• „Ich möchte mich nicht so behandeln lassen“

    MBZ-Interview
    17.August 2023
    Hamburg
    Helios hat Franziska Schlosser, die seit vielen Jahren in der MB-Verhandlungskommission aktiv ist, Anfang Juni außerordentlich gekündigt. Im MBZ-Interview erläutert die Anästhesistin, warum sie den vorgeworfenen Arbeitszeitbetrug nicht auf sich sitzen lassen will und was ihrer Meinung nach tatsächlich dahinter steckt.

    Frau Schlosser, Ihr Arbeitgeber, die HELIOS ENDO-Klinik Hamburg, hat Ihnen nach 23 Jahren Tätigkeit im Mai fristlos gekündigt. Mit welcher Begründung?

    Franziska Schlosser: Man wirft mir Arbeitszeitbetrug vor. Ich soll im April nach einem 24-Stunden-Bereitschaftsdienst genau 28 Minuten zu früh gegangen sein. Man muss dazu wissen, dass wir keine elektronische Zeiterfassung bei Helios haben – dagegen sträubt sich der Konzern. Ich habe also händisch mein Dienstende mit 9 Uhr auf meinem Stundenzettel dokumentiert. Eine enge Mitarbeiterin der Geschäftsführung behauptet aber, sich daran zu erinnern, mich gesehen zu haben, wie ich bereits um 8.32 Uhr das Haus verlassen habe. Diese Behauptung ist aus meiner Sicht haltlos – und dafür gibt es auch Zeugen.

    Wie haben Sie von der Kündigung erfahren?

    Schlosser: Die Kündigung steckte am 8. Juni in meinem Briefkasten. Ich habe aber bereits am 10. Mai von Mitarbeiterinnen der Geschäftsführung einen Brief erhalten mit einer Anhörung und der Gelegenheit zur Stellungnahme zum besagten Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs. Dafür wurde ich während einer laufenden Narkose in die OP-Schleuse zitiert und war danach für den Rest des Tages massiv aus der Konzentration gerissen. Ich musste aber planmäßig weiterarbeiten und Narkosen machen.

    Was waren nach diesem Schreck Ihre ersten Schritte?

    Schlosser: Ich habe mich gleich an den Marburger Bund gewandt. Ich habe den Verhandlungsführer für die laufende Tarifrunde mit Helios, Herrn Twardy, informiert, und die Geschäftsführerin des Landesverbandes Hamburg, Frau von der Heyde, die jetzt auch meine Prozessbevollmächtigte ist. Außerdem habe ich auch noch den Betriebsrat der ENDO-Klinik unterrichtet.

    Gab es zuvor bereits Anschuldigungen Ihres Arbeitgebers?

    Schlosser: In den 23 Jahren, die ich in der Klinik tätig bin, gab es das schon einmal: im Sommer 2021. Damals hat man mir ebenfalls Arbeitszeitbetrug vorgeworfen. Die Vorwürfe konnten aber nach kurzer Klärung widerlegt werden. Das Ganze passierte damals wie auch diesmal in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit gescheiterten Tarifverhandlungen. Ich hatte mit dem Marburger Bund einen Warnstreik für die ENDO-Klinik organisiert und vor circa 80 Streikenden auf dem Gänsemarkt in Hamburg eine Streikrede gehalten. Kurz danach kam es zu den Vorwürfen des Arbeitgebers.

    Und auch in diesem Jahr waren sie wieder maßgeblich am MB-Warnstreik beteiligt...

    Schlosser: Ja, ich habe also allen Grund dazu zu glauben, dass mein gewerkschaftliches Engagement und besonders mein Einsatz bei der Mitorganisation der beiden Warnstreiks den Helios-Konzern so erbost haben, dass er jetzt noch drastischer vorgeht und die Kündigung ausspricht. Denn diesmal habe ich noch intensiver mitgewirkt. Ich habe meine Rede vor circa 4.000 Ärztinnen und Ärzten gehalten und wurde von einem Fernsehteam des NDR begleitet. Es gab einen Bericht im Hamburg-Journal, den viele Menschen gesehen haben. Ich glaube, dass hat die Konzernführung so erzürnt, dass man mich loswerden will.

