• Referentenentwurf eines Gesetzes für bessere und unabhängige Prüfungen – MDK-Reformgesetz des Bundesministeriums für Gesundheit

    21.Juni 2019
    Stellungnahme des Marburger Bund Bundesverbands
    Die mit dem MDK-Reformgesetz beabsichtigte Stärkung der Medizinischen Dienste (MD) und des Medizinischen Dienstes Bund (MD Bund) durch die Gewährleistung größerer Unabhängigkeit und die Maßnahmen zur Effizienzsteigerung der Krankenhausabrechnungs-prüfung zur Entlastung aller Beteiligten sind grundsätzlich zu begrüßen. Bei verschiedenen Regelungen gibt es allerdings Änderungsbedarf.

    Es entsteht damit die Chance, die medizinische Dimension der Prüfungen des Medizinischen Dienstes wieder in den Vordergrund zu stellen und die Rolle des MD neu zu definieren.

    In den folgenden Einzelbewertungen fokussiert sich der Marburger Bund im Wesentlichen auf die Vorschriften, die für seine Mitgliedschaft von Relevanz sind.

    Zu den Schwerpunkten des Referentenentwurfs im Einzelnen:

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    Einheitliche Rechtsform, Neubesetzung der Verwaltungsräte und Finanzierung der Medizinischen Dienste

    Der Marburger Bund begrüßt, dass die neuen Medizinischen Dienste weiterhin in föderaler Aufstellung erhalten bleiben und über eine mitgliederabhängige Umlage von den Kassen finanziert werden.

    Positiv zu bewerten sind außerdem insbesondere die organisatorische Loslösung der künftigen MD von den Kassen und die Verleihung des Körperschaftsstatus, die den jeweiligen Beschäftigten dieser unabhängigen Berater- und Begutachtungsdienste einen Umgang auf Augenhöhe mit anderen Selbstverwaltungsorganisationen im Gesundheitswesen erlaubt.

    Auch die Neuregelung zur Besetzung der Verwaltungsräte der MD mit dem Ausschluss hauptamtlich bei Krankenkassen Beschäftigter und der Einbeziehung von jeweils zwei Vertretern der Ärzteschaft sowie der Pflege wird zu größerer Unabhängigkeit und mehr Sachkompetenz in den maßgeblichen Entscheidungsgremien der Medizinischen Dienste führen. Sie wird daher insbesondere von den ärztlichen Mitarbeitern in den jetzigen MDK begrüßt.

    Der Marburger Bund regt an, sowohl bei der Bestellung des Vorstands der MD als auch des MD Bund festzuschreiben, dass die bzw. der jeweilige Vorstands-vorsitzende oder seine bzw. sein Stellvertreter*in Arzt bzw. Ärztin sein müssen. Dies würde dazu beitragen, neben dem ökonomischen auch ärztlichen Sachverstand in die Geschäftsführung einfließen zu lassen.

    2
    Neuorganisation des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS)

    Entsprechend der Zielsetzung des Referentenentwurfs ist es folgerichtig, dass die neuen Medizinischen Dienste mit dem Medizinischen Dienst Bund selbst einen eigenen Bundesverband bilden, der durch eine Umlage der ihn bildenden MD finanziert wird. Dies führt auch auf der Bundesebene zu der gewünschten organisa-torischen und finanziellen Trennung sowie der Unabhängigkeit des jetzigen Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands Bund (MDS) vom GKV-Spitzen-verband.

    Der Marburger Bund begrüßt insbesondere die neue eigene Richtlinienkompetenz des MD Bund in der Neufassung des § 283 Abs. 2 SGB V.
    Hinsichtlich der Beschlussfassung über die Richtlinien für die Aufgabenwahrnehmung der MD sollte allerdings klargestellt werden, wie die im Referentenentwurf postulierte „angemessene Mitwirkung“ der MD aussehen soll, damit föderale Besonderheiten berücksichtigt werden können. Dies gilt beispielsweise für die Personalbedarfs-ermittlung nach § 283 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 4 SGB V-neu oder die Anforderungen an die Qualifikation und Unabhängigkeit der eingesetzten Gutachter und Gutachterinnen nach Ziff. 5.

