Reformbedarf!

    Diesen Reformbedarf in geordnete Bahnen zu lenken, zu systematisieren und letztlich in konkrete Zielsetzungen einfließen zu lassen, stellte in den vergangenen Monaten die Hauptlast der Kleinen Tarifkommission dar. Dieses Gremium, bestehend aus vom Bundesvorstand entsandten (3) und von der Hauptversammlung gewählten (15) Ärztinnen und Ärzten sowie – als Besonderheit im Verband – hauptamtlichen, zumeist juristischen Mitarbeitern, hat die Anforderungen an zukunftsfähige tarifliche Regelungen in Thesenform gegossen. Diese Thesen, in starkem Maße konzentriert und abstrahiert, sind derzeit Grundlage der Diskussion im Verband (siehe auch MBZ 14/2018).

    Die Landesverbände haben in zahlreichen Mitgliederversammlungen, Netzwerktreffen und weiteren Veranstaltungen diese Thesen mit den Mitgliedern diskutiert, das Tarifforum am vergangenen Samstag bot Gelegenheit mit den tarifpolitischen Akteuren des Verbandes zu diskutieren. Dabei zeigte sich bei aller auch kontroverser Diskussion: Die Richtung stimmt.

    Arbeitszeiterfassung

    Ausgangspunkt aller Reformbestrebungen muss die flächendeckende Pflicht zur objektiven, automatisierten und manipulationsfreien Arbeitszeiterfassung sein. Ohne Ehrlichkeit im Umgang mit der ärztlichen Arbeitszeit bleiben auch die ambitioniertesten Arbeitszeitregelungen letztlich der Versuch, nur die Symptome einer Erkrankung zu bekämpfen. Dabei muss gelten, dass die Anwesenheit im Haus allein ausschlaggebend ist für die Feststellung der Arbeitszeit. Die Arbeitszeiterfassung soll dabei Maßgaben folgen, die die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag festlegen; diese bilden also das Lastenheft für eine tarifvertragskonforme Arbeitszeiterfassung, die jeder Arbeitgeber zu beachten hat. Ob sich in den Tarifverträgen zukünftig auch Regelungen zu Arbeitszeitkonten finden, soll indes Sache der Landesverbände sein und gegebenenfalls in gesonderten Tarifverträgen geregelt werden.

    Kernarbeitszeit und freie Wochenenden

    Ein Kernanliegen der Ärzteschaft, und das hat sich auch in den Debatten auf dem Tarifforum gezeigt, liegt in der Erlangung eines höheren Grades an Verbindlichkeit und Verlässlichkeit im Hinblick auf Arbeitszeit und Freizeit. Insbesondere die bisherigen Regelungen zum Referenz- oder Ausgleichszeitraum werden als schlecht handhabbar, unübersichtlich und prinzipiell missbrauchsanfällig betrachtet. Sie sollen daher modifiziert und einheitlich auf das Kalendervierteljahr bezogen werden. Wir wollen erreichen, dass auch im ärztlichen Arbeitsalltag eine Kernzeit im Fenster zwischen 7 und 17 Uhr als normal, alles außerhalb dieser Zeit aber als besonders und damit eben auch als besonders zu bewertende Zeit betrachtet wird. Den Ärztinnen und Ärzten geht es dabei nicht um das Infragestellen der grundsätzlichen Notwendigkeit, im Krankenhaus ärztliche Arbeitskraft in ausreichendem Maße zu jeder Tages- und Nachtzeit vorzuhalten. Vielmehr wollen wir auf diese Weise einen nachhaltigeren Umgang mit der ärztlichen Arbeitskraft erreichen.

    Daneben muss auch in Zeiten des Ärztemangels gewährleistet sein, dass Ärztinnen und Ärzte an zumindest zwei Wochenenden im Monat tatsächlich von jeglicher Form von ­Arbeitsverpflichtung befreit sind. Nur so kann auch für Ärztinnen und Ärzte in Zukunft eine Teilhabe an normalen sozialen Aktivitäten gewährleistet werden und der Arztberuf an Attraktivität gewinnen.

    Reformbedarf bei den Dienstformen

    Im Hinblick auf den Bereitschaftsdienst gilt es ein stetes Ärgernis endgültig zu beseitigen: Die Gewährung von Freizeitausgleich nach den Diensten soll nicht mehr in Zeiten erfolgen können, in denen ein gesetzlicher Anspruch auf Ruhezeit besteht. Damit wird auch die Unart beendet, wegen des Freizeitausgleiches die in der Nacht geleisteten Dienststunden mit der Arbeitsverpflichtung am folgenden Tag zu verrechnen. In diesen Regelungsbereich gehört auch die einheitliche Bewertung von Arbeitsstunden im Bereitschaftsdienst zum Zwecke der Entgeltberechnung und eine summenmäßige Begrenzung auf vier Bereitschaftsdienste monatlich im Durchschnitt des Kalendervierteljahres.

    Eine dementsprechende restriktivere Behandlung von Rufbereitschaften mit ausdrücklicher Klarstellung der maximal zulässigen Inanspruchnahme gehört ebenso in diesen Komplex, wie die Neuregelung und Straffung der Vorschriften zu Schichtdiensten. Wir wollen dabei insbesondere die Kombination von Schichtarbeit mit anderen Dienst- und Arbeitsformen ausschließen und die Regelungen zum Zusatzurlaub straffen. Ob daneben die Einführung einer weiteren Dienstform – etwa eines nicht ortsgebundenen Bereitschaftsdienstes – sinnvoll ist, wird derzeit noch diskutiert.

    Rahmenvorgaben zur Dienstplangestaltung

    Im Rahmen der Schaffung verbindlicher Vorgaben für die Dienstplangestaltung soll insbesondere die Pflicht des Arbeitgebers geregelt werden, den jeweiligen Dienstplaner rechtzeitig mit Angaben zur Personalverfügbarkeit zu versorgen. Kurzfristige Änderungen des Dienstplanes sollen zukünftig für den Arbeitgeber spürbare monetäre Auswirkungen haben, ohne dass auf diese Weise ein Schattendienstplan zugelassen werden wird.

    Die Kleine Tarifkommission hat bereits in der Woche nach dem Tarifforum begonnen, die zahlreich gegebenen Anregungen, Wünsche aber auch die kritischen Anmerkungen der Mitglieder zu ordnen und zu berücksichtigen. Dabei geht es vor allem auch darum, tarifpolitische Zielsetzungen und letztlich Forderungen zu entwickeln, die in kleinen Abteilungen in Häusern der Grund- und Regelversorgung ebenso umgesetzt werden können wie in Einrichtungen der Maximalversorgung in Großstädten. Dass gerade dieser Spagat gewaltige Herausforderungen mit sich bringt leuchtet ein; die Tarifgremien des Verbandes berücksichtigen diese Vielfalt an Notwendigkeiten bereits bei ihrer Zusammensetzung.

    Noch wichtiger als das ist aber die die Beteiligung der Mitgliedschaft nicht nur bei der Vorbereitung der Tarifnovellierung und im Rahmen der Verhandlungen, sondern vor allem bei der – höchstwahrscheinlich notwendigen – Durchsetzung. Dann wird sie sogar unverzichtbar.

    Zu den Autoren

    Dr. Andreas Botzlar ist 2. Bundesvorsitzender und Vorsitzender der Kleinen Tarifkommission. Christian Twardy ist Leiter des Tarifreferats im MB-Bundesverband und stellvertretender Hauptgeschäftsführer