• Jahreshauptversammlung – Berichte

    20.Dezember 2017
    MB-Landesvorsitzende PD Dr. Christine Schneemilch stellt erste Ergebnisse einer Umfrage zur Arbeitssituation vor

    Magdeburg (jz). Nach 2012 hat der Marburger Bund, Landesverband Sachsen-Anhalt wieder seine Mitglieder zu ihren Arbeitsbedingungen befragt. Bei der Jahreshauptversammlung Mitte November in Magdeburg stellte MB-Landeschefin PD Dr. Christine Schneemilch erste Ergebnisse vor.

    Erhoben wurden die Bereiche

    • Arbeitssituation,
    • arbeitsbedingter Konfrontation mit Gewaltsituation,
    • Haftungsrecht.

    Laut Schneemilch belegen die ersten Ergebnisse einmal mehr, dass die Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken Sachsen-Anhalts stark belastet sind. Sie forderte, jetzt Änderungen herbeizuführen, „damit unsere Leute raus aus der Mühle kommen“. In diesem Zusammenhang plädierte sie dafür, „Arbeitszeit im Krankenhaus zum Schwerpunktthema der Gewerbeaufsicht“ zu machen. Außerdem sei es geboten, zeitnah die Mantel­tarife zu öffnen, um auf diesem Weg ebenfalls etwas zur Verbesserung der Arbeitssituation im Krankenhaus beizutragen. Entsprechende Überlegungen gebe es bereits auf Bundesebene, erklärte sie.
    Besorgniserregend sei laut der MB-Landeschefin auch die Situation in der Weiterbildung. Immer weniger Fach- und Oberärzte gebe es in den Häusern. Daher würden sich Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung bei praktischen Tätigkeiten quasi gegenseitig anleiten. „Die, die etwas können, schulen die, die weniger können“, so Schneemilch. Vieles übernähmen auch Chefärzte, aber die könnten nicht überall sein.
    Einen Lichtblick gibt es indes beim sogenannten Opt-out, das Arbeitgeber und -nehmer ermöglicht, individualvertraglich eine höhere Wochenarbeitszeit als die im Arbeitszeitgesetz grundsätzlich vorgeschriebenen 48 Stunden zu vereinbaren (siehe auch Artikel unten). Nur noch 43 Prozent der Befragten gaben an, eine entsprechende Regelung unterzeichnet zu haben. 2012 war es noch die Hälfte.

    Gewalt im Krankenhaus

    Erstmalig hat sich der Landesverband der Frage nach Gewalt gewidmet. Danach waren gut 65 Prozent der Befragten schon einmal mit bedrohlichen Situationen in ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit konfrontiert. Diese reichen von verbalen und körperlichen Attacken über Bedrohung mit einem Gegenstand oder einer Waffe bis hin zu sexuellen Übergriffen. Dabei würden nicht einmal 40 Prozent der Vorfälle dokumentiert, obwohl weit mehr als drei Viertel (knapp 80 Prozent) der Befragten nur teilweise, eher nicht oder gar überhaupt nicht mit der bedrohlichen Situation umgehen können.
    „Diese Fälle müssen gemeldet werden“, mahnte Schneemilch. Denn dann würde auch etwas zum Schutz der Ärzteschaft getan. Sie sprach sich nachdrücklich für Handlungsempfehlungen durch die Arbeitgeber, Deeskalationskurse und mehr Prävention aus. Vorstellbar sei etwa ein Handbuch zum Thema, wie es etwa am Universitätsklinikum Magdeburg gegenwärtig erarbeitet wird.
    Mit Blick auf Haftungsfragen im Falle von Behandlungsfehlern hat die Umfrage gezeigt, dass gerade einmal 40 Prozent der Befragten Kenntnis über Absicherung in Haftungsfällen durch Arbeitgeber hätten, so die MB-Landesvorsitzende. Dabei habe sich der Anteil an Vorwürfen von Behandlungsfehlern durch Patienten oder Kollegen fast verdoppelt: von 19,5 Prozent (2012) auf knapp 35 Prozent. Schneemilch warb nachdrücklich dafür, regelmäßig beim Arbeitgeber nachzufragen, wie er seine Ärzte absichert. Aus dem Plenum erging der Hinweis, dass der MB mit seinem Kooperationspartner Deutsche Ärzteversicherung exklusiv für MB-Mitglieder das gemeinsame Produkt „Regress-Schutz“ entwickelt habe. Es bietet einen besonderen Schutz, indem es die üblichen Regressansprüche des Krankenhausträgers abdeckt.
    Schneemilch richtete zudem den Blick auf einen Flüchtlingsstammtisch für Ärztinnen und Ärzte, den der Landesverband im letzten Jahr eingerichtet hatte. Unter anderem wollte der MB die Kollegen bei Sprachprogrammen unterstützen. Aber: „Das Ganze ist gestorben“, sagte sie – wegen „auffälliger Dokumente“. Die Abschlüsse stammten zum großen Teil aus der Ukraine und legten den Verdacht nah, nicht rechtmäßig erworben zu sein. Landesverwaltung, Landes- und Bundesärztekammer sowie MB-Bundesverband seien informiert.“
    Die MB-Landeschefin brachte auch MB-Themen der Bundesebene zur Sprache: die Personalausstattung in den Kliniken, die Entbürokratisierung und den Masterplan Medizinstudium 2020 sowie die Digitalisierung und die Notfallversorgung.
    Aber vor allem nannte sie das Tarifeinheitsgesetz und das damit verbundene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klage des MB und anderer Gewerkschaften. „Eigentlich wurde alles mit einem entschiedenen Vielleicht abgeurteilt“, sagte sie. Die Richter halten das Gesetz in Gänze nicht für verfassungswidrig. Sie haben aber einige Feinheiten ins Urteil hingeschrieben, zum Beispiel zur sogenannten Disposivität der Verhandlungspartner. Bedeutet: Wenn sich alle Beteiligten einig sind, können sie sich gemeinsam (Gewerkschaften und der Arbeitgeber) da­rauf verständigen, dass das Gesetz nicht angewendet werden soll, und das auch im Tarifvertrag so formulieren.

