Das Interview in der Ärzte Zeitung:
Am 25. August wird in Hessen ein neuer Kammerpräsident oder eine Präsidentin gewählt. Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" erklärt Dr. Susanne Johna, warum sie diesen Posten gerne übernehmen würde.
Von Rebekka Höhl und Christiane Badenberg
Ärzte Zeitung: Frau Dr. Johna, der Marburger Bund (MB) ist nach der Kammerwahl in Hessen die stärkste Liste. Das prädestiniert dafür, auch den Kammerpräsidenten zu stellen. Wären Sie bereit, das Amt zu übernehmen?
Dr. Susanne Johna: Wir sind tatsächlich die einzige große Liste, die relevant dazu gewonnen hat. Ich glaube schon, dass es daran liegt, dass wir als Marburger Bund ganz bewusst Kammerwahlkampf gemacht haben, der sich an Inhalten orientiert hat und nicht an Sektorengrenzen – und weil wir integrativ tätig sein wollen.
Wir sind bereit, diese integrative Berufspolitik auch in dieser Position wahrzunehmen, insofern werde ich mich zur Wahl stellen. Aber die Mehrheitsverhältnisse in Hessen sind schwierig, gerade auch aufgrund der vielen kleinen Listen.
Was sind aus ihrer Sicht in den nächsten fünf Jahren die wichtigsten Baustellen in der Kammerarbeit ?
Johna: Die nächste große Aufgabe wird sicher die Umsetzung der (Muster-)Weiterbildungsordnung sein, die der Deutsche Ärztetag ja in diesem Jahr beschlossen hat. Ich würde das gerne mit einer aktiveren Rolle der Kammer bei der Weiterbildung verbinden.
Ein weiteres Thema ist die Fernbehandlung. Da müssen wir in Hessen noch einiges an Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit leisten. Wir haben vor dem Ärztetag durchaus diskutiert, aber die Meinungen sind da sehr unterschiedlich.
Wie gut stehen denn die Chancen für eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots in Hessen?
Johna: Ich würde mir die Lockerung wünschen und halte sie für richtig. Auch wenn ich die Bedenken gut verstehen kann. Aber wir haben die Öffnung ja in einem sehr begrenzten Maße in einer – wie ich finde – klugen Formulierung gewählt. Trotzdem, wenn man in Hessen jetzt unvorbereitet abstimmen würde, läge die Chance für die Lockerung wohl nicht über 50 Prozent. Ich glaube aber, dass man viele Ängste nehmen kann.
Welche Ängste sind das ganz konkret?
Johna: Manche Kolleginnen und Kollegen befürchten, dass – wie zum Teil schon in anderen Ländern geschehen – externe große Call-Center die medizinische Versorgung übernehmen könnten. Und dass dann das direkte Arzt-Patienten-Verhältnis in den Hintergrund gerät. Das ist natürlich etwas, was wir als Ärzte nicht wollen und was nicht im Sinne der Patienten ist. Daher ist es sinnvoll, Telemedizin begrenzt einzusetzen.
Und welche Argumente sprechen für die Fernbehandlung?
Johna: Ich glaube, dass es uns in der Notfallversorgung enorm weiterhelfen wird. Wir stellen seit Jahren fest, dass Patienten manchmal nur mit einem Beratungsbedarf in die Notaufnahme kommen. Wenn man diese Patienten vorher schon telefonisch fallabschließend beraten könnte, würden die Ärzte und Pflegenden in den Rettungsstellen deutlich entlastet und hätten wieder mehr Zeit für die echten Notfälle.
Aber auch im ländlichen Bereich, wo für manche Patienten der Weg zum Arzt mitunter zu lang ist, kann Telemedizin sehr hilfreich sein. Es spart Fahrtzeiten für den Arzt, der dann wieder für andere Patienten verfügbar ist.
Sie hatten die (Muster-)Weiterbildungsordnung angesprochen. Viele junge Ärzte kritisieren, dass die vom Ärztetag beschlossene Novelle noch nicht der große Wurf ist. Was müsste man besser machen, um tatsächlich gute Strukturen für die Weiterbildungsassistenten zu schaffen?
Johna: Die Grundidee, nämlich eine Orientierung an den tatsächlich erworbenen Kompetenzen statt an den abgeleisteten Zeiten, halte ich für genau richtig. Im Detail konnte das aber noch nicht komplett so umgesetzt werden. Es gibt nach wie vor Richtzeiten. Das liegt aber auch daran, dass ein stückweit die Fachgesellschaften nicht mitgenommen werden konnten. So eine (Muster-)Weiterbildungsordnung ist am Ende eben immer auch ein Kompromiss.
