Wie haben Sie die Covid-19 Krise bisher erlebt?
Henrik Reygers: Die COVID-19 Krise konnte bisher relativ strukturiert von meinem Gesundheitsamt erledigt werden. Dies gilt nach meinem Kenntnisstand auch für viele andere Gesundheitsämter in Hessen. Glücklicherweise erhielten die Gesundheitsämter aus anderen Abteilungen der Kreis- oder Stadtverwaltungen Unterstützung. Die Bevölkerung des Vogelsbergkreises hat gut mitgemacht. Die Quarantänemaßnahmen wurden eingehalten, es gab wenig Diskussionen.
Ich persönlich habe die CO- VID-19 Krise als Herausforderung gesehen. Ähnliche Ereignisse hatten wir zwar schon früher – etwa bei SARS oder der Schweinegrippe – die Maßnahmen waren jedoch aktuell deutlich einschneidender.
Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus?
Reygers: Aktuell besteht der Alltag überwiegend aus Beratung zu Covid-19. In der letzten Zeit gelang es uns aber wieder reguläre Sprechtage anzubieten und auch die Einschulungssaison 2020/2021 konnten wir erfolgreich beenden.
Wie läuft die Organisation der Testungen?
Reygers: Aktuell erfolgen die Abstriche in Zusammenarbeit mit zwei großen Krankenhäusern im Vogelsbergkreis.
Wie erfolgen die Meldungen über Covid-19 positiv getestete Patienten beim Gesundheitsamt?
Reygers: Die Betroffenen werden von uns angerufen. Hier ist das persönliche Gespräch dringend erforderlich. So können Ängste besprochen werden und auch weitergehende medizinische Maßnahmen. Gleiches gilt für die Information mit den niedergelassenen und den im Krankenhaus tätigen Kollegen. Hier zeigt sich, dass eine gute Zusammenarbeit mit den drei Säulen des Gesundheitswesens zielführend ist.
Die Laborbefunde erhalten wir via Fax, die Weiter-Meldung erfolgt via Internet. Hier sind entsprechende Software Applikationen vorhanden. Die Weiterbildung an das Landesuntersuchungsamt erfolgte schon.
Ist die Ausstattung der Ärzteschaft mit Schutzmasken ausreichend?
Reygers: Die Ausstattung des Gesundheitsamtes mit Schutzmaterial war so gut, dass am Anfang sogar Materialien an Dritte abgegeben werden konnte. Aktuell ist die Ausstattungssituation als gut zu beschreiben. Einzig fehlen noch Schutzkittel. Diese sollen von Seiten des Landes zeitnah geliefert werden.
Wo hat die Krise Probleme beim ÖGD aufgezeigt, die dringend behoben werden müssen?
Reygers: Das größte Problem ist die personelle Ausstattung. Weit über 50 % aller Ärzte werden in den nächsten 5–10 Jahren das Rentenalter erreichen. Diese Lücke müsste schon längst nachbesetzt worden sein.
Ursächlich für den Ärztemangel sind zwei Dinge: Erstens die Gehaltssituationen: ein Amtsleiter eines Gesundheitsamtes verdient maximal 6921 Euro. Dies entspricht dem Endgehalt plus Zulage beim MDK für einen Assistenzarzt. Die Differenz zum Krankenhaus ist so deutlich, dass es zwischen 1.000 und 2.500 Euro Unterschied im Monat sein können. Bei dieser Gehaltssituation ist es nicht verwunderlich, dass die Bewerbungen in den einzelnen Gesundheitsämtern überschaubar sind und es viele freie Stellen gibt.
Ein zweites Problem ist die mangelnde Information der Studierenden. Wenn ich an meine eigene Studienzeit zurück denke waren dies circa fünf Semester-Stunden.
Weiterhin hat das Gesundheitsamt nicht das beste Image. Von Studierenden werden wir als reine Akten-Behörde gesehen. Dies wird übrigens auch vom Verband der kommunalen Arbeitgeber kommuniziert. Hier erfolgte die Original-Aussage: „Sie sind ja nur Verwaltungsmediziner“. Dass man mit solch einer geringen Wertschätzung der Ärzte keine Stellen besetzen kann, dürfte klar sein.
Wie schätzen Sie den Nutzen der Covid-19-Warn-App ein?
Reygers: Die Covid-19 Warn-App ist eine sinnvolle Maßnahme. Hierdurch kann der Nutzer erkennen, ob eine Risikosituation bestanden hat. War dies der Fall, kann das Gesundheitsamt oder der Hausarzt informiert werden und es erfolgen Beratung und Abstriche.
Was ist mit den anderen Aufgaben, die der ÖGD hat, wie zum Beispiel Schuleingangsuntersuchungen? Viele sind abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Reygers: Natürlich gab es Aufgaben, die verschoben oder unterlassen werden mussten. Hierzu gehörten zum Beispiel die amtsärztlichen Untersuchung, die Belehrung im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes oder die Einschulungsuntersuchungen.
Andere Aufgaben wurden natürlich mit der gleichen Intensität wahrgenommen. Hierzu gehörten unter anderem die Trinkwasserhygiene oder die anderen seuchenhygienischen Maßnahmen. Diese fallen ja nicht weg.
Weiterhin wurde der sozial- psychiatrische Dienst meines Gesundheitsamtes sogar intensiviert. Denn im Rahmen der Coronakrise kam es auch zu zunehmenden psychischen Belastungssituationen in der Bevölkerung.