Wir stehen am Anfang eines neuen Jahres. Was haben Sie sich als Präsident der Ärztekammer und als 1. Vorsitzender des MB Hamburg vorgenommen?
Die Krankenhausreform steht sowohl der Ärztekammer als auch dem MB bevor. Es ist mir wichtig, dass wir die lokale Perspektive in die öffentliche Diskussion einbringen. Denn die vom Bundesgesundheitsministerium ausgedachte Schablone lässt sich nicht überall gleichermaßen anwenden. Wir konnten zumindest vor Ort einige wichtige Punkte dazu einbringen.
Als Gewerkschaft müssen wir über den Umgang einiger Arbeitgeber mit gewerkschaftlich aktiven Mitarbeitenden sprechen. Ich glaube, dass das, was Franziska Schlosser widerfahren ist, potenziell Schule machen könnte – wenn wir dem nicht entschieden genug entgegentreten. Auch wenn es sich um einen Einzelfall handelt, der vor Gericht verhandelt wurde, wissen wir doch von weiteren Einschüchterungsversuchen. Dabei geht es nicht immer gleich um Kündigungen, sondern auch um Drohungen hinsichtlich der weiteren Karriere im Betrieb.
In der Kammer arbeiten wir weiter daran, die Serviceorientierung und Mitgliederfreundlichkeit zu verbessern und Verwaltungsangelegenheiten effektiver und kompakter zu gestalten, um mehr Raum für politische Aktivitäten zu schaffen. Insgesamt sind wir auf einem sehr guten Weg und machen in vielen Bereichen große Fortschritte. Auch als Verband sind wir deutlich präsenter und agiler geworden. Für die Zukunft haben wir den Anspruch, bei wichtigen gesundheitspolitischen Themen in der Stadt tonangebend zu sein und eine Leuchtturmfunktion über Hamburg hinaus zu übernehmen.
Die Krankenhausreform zieht sich weiter hin. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?
Es begann mit dem politischen Fehler, Entscheidungsträger nicht frühzeitig einzubeziehen. Die Annahme, dass man den Prozess formal beschleunigen kann, indem man Beteiligte außen vorlässt, hat sich als Trugschluss erwiesen. Auch auf inhaltlicher Ebene hat man den Fehler gemacht, nicht genügend Fachleute, die von der Materie etwas verstehen und relevante Beiträge hätten leisten können, einzubeziehen. Wir müssen jedoch darauf achten, dass wir uns als Verband in unserem Streben nach einem konstruktiven Dialog nicht in Details verlieren, ohne die grundlegende Frage zu stellen: Wohin soll es mit dem Gesundheitswesen eigentlich gehen? Oder: Welche Auswirkungen hat die Krankenhausreform auf die ambulante/sektorenübergreifende Patientenversorgung und die Notfallversorgung?
Länder und Bund werden sich auch nicht so recht einig. Kommen denn Impulse, die Sie an die Hamburger Politik weitergeben, in Berlin an?
Wir konnten bereits früh im Prozess Senatorin Schlotzhauer davon überzeugen, das bis dahin völlig außer Acht gelassene Thema der ärztlichen Weiterbildung sowie Aspekte rund um die Arbeitsverträge der angestellten Ärztinnen und Ärzte in den Bund-Länder-Gesprächen zu platzieren. Dies wurde als relevantes Thema wahrgenommen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die Umsetzung letztendlich so erfolgt, wie es sinnvoll wäre.
Wie erleben Sie den Austausch mit der Hamburger Politik?
Wir führen offene Gespräche – persönlich und formal – miteinander, was ich sehr schätze. Unsere Anliegen werden ernst genommen und hinsichtlich ihrer politischen Umsetzbarkeit überprüft. Natürlich gibt es unterschiedliche Interessenlagen. Wir müssen darauf achten, dass wir im politischen Diskurs die Unterschiede in den Standpunkten nicht persönlich nehmen und dementsprechend auch nicht persönlich diskutieren, sondern versuchen, Wege zu finden, wie wir vernünftig im Sinne aller Beteiligten entweder Kompromisse finden oder, wenn keine Kompromisse möglich sind, standhaft bleiben.
Auch die Interessen innerhalb der Ärzteschaft sind teilweise sehr unterschiedlich. Haben Sie Lösungsvorschläge, wie man konstruktiver miteinander arbeiten könnte?
Einerseits geht es um Ehrlichkeit, andererseits um die übergeordnete Frage, wie es mit dem Gesundheitswesen weitergehen soll. Diese Aspekte müssen immer im Blick behalten werden. Wenn beispielsweise die Budgetierung im ambulanten Bereich aufgehoben wird, muss auch erklärt werden, wie dies finanziert wird. Eine Anhebung der Gesundheitskosten wäre zwar gerechtfertigt, aber auch eine zusätzliche Belastung für die Bürgerinnen und Bürger. Daher ist es wichtig, über solche Angelegenheiten nachzudenken und in der öffentlichen Kommunikation fair und klar zu sein. Gleichzeitig müssen wir als Ärztinnen und Ärzte darauf achten, dass wir uns von der Politik nicht spalten lassen. Bei der Frage, ob Leistungen künftig beispielsweise ambulant oder stationär erbracht werden sollen, sollte nicht die Konkurrenz zwischen den Sektoren hinsichtlich der Einnahmen angeheizt werden, sondern das Patientenwohl im Mittelpunkt stehen.
Immer mehr Ärztinnen und Ärzte sind angestellt tätig, der Frauenanteil in diesem Beruf wächst, wir haben einen Fachkräftemangel und gleichzeitig übernimmt KI zunehmend hochkomplexe Aufgaben. Wie sollten wir uns angesichts solcher Veränderungen als Gewerkschaft weiterentwickeln?
Wir müssen uns bewusst machen, dass wir viel mehr sind als eine Gewerkschaft! Als größter Verband von Ärztinnen und Ärzten in Deutschland und Europa müssen wir überlegen, wie sich das Profil einer Ärztin oder eines Arztes im modernen Kontext gestaltet. Das Festhalten an vielen medizinischen Tätigkeiten, die nicht unbedingt ärztlich sein müssen, ist überholt. Wir müssen den Umgang mit neuen medizinischen Fachberufen erlernen, um auch mit der Situation des Ärztemangels umgehen zu können. Als Verband ist es wichtig, diese Entwicklung voranzutreiben und alte Strukturen aufzubrechen. Der Kern der ärztlichen Tätigkeit wird darin bestehen, prozedurale und prozessuale Dinge hinsichtlich der Indikationsstellung und Einhaltung von Qualitätskriterien aus ärztlicher Sicht zu begleiten. Wir werden Konzepte für die Behandlung entwickeln, aber nicht mehr alle Prozeduren selbst durchführen. Die „sprechende Medizin“ – im Miteinander mit den Patientinnen und Patienten – wird eine deutlich größere Rolle als bisher spielen, wenn wir klug genug sind, uns diese Veränderungen zu eigen zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch.