Herr Dörken, Dr. Olaf Degen und Sie sind jetzt beide zum zweiten Mal in der Vertreterversammlung aktiv. Was hat sich im Vergleich zu Ihrer ersten Amtsperiode geändert?
Wir haben unsere Sitze verdoppelt und haben jetzt zwei statt einen (schmunzelt) – allerdings bei einer inzwischen vergrößerten Vertreterversammlung mit 40 Mitgliedern. Entscheidend ist jedoch vielmehr, dass wir mit der Kooperativen Liste Marburger Bund nun in verschiedenen Fachausschüssen präsenter sind. Im Finanzausschuss, in den Fachausschüssen für Hausärzte, Fachärzte und angestellte Ärzte sowie als Mitglied des Beirats für den Vorstand können wir an wichtigen Stellen mitgestalten.
Angestellte Ärztinnen und Ärzte sind in der Vertreterversammlung deutlich in der Minderheit. Werden ihre Anliegen gehört?
Es gibt auch angestellte Ärztinnen und Ärzte anderer Listen in der Vertreterversammlung. Doch wir sind insgesamt weiterhin in der Minderheit und repräsentieren nicht ausreichend die wachsende Gruppe, die in Hamburg ambulante Versorgung leistet. Gleichzeitig ist vielen angestellten Ärztinnen und Ärzten die Bedeutung der ärztlichen Selbstverwaltung gar nicht so bewusst, sodass sie sich möglicherweise auch deshalb weniger als ihre selbstständigen Kolleginnen und Kollegen hier einbringen. Erfreulicherweise ist aber ein gewisser Wandel in der KVH zu erkennen. Zu Beginn der Legislaturperiode riefen die Vorsitzenden der Vertreterversammlung dazu auf, Selbstverwaltung neu zu denken – kollegialer, transparenter, jünger und weiblicher. Und sie motivierten zur Mitarbeit in Gremien, auch wenn man kein gewähltes Mitglied ist.
Unsere Anliegen bekommen mehr Gehör, aber die Mehrheit ist nach wie vor selbstständig niedergelassen. Ich sehe unsere Aufgabe auch darin, das Vertrauen der Selbstständigen zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, dass wir gemeinsam ein Interesse an einer gelingenden Gesundheitsversorgung in Hamburg haben. Wir dürfen nicht vergessen: Die Selbstständigen sind auch Arbeitgeber und haben daher gewisse Vorbehalte gegenüber Angestellten-Interessensvertretungen. Zudem sind kooperative Versorgungsstrukturen wie MVZ oft schlecht beleumundet und werden manchmal als Konkurrenz wahrgenommen. Wir suchen nicht die Konfrontation, sondern wollen Kooperation – und gemeinsam an zukunftsfähigen Lösungen für Hamburg arbeiten.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit in den Gremien, in denen Sie tätig sind?
Der gesamte Ton in der Vertreterversammlung ist offener geworden. Man spürt auch ein Interesse an den neuen Mitgliedern in der Selbstverwaltung. Es macht große Freude zu sehen, mit welcher Leidenschaft beispielsweise in unserem "Beratenden Fachausschuss Angestellte Ärzte und Psychotherapeuten" über Fragen der Sicherstellung, Leistungssteuerung oder Honorarverteilung diskutiert wird. Während wir in der ersten Legislaturperiode noch wenig Wissen über die Interna der KV hatten, entwickeln wir uns mehr und mehr zu einem beratenden Fachausschuss für den Vorstand, was auch das Ziel dieser Ausschüsse ist.
Und wie ist die allgemeine Stimmung unter den Mitgliedern der Vertreterversammlung?