Aber ich denke, ein Kompromiss in die richtige Richtung. Es wird auch noch einige Zeit vergehen, bis die neue Ordnung in den Ländern tatsächlich umgesetzt ist. Deswegen darf man jetzt nicht vergessen, die alte Weiterbildungsordnung zu verbessern.
Wir wissen ja, dass viele dieser Zahlen, die die jungen Kollegen ableisten müssen, überhaupt nicht mehr abzuleisten sind. Weil sich die Medizin weiterentwickelt hat und sich die Indikationen verändert haben. Die Weiterbildungsordnung ist daher nie wirklich abgeschlossen, sondern muss immer wieder an neue Erfordernisse angepasst werden.
Sie hatten gesagt, die Kammern müssten genauer hinschauen ...
Johna: Wir müssen tatsächlich mehr prüfen, was an den Weiterbildungsstellen tatsächlich an Weiterbildung geleistet wird. Es ist sicher auch der ökonomische Druck, der dazu führt, dass Weiterbildung in manchen Krankenhäusern in den Hintergrund gerät, denn ein Kollege in Weiterbildung, der den Eingriff durchführt und das unter Supervision macht, braucht dafür einfach länger.
Deswegen könnte man rein ökonomisch argumentieren, dann solle es doch gleich der Facharzt machen. Der schafft mehr pro Zeiteinheit. Das ist jedoch eine Milchmädchenrechnung, denn wir brauchen die jungen Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube auch, dass diejenigen, die da weiterbilden von einer Rückenstärkung durch die Kammer durchaus profitieren.
Wir haben ja einen großen Frauenanteil in der Medizin. Da wird auch die Weiterbildung in Teilzeit interessant. Wie lässt sich diese ordentlich umsetzen, ohne dies mit einem Karriereknick zu bezahlen?
Johna: Bei jemandem, der zu 50 Prozent arbeitet, verdoppelt sich im Moment die Weiterbildungszeit. Das halte ich nicht für angemessen. Denn es ist eben nicht so, dass man mit einer 50-Prozent-Stelle nur zur Hälfte tätig ist. Ärztinnen und auch Ärzte, die Teilzeit arbeiten, leisten in der Zeit fast genauso viele Dienste wie die anderen. Und es gibt genug Studien, die zeigen, dass Teilzeitkräfte pro Stunde mehr leisten als diejenigen, die Vollzeit arbeiten. Eine Verlängerung wird sich in der Regel zwangsläufig ergeben.
Aber die Idee, in der MWBO mehr auf Kompetenzen zu setzen, könnte diese Zeit verkürzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Kollege oder eine Kollegin in Teilzeit vielleicht in einem Fach, das normalerweise fünf Jahre braucht, in sieben Jahren fertig sein kann und in dieser Zeit alle Kompetenzen erworben hat.
Bei der Notfallversorgung waren Sie federführend für den MB in den Gesprächen mit der KBV zum Integrierten Notfallkonzept dabei. Jetzt gibt es ja in Hessen bereits ein Modellprojekt, in dem Kliniken und KV den gemeinsamen Tresen und das Konzept Partnerpraxen testen. Ein Modell, das bundesweit Schule machen könnte?
Johna: Die Idee – bei den einen heißt es gemeinsamer Tresen, bei den anderen gemeinsame medizinische Anlaufstelle – ist ja gleich: Der ärztliche Bereitschaftsdienst und der Krankenhausarzt arbeiten tatsächlich verknüpft zusammen. In Hessen haben wir an vielen Orten bereits beide am gleichen Ort, aber häufig arbeiten Bereitschaftsdienst und Klinikärzte aneinander vorbei.
Und auch die Datenübermittlung zwischen dem niedergelassenen Bereich und dem Krankenhaus funktioniert überhaupt nicht.Was jetzt in Frankfurt-Höchst läuft, ist sehr gut. Und die Idee der gemeinsamen Anlaufstelle sollte unbedingt bundesweit umgesetzt werden. Im Moment sprechen wir aber noch von Modellprojekten.
Die Notfallversorgung ist gleichwohl ein gutes Terrain, wo wir als Ärzte zeigen können, dass wir Probleme gemeinsam lösen– über die bestehenden Sektoren hinweg. Es hat ja am Anfang im MB durchaus Stirnrunzeln hervorgerufen, als wir uns in dieser Frage mit der KBV an einen Tisch gesetzt haben. Dann haben wir aber im September vergangenen Jahres ein gemeinsames Konzept vorgelegt, das durchaus Beachtung gefunden hat. Gerade weil es ein gesamtärztliches Konzept ist.