    Grundsätzlich begrüßt der Marburger Bund mit Blick auf die „anderen“ Gutachter, dass hier erstmals bundeseinheitliche Richtlinien zur Qualitätssicherung eingeführt werden. In diesem Zusammenhang stellt sich aber auch die Frage, inwiefern bei ausreichender Personalausstattung überhaupt ein Bedarf an externen Begut-achtungen bestehen kann. Aus der Begründung zu § 278 Abs. 2 SGB V-neu ergibt sich, dass externe Gutachter nur „zur Erledigung von Auftragsspitzen oder zur Bearbeitung seltener und spezieller Gutachtensaufträge“ eingesetzt werden dürfen. Diese Einschränkung befürwortet der Marburger Bund vollinhaltlich.

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    Weitere ergänzende Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit und der einheitlichen Aufgabenwahrnehmung der MD

    Integration des SMD

    Die Integration des Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) der Deutschen Renten-versicherung Knappschaft-Bahn-See (DRV KBS) in das MD-System wird vollständig abgelehnt.

    Dies ist Beschluss der 135. Hauptversammlung des Marburger Bundes vom 26.05.2019.

    Der SMD betreut einen spezifischen Aufgabenbereich aller Rentenversicherungs-träger, so auch des Verbundträgers KBS. Er ist insofern seit jeher organisatorisch der Rentenversicherung zugeordnet und eben nicht dem Teil der KBS, der für die Kranken- und Pflegeversicherung zuständig ist. Die Kranken- und Pflegeversicherung KNAPPSCHAFT beauftragt den SMD mit Gutachten und Stellungnahmen, ebenso, wie dies andere Krankenkassen mit dem MDK machen. Insofern verfügt der SMD heute bereits über die mit der Reform intendierte Unabhängigkeit.

    Eine mögliche Aufteilung des SMD in einen SMD der Rentenversicherung, der bei der KBS verbleibt, und eine Überführung des SMD für die Kranken- und Pflege-versicherung KNAPPSCHAFT auf die Medizinischen Dienste würde zur Aufteilung von Arbeitsplätzen von Beschäftigten zwingen, die heute, orientiert am Versicherten, ganzheitlich Aufgaben sowohl in der Rentenversicherung als auch in der Kranken- und Pflegeversicherung durchführen.

    Er würde sich zudem negativ auf die Wirtschaftlichkeit des SMD, die sich insbesondere bei den Verwaltungskosten durch gemeinsame Dienststellen und gemeinsames Verwaltungspersonal ergibt, auswirken. Dies gilt auch vor dem Hinter-grund der bei der beabsichtigten Reorganisation erforderlichen Überführung von Tarifangestellten und Beamten von Bundes- auf Landesrecht.

    Daneben wären negative Auswirkungen auf die Rehabilitations- und Renten-begutachtung der KBS zu erwarten, weil notwendige SMD-Betriebsgrößen unter-schritten würden. Die auch vor dem Hintergrund von Teilhabe und Rehabilitation notwendige individuelle kranken- und rentenversicherungsübergreifende Begut-achtung, die insbesondere wegen der demografischen Entwicklung zunehmende Bedeutung erlangen wird, würde sich verschlechtern.

    Verbindliche Einschaltung des MD in Widerspruchsverfahren

    In § 275 Abs. 3 b SGB V-neu ist verankert, dass bei der Ablehnung von Leistungs-anträgen aufgrund fehlender medizinischer Erforderlichkeit, bei der die Krankenkasse auf eine Beteiligung des MD verzichtet hat, dieser verpflichtend im Widerspruchs-verfahren einbezogen werden muss, sofern dem Widerspruch nicht abgeholfen werden soll. Diese Regelung ist im Sinne der Patienten positiv zu bewerten, bedeutet aber für die MD eine weitere Zunahme der Begutachtungen.

    Gutachter der MD

    § 275 Abs. 5 SGB V sowie § 278 Abs. 2 SGB V tragen dem Umstand Rechnung, dass neben Ärztinnen und Ärzten und Pflegefachkräften auch Angehörige anderer geeigneter Berufe im Gesundheitswesen in die Gruppe der zur Wahrnehmung der Fachaufgaben berechtigten Personen aufgenommen werden sollen. Dies ist grund-sätzlich zu begrüßen, solange bei der Beteiligung unterschiedlicher Berufsgruppen die medizinische Gesamtverantwortung bei den Ärzten liegt und für ausschließlich pflegefachliche Sachverhalte bei den Pflegefachkräften.

