Wie leider viel zu oft blockieren wir uns in Deutschland auch im Bereich der Digitalisierung, indem wir den sechsten Schritt problematisieren, statt die ersten zwei Schritte zu gehen. Zusätzlich werden immer wieder perfekte Lösungen geplant, die dann teilweise scheitern, anstatt mit einer erheblichen Verbesserung zunächst zufrieden zu sein. Perfektionismus ist gar nicht so selten der Feind des Guten. Zusätzlich scheitern Digitalisierungsinitiativen im Gesundheitswesen immer wieder daran, dass die Anwenderinnen und Anwender nicht in die Entwicklung einbezogen werden. Noch schlimmer: Es werden neue digitale Prozesse implementiert, aber denen, die diese nutzen, keinerlei Möglichkeit für eine Rückmeldung gegeben. Denn oft fallen erst bei der täglichen Anwendung Kompatibilitätsprobleme oder unnötige Dokumentationsschritte auf.
Da es oft an der Definition von möglichst pragmatischen Zielen bei der Digitalisierung fehlt, ist die Gefahr groß, dass immer wieder schlechte analoge Abläufe digital abgebildet werden. Das bringt keinen Nutzen und verfestigt sogar Probleme. Nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern möglichst in ganz Europa braucht es offene, bindende und gut dokumentierte Datenaustauschformate und -mechanismen, um Insellösungen zu verhindern. Ebenso brauchen wir insbesondere für die Forschung im Gesundheitswesen bei der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ein einheitliches Verständnis, wie und wann ein Austausch von pseudonymisierten oder anonymisierten Daten möglich bzw. wann ein aggregierter Datenaustausch notwendig und sinnvoll ist. Leider gibt es aber in den 27 EU-Ländern auch 27 Datenaufsichtsbehörden, die einen justiziablen Rechtsrahmen erschweren und den Entwicklern keine Gestaltungssicherheit geben. In Deutschland machen es die zusätzlichen 17 Landesdatenschutzaufsichtsbehörden nicht leichter.
Es ist richtig, dass wir uns als Ärztinnen und Ärzte für eine sinnvolle und ressourcensparende Digitalisierung einsetzen. Dennoch bleiben digitale Anwendungen Mittel zum Zweck. Wir müssen uns mit den Möglichkeiten und Grenzen digitaler Anwendungen, erst recht bei dem Einsatz von künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, den täglichen Support zu übernehmen. Serviceorientierte EDV-Abteilungen, die uns bei Problemen zeitnah unterstützen, sind im Klinikalltag leider keine Selbstverständlichkeit.
Die vielen aufgezeigten Probleme machen klar: Es liegt eine Mammutaufgabe vor uns, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzubringen. Dies ist aber dringend notwendig, denn es ist ein wichtiger Baustein, um dem zunehmenden Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu begegnen. Der Marburger Bund wird weiterhin konstruktive und praktikable Vorschläge aus ärztlicher Sicht geben. Wir wollen digitale Brücken mit starken Pfeilern bauen und den Informationsfluss auch sektorenverbindend verbessern.