Wie lässt sich eine solche gemeinsame Notfallversorgung denn finanzieren, wenn die Modellphase einmal überwunden ist?
Johna: Das sind neue Strukturen, die brauchen mindestens eine Anschubfinanzierung. Man könnte aber schon sagen, Notfallversorgung ist Daseinsvorsorge und die muss aus Steuermitteln finanziert werden.
Themenwechsel: Sie arbeiten ja in der Klinik, sind aber gerade auch in der Berufspolitik in den letzten Jahren ziemlich gut durchgestartet. Das Thema Chancengleichheit für Ärztinnen – sowohl im Berufsleben wie auch in der Berufspolitik – wie haben Sie das selbst wahrgenommen?
Johna: Mir hat sich, als ich meine erste Schwangerschaft meinem damaligen Chef mitgeteilt habe, ein Satz eingebrannt. Er sagte: "Schade, ich dachte, aus Ihnen wird mal was." Heute wird das wahrscheinlich kein Chef mehr so sagen, ich glaube aber durchaus, dass einige noch so denken… Chancengleichheit gibt es für Ärztinnen also noch immer nicht.
In aller Regel muss man als Ärztin mehr leisten, um die gleiche Position wie ein männlicher Kollege zu erreichen. Weil es immer noch so gesehen wird, dass die Kollegin ja irgendwann ausfällt und Kinder bekommt. Diese Benachteiligung wird, Gott sei Dank, weniger, weil natürlich auch männliche Kollegen immer häufiger in Elternzeit gehen.
In der Berufspolitik habe ich es am Anfang sogar eher so wahrgenommen, dass es mir als Ärztin leichter gefallen ist, weil sich die Kollegen gefreut haben, dass sich auch einmal eine Frau engagiert. Das ändert sich dann aber mit der Zeit. Auch in der Berufspolitik kommt irgendwann die gläserne Decke. Im Wesentlichen deshalb, weil Männer besser im Networking sind.
Brauchen insbesondere die Kammern da flächendeckend Quoten?
Johna: Als junge Ärztin habe ich gegen Quoten argumentiert. Über die Jahre sage ich nun aber, doch, wir brauchen eine Quote. Die Veränderungen kommen sonst zu langsam. Ich bin aber für eine Quote, die man sukzessive einführt.
Sie sind auch studierte Gesundheitsökonomin. Wie nehmen Sie die viel diskutierten ökonomischen Zwänge im Gesundheitswesen war? Hilft Ihnen Ihr Studium da bei der Argumentation – etwa gegen Klinikträger?
Johna: Ich habe es studiert, um Zusammenhänge besser verstehen, aber auch um auf Augenhöhe argumentieren zu können. Die Ökonomisierung der Medizin sehe ich als Riesenproblem. Ich bin noch mit einer anderen Medizin groß geworden. Ich beobachte sehr schockiert, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen es manchmal gar nicht mehr so sehr als Problem wahrnehmen, dass in Frühbesprechungen über Belegung und Case-Mix-Index mehr geredet wird, als über die Differentialdiagnostik.
Wir sind eben nicht nur Mediziner, sondern wir sind in erster Linie Ärzte. Wir müssen immer im Blick haben, was für den individuellen Patienten am besten ist, welche Versorgung er braucht. Gerade diejenigen, die noch andere Zeiten erlebt haben, müssen aktiv werden und erlösorientierten Erwartungen entgegentreten, die für die Patientenversorgung abträglich sind.
Selbstverständlich müssen wir mit Ressourcen, auch unserer Zeit, ökonomisch umgehen. Aber an der Stelle all den menschlichen Kontakt zu opfern, ist der falsche Schritt. Patienten müssen darauf vertrauen können, dass im Zentrum ärztlichen Handelns das Patientenwohl steht.
Im hessischen Krankenhausgesetz stand bis 2011 noch ganz klar drin, die Klinikleitung besteht aus Verwaltungsdirektor, medizinischer Leitung und Pflegeleitung. Jetzt steht drin: Der Krankenhausleiter ist der Verwaltungsdirektor. Das geht nicht, Ärzte und Management müssen sich auf Augenhöhe begegnen und nicht nur beteiligt werden.
Quellenhinweis: Ärzte Zeitung, Erscheinungstag 13.08.2018, Gesundheitspolitik, Springer Medizin Verlag GmbH