    Klarstellungsbedürftig ist an dieser Stelle die Frage, bei wem die Endverantwortung liegt, wenn bei einer Begutachtung nicht unterschiedliche Berufsgruppen beteiligt sind und der (Einzel-)Gutachter kein Angehöriger der Berufsgruppe der Ärzte oder der Pflegefachkräfte ist, also etwa dann, wenn Psychologen die psychiatrischen PEPP-Fälle – auch mit somatischen Nebendiagnosen – allein begutachten. Gleiches gilt für alle anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen wie beispielsweise Apotheker, Kodierfachkräfte etc.

    Übergang der Rechte und Pflichten der MD

    Gemäß § 328 Abs. 3 SGB V n.F. gehen die Rechte und Pflichten der Medizinischen Dienste auf die in den jeweiligen Bezirken als Körperschaften des öffentlichen Rechts errichteten Dienste über und diese treten in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen mit den bei ihnen beschäftigten Personen ein. Nach Satz 5 gelten die bestehenden Tarifverträge fort.

    Der Marburger Bund Bundesverband hat mit der Tarifgemeinschaft der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung einen Tarifvertrag für die Beschäftigten des MDK und des MDS geschlossen, der regelmäßig neu verhandelt wird. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die bestehenden tarifvertraglichen Regelungen weitergelten.

     

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    Reduzierung des Prüfumfangs der primären Fehlbelegung (§ 115b SGB V)

    Die neue Regelung zur Katalogerweiterung ambulantes Operieren und stations-ersetzende Leistungen verfolgt zwei Zielsetzungen:

    Einerseits soll der Grundsatz „ambulant vor stationär“ besser als bisher umgesetzt werden und eine möglichst umfassende Ambulantisierung erreicht werden.

    Andererseits soll durch die verbesserte Realisierung des ambulanten Potenzials seitens der Krankenhäuser zugleich der Entstehung eines der häufigsten Anlässe der Einzelfallprüfung entgegengewirkt werden.

    Die Zielsetzung, das Potential der ambulant durchführbaren Operationen, stations-ersetzenden Eingriffe und Behandlungen auf Basis eines wissenschaftlichen Gutachtens feststellen zu lassen sowie die Kataloge regelmäßig an den Stand der medizinischen Erkenntnisse anzupassen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Hierdurch könnte die Vereinbarung der Kataloge versachlicht bzw. vereinfacht werden.

    Allerdings ist die im Referentenentwurf genannte zweite Zielsetzung der Erweiterung der AOP Kataloge zu kritisieren:

    Wenn mit einem präzise gefassten Katalog Streitfälle um die richtige Versorgungs-form (ambulant/stationär) und die entsprechenden Krankenhausabrechnungen vermindert werden sollen, birgt das die Gefahr einer Einschränkung der ärztlichen Entscheidungsfreiheit.

    Das gilt umso mehr, wenn es in § 115b Abs. 2 heißt, dass Leistungen, die Kranken-häuser auf Grundlage des Kataloges nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erbringen, nicht der Prüfung durch den Medizinischen Dienst nach § 275 Absatz 1 Nummer 1 unterliegen. In der Begründung wird dazu ausgeführt, dass durch die Änderung für Krankenhäuser die ambulante Erbringung der im AOP-Katalog vereinbarten Leistungen gefördert werden solle. In diesem Fall entfalle künftig eine Prüfung dieser Leistungen durch den MD. Dies könne zu einem spürbaren Rückgang der Zahl der MD-Prüfungen führen, sobald der auf der Grundlage des Gutachtens nach Absatz 1a erweiterte AOP-Katalog vereinbart worden sei.

    Aber auch wenn eine Operation ambulant durchführbar ist, muss eine individuelle Arzt-/ Patienten-Entscheidung getroffen werden. Dabei sind auch das soziale Umfeld und die nachgeordneten Versorgungsmöglichkeiten in die Entscheidung miteinzu-beziehen. Der Verband Ambulantes Operieren hat dazu entsprechende Leitlinien für ambulantes Operieren bzw. Tageschirurgie entwickelt. Die Entscheidung für eine stationäre Behandlung dürfte folglich den Dokumentations- und Begründungsaufwand weiter erhöhen, weil andernfalls bei MD-Prüfungen Sanktionen drohen.

