Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Gesundheitsfragen muss einen höheren Stellenwert in der Europäischen Union bekommen, fordert der Marburger Bund.
„Die Verbreitung des Coronavirus in den vergangenen Monaten hat drastisch vor Augen geführt, wie schnell aus einem örtlich begrenzten Infektionsgeschehen eine globale Bedrohung werden kann. Die Europäische Kommission hat die Lage zunächst unterschätzt und nicht die koordinierende Rolle bei der Infektionsabwehr eingenommen, die man von ihr erwarten kann. Inzwischen ist die Bedeutung einer engeren Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Gesundheitspolitik erkannt, es fehlt aber an einer Strategie, die beides miteinander vereint: gemeinschaftliche Initiative und Kooperation einerseits und Wahrung einzelstaatlicher Kompetenzen in der Organisation des Gesundheitswesens andererseits. Die Bundesregierung sollte daher die Chancen nutzen, die sich durch die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 ergeben und gerade bei der Bewältigung der Corona-Krise das Potenzial grenzüberschreitender Zusammenarbeit in der Union voll ausschöpfen“, erklärte Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes.
Die Coronavirus-Pandemie habe wie unter einem Brennglas gezeigt, wo mehr Zusammenarbeit in Gesundheitsfragen notwendig sei: bei der Herstellung und Beschaffung von besonders wichtigen Gütern wie Arzneimitteln und Schutzmaterialien, bei der Entwicklung von Impfstoffen, beim Austausch von Daten zum Infektionsgeschehen und auch bei der Entwicklung von gemeinsamen Standards für Apps zur Unterbrechung von Infektionsketten. „In den vergangenen Wochen wurden verschiedentlich auch COVID-19-Patienten aus anderen europäischen Ländern in deutschen Krankenhäusern versorgt, wenn in den Heimatländern zeitweilig Intensivkapazitäten erschöpft waren. Inzwischen hat die Europäische Kommission dafür Kriterien erarbeitet und Unterstützung bereitgestellt. Ich halte es für ein Gebot der europäischen Solidarität, auch weiterhin COVID-19-Patienten aus anderen Ländern aufzunehmen, wenn dort eine adäquate Versorgung nicht mehr möglich ist“, sagte Johna.
Abseits von Corona gebe es bei Gesundheitsfragen aber noch ein viel breiteres Spektrum an Themen, die eine verstärkte internationale und europäische Zusammenarbeit erforderten. „Auch antibiotikaresistente Keime lassen sich nicht durch Grenzkontrollen und Einfuhrzölle aufhalten. Sie gefährden Patientinnen und Patienten auf der ganzen Welt. Wer daran etwas ändern will, muss beispielsweise dafür sorgen, dass Umweltauflagen bei der Produktion von Antibiotika überall auf der Welt eingehalten werden. Zur Verbesserung der Versorgungssicherheit sollten Produktionsstandorte essenzieller Medikamente ohnehin nach Europa zurückverlagert werden – und dazu zählen eben auch die meisten Antibiotika. Wir brauchen eine europäische Gesamtstrategie bei der Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre die Rezeptpflicht für Antibiotika in ganz Europa“, betonte die MB-Vorsitzende.