Herr Dr. Hillen, warum geht der Digitalisierungsprozess im Gesundheitswesen so langsam voran?
Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Manchmal fehlt mir bei manchen Beteiligten in diesem Prozess die Einsicht, dass die Digitalisierung der Medizin kein „Nice to have“, sondern eine Notwendigkeit für unser Gesundheitswesen darstellt und es deshalb dringend Zeit wird, sie aktiv mitzugestalten. Ein praktisches Problem ist die mangelnde Interoperabilität zwischen den diversen Praxissoftwaresystemen niedergelassener Kolleginnen und Kollegen. Diese verschiedenen Systeme haben untereinander häufig keine Schnittstelle und tragen somit zur schleppenden Umsetzung der ePA bei. Hier sollte der Gesetzgeber die Ärzteschaft unterstützen, um offene Schnittstellen zu schaffen, die den Austausch zwischen den verschiedenen Systemen ermöglichen.
Welchen Zweck muss Digitalisierung denn im Gesundheitswesen erfüllen?
Der Zweck der Digitalisierung sollte sich an dem Nutzen für Patienten, aber auch dem Nutzen für die Ärzteschaft orientieren. Es ist zweifelsfrei ein Prozess mit Herausforderungen, aber sinnvoll gestaltet, birgt er viele Chancen zur notwendigen strukturellen und praktischen Verbesserung des Gesundheitswesens. Um das zu erreichen, muss ärztlicher Sachverstand bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens aber entscheidend beteiligt sein.
Was konnte die Ärztekammer in Punkto Digitalisierung in den letzten Jahren bereits auf den Weg bringen?
Zu nennen ist hier zum Beispiel die Einführung des digitalen Logbuches zur Weiterbildung oder auch die Arbeit des neu aufgestellten Ausschusses „Digitalisierung und Strategien im Gesundheitswesen“. Neben Publikationen zum Thema Digitalisierung haben wir in diesem Ausschuss die Fortbildungsreihe „Hamburg goes digital“ ins Leben gerufen, um über Themen wie Telemedizin, Remote Monitoring und Machine Learning zu informieren. Dieses Format wurde sehr gut angenommen, was das große Interesse der Ärzteschaft an diesem Thema unterstreicht.
Und was steht aus Ihrer Sicht noch an?
Ich sehe uns in der Ärztekammer Hamburg mehr denn je in der Verantwortung, die digitale Kompetenz der Ärzteschaft aufzubauen – und das auch, um Skepsis und Vorbehalte weiter abzubauen. In der kommenden Wahlperiode müssen wir die theoretischen Grundlagen, die wir geschaffen haben, noch mehr in die Praxis umsetzen. Ich würde mich freuen, wenn wir die Online-Fortbildung fortführen, aber zusätzlich Präsenzformate schaffen, in denen wir uns mit den verschiedenen Stakeholdern des Digitalisierungsprozesses – gerne auch neu gegründeten Unternehmen mit innovativen Ideen – austauschen. Solch ein Austausch wird bereichernd sein, neue Perspektiven geben und uns zeigen, wie wir den Prozess aus ärztlicher Sicht leiten und unterstützen können.
Künstliche Intelligenz, Data-Science und Robotics verändern die Medizin – wie stehen Sie als Arzt dazu?
Es sind Entwicklungen, die stattfinden und die wir nicht ignorieren können. Und sie bieten zum Teil großes Potential, die medizinische Versorgung zu verbessern. Aber ich halte es für notwendig, dass die Ärzteschaft diese Entwicklung nicht nur passiv mitbegleitet, sondern aktiv mitgestaltet. Nur so können wir sicherzustellen, dass medizinisches Handeln und Patientenwohl im Vordergrund dieser Entwicklungen stehen. Genau deshalb ist eine solide ärztliche digitale Kompetenz unerlässlich.