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    Stärkung der Anreize für eine korrekte Krankenhausabrechnung durch Neuregelung der Einzelfallprüfung nach § 275c SGB V

    Grundsätzlich wird die Intention begrüßt, die Rolle der MD bei der Prüfung von Krankenhausabrechnungen zu stärken und die Einzelfallprüfung zur Reduzierung des Aufwands aller Beteiligten neu zu gestalten.

    Allerdings gibt es aus Sicht des Marburger Bundes einige kritisch zu bewertende Punkte:

    Durch den Referentenentwurf wird vorgegeben, bei der Prüfquote das Verhältnis der geprüften Fälle, die nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt haben, zu den abgeschlossenen Prüfungen heranzuziehen. Die Datenlieferungen und Auswertungen der Prüf- bzw. Ablehnungsquoten sollen rückwirkend für abgelaufene Quartale erfolgen. Diese Vorgabe ist unter Zugrundelegung der aktuellen Prüfdauer und der Vielzahl der jetzigen Fälle sowie der Dauer der Rechnungslegung bis zum nächsten Folgequartal faktisch unmöglich, weil die Prüf-ergebnisse des MD noch nicht vorliegen werden.

    Die MD müssten zudem ein gänzlich neues Monitoring einrichten, um bei Überschreitung der Prüfquote prospektiv weitere Aufträge gem. § 275c Abs. 2 Satz 3 SGB V-neu abzulehnen zu können. Eine solche Systematik gibt es bisher nicht. Es ergeben sich weitere Fragen, wie etwa die, ob ein einmal abgelehnter Auftrag z.B. beim Quartalswechsel innerhalb der Prüffrist nochmals vorgelegt werden kann oder ob Kliniken gezielt eine Vielzahl kritischer Rechnungen kurz vor Quartalsende stellen dürfen, um damit bei erfüllter Quote eine Prüfung zu verhindern.
    Ungeklärt ist die auch die Frage, wie die Begrifflichkeit des „begründeten Verdachts“ in § 275c Abs. 2 Satz 4 SGB V-neu auszulegen ist. In der Gesetzesbegründung findet sich hierzu nichts. Der Begriff bedarf der Konkretisierung.

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    Neuregelung der Strukturprüfung nach § 275d SGB V

    Die Strukturmerkmale der OPS-Komplexbehandlungskodes werden derzeit bereits selektiv ohne konkrete gemeinsame Vorgaben durch die MDKs geprüft. Die Einführung einer einheitlichen Strukturprüfung wird daher begrüßt.

    Die MD rechnen bereits mit einer Vielzahl von Aufträgen in diesem Bereich, insbesondere in Ländern, die bisher keine systematischen Strukturprüfungen durch-führen. Daher wäre eine längere Übergangsfrist sinnvoll.

    Sehr kritisch zu beurteilen ist die Regelung in § 275d Abs. 5 SGB V-neu, die es den Krankenhäusern freistellt, den MD oder einen "anderen Gutachtendienst" mit der Prüfung zu beauftragen. Aus Sicht des Marburger Bundes ist diese Möglichkeit der Einbeziehung eines privaten Dritten, den die Klinik als Auftraggeber selbst vergütet und der keiner Qualitätskontrolle unterliegt, abzulehnen. Sie würde den Kranken-häusern die Möglichkeit eröffnen, für sie günstige Gutachtenergebnisse „einzukaufen“.

    Dies gilt umso mehr, als die bis zum 30.04.2020 vom MD Bund zu erlassende Richt-linie nach § 283 Absatz 2 Nummer 2 SGB V-neu nach der jetzigen Fassung des Referentenentwurfs nur für die Tätigkeit der Medizinischen Dienste und nicht explizit für andere, von Kliniken beauftragte Gutachtendienste gilt. Aber auch wenn diese einbezogen wären und ein standardisiertes und transparentes Vorgehen etabliert würde, könnte eine Parteilichkeit der Gutachter nicht ausgeschlossen werden.

    Dies ist inkonsequent. Einerseits sollen die MD aus ihrer Kassenabhängigkeit herausgelöst werden, andererseits wird externen oder sogar von Kliniken selbst gegründeten Gutachtern die Möglichkeit eröffnet, für sich einen lukrativen Markt zu schaffen, der sich letztlich aus Versichertengeldern speist.

    Der Marburger Bund spricht sich daher dafür aus, in § 275d Abs. 1 und 5 SGB V-neu die entsprechenden Passagen zu „anderen Gutachterdiensten“ ganz zu streichen.