Nicht gut. In der aktuellen Kampagne der KBV „Wir sind für Sie nah“ wird auf die Notlage der ambulanten Versorgung aufmerksam gemacht. In der ärztlichen Selbstverwaltung gibt es viele Probleme, die beklagt werden: Sinkende Honorare bei steigenden Kosten, Inflation, Strom, Gehälter, Fachkräftemangel – viele fühlen sich von der Politik nicht abgeholt. Es fehlt die Sicherheit und Perspektive für die ambulante Versorgung, während gleichzeitig im Rahmen der Krankenhausreform eine stärkere Ambulantisierung gefordert wird. Aktuell beschäftigt die KVH das Urteil des Bundessozialgerichts zur Versicherungspflicht der Pool-Ärzte im Notdienst, weil enorme Summen auf die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zukommen könnten.
Manchmal denke ich, etwas weniger zu nörgeln würde uns guttun. Ich wünsche mir mehr ärztliches Selbstbewusstsein als Garant für gelingende Patientenversorgung. Und wir müssen noch mehr das Gespräch mit Entscheidungsträgern suchen, um Konzepte für die Zukunft zu entwickeln. Am Anfang der Pandemie haben wir beispielsweise erlebt, wie die Zusammenarbeit verschiedener Leistungsträger zum Wohle der Gesellschaft gelingen kann.
Die Zahl der in MVZ angestellt tätigen Ärztinnen und Ärzte nimmt weiter zu. Gleichzeitig sind zahlreiche MVZ in der Hand von gewinnorientierten Investoren. Wie positioniert sich hier die Kooperative Liste Marburger Bund?
Alle Einrichtungen der ambulanten Versorgung, egal ob Praxis oder MVZ, müssen die Finanzen im Blick haben. Wir müssen aber trennen zwischen rein renditeorientierten MVZ, die Gewinne erwirtschaften und sich dazu möglicherweise die Rosinen herauspicken, und denen, die korrekt an der ambulanten Versorgung teilnehmen und sich dem Patienten- und Gemeinwohl verpflichtet fühlen.
Wichtig ist: Als Ärztinnen und Ärzte sind wir in einem freien Beruf tätig. Wir entscheiden, ob wir Untersuchungen und Therapien durchführen oder nicht. Auch in größeren Versorgungsstrukturen braucht es deshalb eine ärztliche und kaufmännische Führung, die nach einem gleichen Leit-Codex handelt. Sollte dies nicht der Fall sein und unzulässiger ökonomischer Druck ausgeübt werden, kommt die Ärztin oder der Arzt in eine moralische Notlage. Eine wichtige Aufgabe ist deshalb auch, Ärztinnen und Ärzte in MVZ und deren Leitung zu stärken und über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären.
Übrigens lässt sich das Vorurteil, dass Angestellte weniger für die ambulante Versorgung in Hamburg leisten als Selbstständige, mit aktuellen Zahlen entkräften. Im Idealfall können sie sich besser auf die Patientenversorgung fokussieren, weil es eine Verwaltung im MVZ gibt, die ihnen den Rücken freihält. Auch das trägt zur Attraktivität von MVZ als Arbeitgeber bei.
Wofür möchten Sie sich in den kommenden Monaten besonders einsetzen?
Wir werden eine Umfrage unter allen angestellten Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Hamburg durchführen, um mehr über ihre Wünsche, Fragen und Sorgen im Arbeitsalltag zu erfahren. Mit Informationsveranstaltungen wollen wir dazu beitragen, dass sich Angestellte im Dickicht aus Vertragsrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht besser zurechtfinden und eine gute medizinische Versorgung leisten können. Mit einer webbasierten Community möchten wir einen offenen Austausch zwischen angestellten Ärztinnen und Ärzten in der ambulanten Versorgung aufbauen.
Tilman Dörken ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie und Ärztlicher Leiter des Facharztzentrums an der Kampnagelfabrik, einem Unternehmen der Asklepios-Gruppe. In der Vertreterversammlung der KVH ist er seit 2022 Sprecher des „BFA Angestellte Ärzte und Psychotherapeuten“ und in dieser Funktion auch Mitglied des Beirats für den Vorstand.