    Mit der Kündigung hat Helios meines Erachtens gleich zwei Effekte erzielt: Erstens: Der Störenfried Schlosser ist weg. Zweitens: Das Exempel ist statuiert – seht her, wer so etwas tut, wird gefeuert.

    Seit wann engagieren Sie sich gewerkschaftlich?

    Schlosser: Ich bin seit 2004 Mitglied der MB-Verhandlungskommission. Die ENDO-Klinik wurde 2012 von Helios übernommen. Davor war ich auch schon bei den Verhandlungen mit dem Damp-Konzern dabei.

    Im Betrieb selbst habe ich mich immer sehr dafür eingesetzt, dass die Abschlüsse ordnungsgemäß umgesetzt werden, was nach dem Abschluss 2021 stockend und lückenhaft passiert ist. Im Grunde haben wir nach meiner Beobachtung seit 2021 das Problem, dass wir größtenteils permanent falsche Gehaltsabrechnung haben, weil immer noch Teile der Einigung aus 2021 nicht umgesetzt wurden. Das ist sehr ärgerlich und massiv störend für die Kolleginnen und Kollegen. Und da ich Mitglied der Verhandlungskommission bin und genau weiß, worum es bei dem doch sehr komplizierten Tarifkonstrukt geht, bin ich immer angesprochen worden und habe mich sehr dafür eingesetzt, dass die Kolleginnen und Kollegen korrekt ihr Geld bekommen.

    Ich habe Helios ausreichend Anlass gegeben, sich über mich zu ärgern – allerdings nie aus Schikane, sondern immer berechtigt.

    Sich gegen den Arbeitgeber zur Wehr zu setzen, erfordert sicher viel Kraft und Mut. Woher nehmen Sie diese?

    Schlosser: Ich bin mir hundert Prozent sicher, dass ich mir nichts habe zu Schulden kommen lassen. Ich möchte mich nicht so behandeln lassen. Deshalb werde ich auch alles versuchen, um dagegen vorzugehen.

    Was empfehlen Sie Kolleginnen und Kollegen, die sich ähnlichen Anschuldigungen ausgesetzt sehen?

    Schlosser: Die Anschuldigungen gegen mich sind ja, aus meiner Sicht, konstruiert. Die fristlose Kündigung als Konsequenz daraus auszusprechen ist so drastisch, dass meiner Meinung nach damit eine Signalwirkung erzielt werden soll. Ich denke, es soll sich die Angst im Konzern verbreiten: Wer sich gewerkschaftlich engagiert, der muss mit massiven Konsequenzen rechnen.

    Ich empfinde dieses Vorgehen als eine haltlose Beschneidung unserer Arbeitnehmerrechte. Das ist anscheinend eine gewünschte Einschüchterung und Mundtotmachung. Und ich hoffe, dass Helios das eben nicht gelingt, dass mein spezieller Fall eben nicht diese Wirkung erzielt, sondern dass die Mitarbeitenden sich weiterhin trauen, für ihre Rechte zu kämpfen.

    Man steht ja auch nicht allein da. Der Marburger Bund ist eine sehr große Hilfe, er stellt sich schützend vor seine Mitglieder. In meinem Fall bietet er mir alle Unterstützung, die ich gegenwärtig brauche. Insofern kann ich nur appellieren: keine Angst, bleibt mutig, wehrt Euch und setzt Euch für Eure Rechte ein. Wo kommen wir denn hin, wenn das nicht mehr möglich sein soll.

    Wie geht es jetzt weiter?

    Schlosser: Es läuft eine Kündigungsschutzklage. So etwas kann Monate dauern. Der Gütetermin am 12. Juli war bereits ohne Einigung. Jetzt geht es als nächstes vor die Kammer, um das arbeitsgerichtliche Verfahren fortzusetzen. Der Termin ist am 21. November – es dauert also noch einige Zeit. Bis dahin heißt es für mich: Ruhe bewahren.

    Frau Schlosser, für den weitere Verlauf alles Gute und vielen Dank für das Gespräch.

    Das Interview führte Jörg Ziegler, stellvertretender MBZ-Chefredakteur.