    Vereinbarung mit ver.di

    Genau dort setzt nun eine im November vom MB mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geschlossene Vereinbarung an. Sie will die Disposivität zur Voraussetzung für einen Tarifabschluss machen. Beide Gewerkschaften erkennen zudem das Recht der jeweils anderen an, eigene tarifvertragliche Regelungen zu schließen.
    Zur Tarifarbeit in Sachsen-Anhalt berichtete Landesgeschäftsführerin Andrea Huth, dass die Gestaltung von Tarifverträgen sehr individuell bleibe. Zunehmend bekämen die Inhalte der Tarifverträge „einen steigenden sozialen Anteil“, sagte sie und hob ab etwa auf individuelle Zusatzurlaubstage für Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft, die immer häufiger in Tarifverträge „eingebaut“ würden. Ebenso würden Tabellenentgelte in Kombination mit Bereitschafts- und Rufdienstentgelten interessanter. Ferner würde die Freizeitgestaltung durch Überstundenabbau immer häufiger umgesetzt.
    Breiten Raum nahm am Ende der Hauptversammlung die Situation beim Arbeitgeber Ameos ein. Dort gibt es bislang keinen Tarifvertrag, weil sich Ameos strikt weigert, mit dem MB in Verhandlungen einzutreten. Viele Ärzte hätten sich deshalb bereits anderweitig orientiert. Umfänglich wurde analysiert, welche Probleme das für Ärzte und Patienten mit sich bringe. Die Hauptversammlung diskutierte intensiv über Strategien, um Abhilfe zu leisten. Ziel müsse es sein, auch diesen renitenten Arbeitgeber zu einem arztspezifischen Tarifvertrag zu bewegen.

    Fachvortrag
    Opt-out nur mit schriftlicher Zustimmung des Arztes möglich

    Von der täglichen Höchstarbeitszeit bis zur maximalen Wochenarbeitszeit: MB-Verbandsjuristin Ulrike Hahn zum Thema Arbeitszeit

