• „Lauterbach könnte den Trend zur Zweiklassen-Medizin weiterbefördern“

    Ausblick 2023 | Teil 1
    16.Februar 2023
    Hamburg
    Dr. Pedram Emami wurde als Präsident der Ärztekammer Hamburg im Dezember und als 1. Vorsitzender des MB Hamburg im März letzten Jahres wiedergewählt - und kann jetzt viel gestalten. Im Interview spricht er über seine Pläne im neuen Jahr und die geplante Krankenhausreform.
    Dr. Pedram Emami vor dem Gebäude der Ärztekammer Hamburg und des MB Hamburg
    Dr. Pedram Emami vor dem Gebäude der Ärztekammer Hamburg und des MB Hamburg

    Herr Dr. Emami, was steht auf Ihrer Prioritätenliste in der Kammer und beim MB ganz oben?

    Wir wollen den Veränderungsprozess in der Kammer weiter vorantreiben – mit mehr Serviceorientierung, strafferen Abläufen und auch wichtigen Digitalisierungsprozessen. Nur wenn wir als Einrichtung funktionstüchtig sind, können wir unsere politischen Vorhaben auch so umsetzen, wie wir es gerne wollen. Das Thema Ökonomisierung und was sich daraus ergibt, müssen wir weiter im Blick behalten. Wie bekommen wir es beispielsweise hin, dass der Anteil der selbstständigen Ärztinnen und Ärzte in Praxen wieder zunimmt – und nicht Privatinvestoren im ambulanten Bereich überhandnehmen?  

    Beim MB sind wir als Gewerkschaft an einem Punkt angekommen, an dem die Tarifregelungen zunehmend komplex und möglicherweise für die Kolleginnen und Kollegen an der Basis nicht mehr ganz überschaubar geworden sind. Wir müssen dafür sorgen, dass sie sich trotzdem abgeholt fühlen und sehen, an welchen Stellen wir eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für sie erwirken. Dabei ist es unsere Aufgabe, die tatsächlichen Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen wahrzunehmen und uns für die Veränderungen einzusetzen, von denen sie wirklich profitieren.

    In der Tarifsituation ist Hamburg in einer Sonderposition. Hier gilt im UKE und in den Asklepios Kliniken ein Überleitungstarifvertrag mit Sonderregelungen. Was sind die Vorstellungen des MB diesbezüglich? Und: Ist die Beibehaltung des Überleitungstarifvertrags noch sinnvoll?

    Das Wort „Überleitung“ macht deutlich, dass der Tarifvertrag nicht auf Dauer angelegt ist, sondern bis eine Überführung in TV-Ärzte/VKA sinnvoll erscheint. Zurzeit gibt es in der Mantelüberleitung noch Regeln, die aber durchaus attraktiv für die Hamburger Kolleginnen und Kollegen sind.

    Grundsätzlich haben wir es mit einer unsäglichen Entwicklung zu tun, die zu Parallelverhältnissen auf mehreren Ebenen führte: Zum einen haben wir die Entkopplung der Vergütung von den Arbeitsbedingungen, weil der Mantel in Hamburg seine eigene Struktur hat, das Entgelt aber in Berlin verhandelt wird. Und dann haben wir in Hamburg die besondere Situation, dass Asklepios und UKE demselben Tarif unterliegen, das Arbeiten im universitären Umfeld beim UKE sich aber stark vom Arbeiten bei Asklepios unterscheidet. Es gibt also sowohl zwischen Hamburg und Berlin wie auch zwischen UKE und Asklepios sehr unterschiedliche Interessen. Aber auf Wunsch und Betreiben der Arbeitgeber ist dieses Konstrukt nun mal da. Wir können nur an die Vernunft der Arbeitgeberseite appellieren, mittelfristig eine praktikable Lösung für alle zu finden.

    Die angekündigte große Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach hat das Ziel, die Versorgung weniger nach ökonomischen Kriterien auszurichten. Wird jetzt alles gut?

    Es kommt auf die praktische Ausarbeitung der Krankenhausreform an – und inwieweit Betroffene in diesen Entwicklungsprozess eingebunden werden. Denn eine Reform kann nur scheitern, wenn man die Realität der alltäglichen Praxisversorgung nicht berücksichtigt. Als wir Ärztinnen und Ärzte vor 20 Jahren bei der Einführung der DRGs unsere Befürchtungen geäußert haben, wurden wir als Lobbyisten beschimpft. Die Folgen der DRG-Einführung sind ja bestens bekannt. Leider ist es heute immer noch so, dass der Gesundheitsminister uns bei der Gestaltung neuer Vorhaben nicht miteinbezieht.

    Fallpauschalen sollen künftig eine weniger tragende Rolle spielen. Das hat der MB doch schon lange gefordert…

    Entscheidend ist aber auch hier die praktische Umsetzung. Lauterbach schweben zudem je nach Einrichtung unterschiedliche Vergütungsmodelle vor. Wie wird sich das Ganze zusammensetzen? Diese Frage blieb bisher unbeantwortet. Und wird die ärztliche Weiterbildung in einer konkreten Form mitberücksichtigt? Am Ende ist das auch wieder eine pauschalierte Bezahlung und nicht wirklich ein an den Notwendigkeiten ausgerichtetes Kalkulationsmodell.

    Sie haben die drei von der Regierungskommission vorgeschlagenen Kategorien angesprochen. Was halten Sie davon?

    Die unterste Ebene der Versorgung scheint nach Lauterbachs Vorstellung von der ärztlichen Expertise etwas abgekoppelt zu sein. Hier stellt sich die Frage, ob das in der Praxis aufgeht – oder ob wir die Arbeit nicht verdoppeln, weil dann in vielen Fällen doch noch eine Ärztin oder ein Arzt hinzugezogen werden muss. Und werden nach dieser Aufteilung die „Maximalversorger“ auf der obersten Ebene in Zukunft überhaupt noch Blindarm- oder Bandscheibenoperationen vornehmen oder nur noch hochkomplexe Arbeit leisten? Gerade für die Aus- und Weiterbildung im universitären Betrieb braucht es auch die Hauptmasse der Krankheitsbilder, die weniger komplex sind.

    Es ist schwierig zu sagen, wie das inhaltlich funktionieren soll. Meine Sorge ist, dass wir möglicherweise in eine Situation wie im amerikanischen oder britischen System übergleiten, wo wir eine qualitativ mittelmäßige bis unterdurchschnittliche Versorgung für die Allgemeinbevölkerung haben und alle, die sich eine bessere Behandlung wünschen, sich im privaten Sektor Leistungen dazukaufen müssen. Das Modell von Lauterbach könnte den Trend zur Zweiklassen-Medizin weiterbefördern.

    Lesen Sie weiter Teil 2 des Interviews.