• Ärztinnen und Ärzte brauchen Rechtssicherheit im pandemiebedingten Ausnahmefall

    Pressemitteilung
    Marburger Bund nimmt Stellung zum Referentenentwurf für ein „Triage-Gesetz“
    22.Juli 2022
    Im Falle pandemiebedingt nicht ausreichender überlebenswichtiger, intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten müssen Ärztinnen und Ärzte auf einen sicheren Rechtsrahmen vertrauen können. Der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für ein „Triage-Gesetz“ wird diesem Anspruch nicht gerecht, konstatiert der Marburger Bund in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Mit der Gesetzesänderung soll dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.12.2021 Rechnung getragen werden (1 BvR 1541/20).

    Ärztinnen und Ärzten müssen weiterhin eine einzelfallbezogene Entscheidung zur priorisierten Allokation medizinischer Ressourcen in pandemiebedingten Ausnahmesituationen treffen können, ohne dass sie sich mit dieser Zuteilungsentscheidung rechtlichen Risiken aussetzen, fordert der größte deutsche Ärzteverband. Auf keinen Fall dürften berufsrechtliche Vorgaben wie die der gewissenhaften Berufsausübung zusätzlich noch mit dem scharfen Schwert des Strafrechts geahndet werden. Der bloße Hinweis auf die Meinung des Gesetzgebers zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit in der Begründung des Gesetzentwurfs berge die Gefahr, dass sich Staatsanwaltschaften und Gerichte durch ihn nicht gebunden fühlen, weist der Marburger Bund auf Unklarheiten im Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums hin.

    Weitgehend ausgeblendet wird in dem Entwurf, dass nicht nur die sachlichen, sondern insbesondere auch die personellen Kapazitäten in der stationären Versorgung begrenzt sind. Zusätzliche Anforderungen an die Ärztinnen und Ärzte, wie sie in dem komplizierten Mehraugenprinzip und umfangreichen Dokumentationspflichten vorgesehen sind, würden ohne weitere Ressourcen das vorhandene Personal zusätzlich belasten und könnten damit das angestrebte Ziel, Leben und Gesundheit von Patientinnen und Patienten mit Behinderungen wirkungsvoll zu schützen, in sein Gegenteil verkehren. „Hinzu kommt, dass die Notwendigkeit der Triage erst entsteht, wenn die gleichen Probleme in vielen Kliniken bestehen und die Möglichkeiten, Patienten zu verlegen, ausgeschöpft sind. In einer solchen Situation ist die Belastung für das ärztliche Personal so hoch, dass jeder doppelte Einsatz von Fachärzten ebenso wie eine ausführliche Dokumentation der direkten Patientenversorgung Kapazitäten entzieht“, betont der Marburger Bund in seiner Stellungnahme.

    In extremen Zeiten einer Pandemie könne der Fall eintreten, dass alle Betten belegt sind, weil die Zahl Erkrankter schnell und stark zunimmt und zudem – wie in der aktuellen Pandemie – an COVID-19 Erkrankte auch längere Liegezeiten haben. Ein Ausschluss der Ex-post-Triage würde unter diesen Umständen möglicherweise dazu führen, dass neu hinzukommende Patienten mit ebenfalls schwerwiegenden Erkrankungen, aber höherer kurzfristiger Überlebenschance nicht intensivmedizinisch behandelt werden könnten. „Dieser ‚first come first serve‘-Grundsatz wäre weder ethisch begründbar noch mit der Realität in deutschen Krankenhäusern vereinbar. Es muss die Möglichkeit geben, beispielsweise einen Patienten, der auch nach langer Beatmungszeit nur noch geringe Überlebenschancen hat, palliativ zu behandeln, wenn ein neu hinzukommender mit besseren Chancen dessen Bett dringend zur nur kurzfristigen intensivmedizinischen Behandlung benötigt.“