    Magdeburg (jz). Der Chef der Wirtschaftsweisen hält den Achtstundentag für veraltet und fordert ein neues Gesetz. Aber die gesetzlichen Flexibilisierungsmöglichkeiten sind schon längst weitgehend und lassen teilweise zu viel Spielraum für Arbeitgeber. Denn die europäische Arbeitszeitrichtlinie lässt grundsätzlich schon 48 Stunden je Sieben-Tageszeitraum zu, erläuterte Verbandsjuristin Ulrike Hahn vom Marburger-Bund-Bundesverband bei der Jahreshauptversammlung des MB-Landesverbandes Sachsen-Anhalt in Magdeburg.
    Die Richtlinie, die laut Urteilen des Europäischen Gerichtshofes aus den Jahren 2000 und 2003 vorsieht, dass Bereitschaftsdienst Arbeitszeit ist, spricht dabei lediglich von einer „durchschnittlichen“ Wochenarbeitszeit. Das heißt, die Verteilung der 48 Stunden auf die Arbeitstage wird offengelassen. Danach kann der Ausgleichszeitraum mittels nationaler Regelung und Tarifvertrag auf bis zu 12 Monate verlängert werden. Hahn verdeutlichte: „Ein Tarifvertrag wirkt wie ein Gesetz.“ In diesem Zusammenhang verwies sie auf die Normhierarchie im Arbeitsrecht. Dort stehen Tarifverträge, soweit sie günstige Regelungen enthalten, über einfachen Gesetzen, Rechtsverordnungen etc. Daher müsse stets ein Tarifvertrag angestrebt werden, „weil er für viele tarifgebundene Menschen die Arbeit regeln kann wie ein Gesetz“, betonte sie.
    Daneben ermöglicht die Richtlinie das sogenannte Opt-out. Also die Möglichkeit, dass Arbeitgeber und -nehmer individualvertraglich eine höhere Wochenarbeitszeit als die grundsätzlich vorgeschriebenen 48 Stunden vereinbaren.
    Die Rechtslage in Deutschland, die anders als die EU-Richtlinie Werktage von Montag bis Samstag vorsieht, schreibt grundsätzlich höchstens 8 Stunden tägliche Arbeitszeit vor. Diese kann allerdings auf 10 Stunden verlängert werden, wenn ein Ausgleich innerhalb von 24 Wochen stattfindet. Das bedeutet, dass der betroffene Arzt letztlich durchschnittlich pro Tag 8 Stunden gearbeitet hat.
    Allerdings ist eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit möglich, wenn etwa in einem Tarifvertrag eine entsprechende Regelung vereinbart wurde und in die „Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt“, so Hahn. Als Beispiele ging sie ein auf die beiden großen Tarifbereiche des MB für: 

    Universitätsärzte (TV-Ärzte),
    Ärzte in den kommunalen Häusern (TV-Ärzte/VKA).

    Danach beträgt im TV-Ärzte die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 42 Stunden, im TV-Ärzte/VKA 40 Stunden. Die tägliche Arbeitszeit kann auf bis zu 24 Stunden verlängert werde, wenn über 8 Stunden hi­naus Bereitschaftsdienst geleistet wird. An Samstagen, Sonntagen und Feiertagen lassen die Tarifverträge nur 24 Stunden Bereitschaftsdienst zu.
    „Die Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit durch Bereitschaftsdienst ist nur mit vorheriger schriftlicher und individueller Zustimmung der Ärztin beziehungsweise des Arztes möglich“, unterstrich Hahn. Dabei beläuft sich die durchschnittliche Höchstarbeitszeit im TV-Ärzte in der Bereitschaftsdienststufe I auf 58 Wochenstunden, in der Bereitschaftsdienststufe II auf 54 Stunden bei einem Ausgleichszeitraum von 1 Jahr. Im TV-Ärzte/VKA sind es 58 Stunden bei einem Ausgleichszeitraum von 6 Monaten.
    Ohne Opt-out, wenn also der Einzelne keine entsprechende Vereinbarung unterschrieben hat, kann er zwar in der einzelnen Woche mehr als 48 Stunden arbeiten, es muss aber immer auf die durchschnittlich 48 Stunden ausgeglichen werden.
    Zum Thema Schichtdienst erläuterte Hahn, dass beide Tarifverträge 12-Stunden-Schichten erlauben, aber in unmittelbarer Folge dürfen nicht mehr als 4 solche Schichten und innerhalb von zwei Kalenderwochen nicht mehr als acht erfolgen. Eine Kombination mit Bereitschaftsdienst ist nicht zulässig. Zudem weist der TV-Ärzte zusätzlich auf eine Gefährdungsbeurteilung gemäß §5 Arbeitsschutzgesetz hin. Diese Verpflichtung, insbesondere die psychischen Belastungen bei der Arbeit in einer Gefährdungsbeurteilung festzustellen, trifft den Arbeitgeber allerdings ohnehin zwingend.
    Für Teilzeitbeschäftigte verringern sich die täglichen und Wochenarbeitszeitgrenzen im selben Verhältnis wie die individuelle Arbeitszeit zu der eines Vollzeitbeschäftigten. Bei einer 30-Stunden-Stelle beliefe sich damit die maximale durchschnittliche Arbeitszeit (mit Bereitschaftsdienst) auf 43,5 Wochenstunden, wenn ein Vollzeitbeschäftigter durchschnittlich 58 Stunden arbeiten könnte.

    ziegler@marburger-bund.de