56. Hauptversammlung, 26. Oktober 2018 in Karlsruhe Beschlüsse
Nr. 1 Arbeitszeiten im Krankenhaus regelmäßig kontrollieren und zum
Schwerpunktthema der Gewerbeaufsicht machen
Nr. 2 Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes als Qualitätsvorgabe im
Rahmen der Krankenhausplanung
Nr. 3 Ärztinnen und Ärzte von Verwaltungstätigkeiten entlasten
Nr. 4 Studienplatzkapazitäten in Baden-Württemberg erhöhen
Nr. 5 Kollektive Privatautonomie stärken
Nr. 6 Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst
angemessen vergüten
Nr. 7 Weiterbildung gesondert zusätzlich vergüten
Nr. 8 Qualitätssicherung in der Weiterbildung
Nr. 9 Elektronischer Arztausweis mit EFN und ohne Vertragsbindung
Nr. 10 Geschlechterquote in der Ärztekammer berücksichtigen
Nr. 11 TV-Ärzte/VKA schnellstmöglich überarbeiten
Nr. 1 Arbeitszeiten im Krankenhaus regelmäßig kontrollieren und zum
Schwerpunktthema der Gewerbeaufsicht machen
Der Marburger Bund Baden-Württemberg fordert das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg erneut auf, das Thema Arbeitszeit im Krankenhaus wieder zum Jahres-Schwerpunktthema der Gewerbeaufsicht zu machen. Es ist zwingend nötig, dass das Ministerium die jeweils zuständige Gewerbeaufsicht anweist, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes in den Krankenhäusern regelmäßig zu überprüfen und festgestellte Verstöße nach §§ 22,23 Arbeitszeitgesetz zu ahnden.
Ein Verfolgen nur von angezeigten Verstößen genügt nicht. Laut des aktuellen BWKG-Indikators (1/2018) sind bereits jetzt rund 400 Stellen bei den Ärzten und 1.200 Stellen bei den Pflegefachkräften in den Krankenhäusern im Land unbesetzt. 64 % (2017: rund 60 %) der Krankenhäuser und 72 % (2017: fast 79 %) der Rehakliniken haben derzeit Schwierigkeiten, Ärztinnen und Ärzte zu finden. Die Arbeitsbelastung in den Kliniken steigt von Jahr zu Jahr. Die Folge sind Arbeitszeiten, die oft weit über das zulässige Maß hinausgehen. 85 % der befragten Ärztinnen und Ärzte haben sich deswegen in einer repräsentativen Umfrage des Landesverbands unter seinen Mitgliedern für anlasslose Kontrollen ausgesprochen.
Es ist zwingend erforderlich, dass die Gewerbeaufsicht von sich aus verstärkt ein Auge auf die Arbeitszeiten im Krankenhaus richtet.
Nr. 2 Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes als Qualitätsvorgabe im
Rahmen der Krankenhausplanung
Der Marburger Bund Baden-Württemberg fordert das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg auf, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes zukünftig im Rahmen der Krankenhausplanung als Qualitätsvorgabe für die Krankenhausplanung festzulegen.
Die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes gewährleistet den Schutz der Mitarbeiter vor Übermüdung und Überlastung und ist damit eine Grundvoraussetzung für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung. Derzeit verstoßen viele Krankenhäuser regelmäßig gegen die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes. Krankenhäuser, die die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes nicht gewährleisten, setzen ihre Mitarbeiter Risiken aus und gefährden letztlich auch ihre Patienten.
70 % der befragten Ärztinnen und Ärzte haben sich deswegen in einer repräsentativen Umfrage des Landesverbands unter seinen Mitgliedern für die Aufnahme als Qualitätskriterium ausgesprochen.
Nr. 3 Ärztinnen und Ärzte von Verwaltungstätigkeiten entlasten
Der Marburger Bund Baden-Württemberg fordert die Bundes- und Landesregierung sowie die Krankenhausträger auf, Ärztinnen und Ärzte von Verwaltungstätigkeiten, wie z.B. Dokumentations-, Kodier-, Koordinations- und Organisationsaufgaben zu entlasten. Den Ergebnissen einer repräsentativen Umfrage des Landesverbands unter seinen Mitgliedern zufolge verbringen derzeit 22 % der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte mehr als 40 % ihrer Arbeitszeit mit Verwaltungstätigkeiten, 60 % mehr als 20 % und weitere 31 % bis zu 20 %. Hierdurch gehen wertvolle Kapazitäten zu Lasten der Patientenversorgung verloren.
Hier muss dringend eine Entlastung erfolgen, die es den Ärztinnen und Ärzten ermöglicht, sich auf ihre ärztlichen Aufgaben bei der direkten oder unmittelbaren Patientenversorgung zu konzentrieren.
Nr. 4 Studienplatzkapazitäten in Baden-Württemberg erhöhen
Der Marburger Bund Baden-Württemberg fordert die Landesregierung auf, die Studienplatzkapazitäten im Fach Medizin deutlich, mindestens jedoch um 10 % zu erhöhen, um die Kapazitäten dem steigendem Bedarf anzupassen und ein Ausweichen auf andere Ausbildungseinrichtungen als staatliche Hochschulen zu verhindern.
Die große Diskrepanz zwischen der Bewerberzahl und den vorhandenen Medizinstudienplätzen ist versorgungspolitisch höchst problematisch.
Der Wunsch der angehenden Ärztinnen und Ärzte nach einer besseren Vereinbarkeit von Studium/Beruf und Familie/Privatleben sowie verlässlichen Arbeitszeiten werden die Rahmenbedingungen ebenso stark verändern wie die absehbare Ruhestandswelle in zehn bis zwanzig Jahren, wenn die Babyboomer-Generation für die ärztliche Versorgung nicht mehr zur Verfügung steht. Darauf muss sich die Politik jetzt einstellen – u.a. durch eine Erhöhung der Studienplatzzahlen um mindestens 10 Prozent. Die Ausweitung der Kapazitäten kann durch eine Vergrößerung bisheriger Fakultäten, aber auch durch die Gründung neuer Fakultäten öffentlicher Hochschulen gewährleistet werden.
Es muss eine neue Methode zur Berechnung geeigneter Kapazitäten entwickelt werden, die sowohl versorgungspolitische Engpässe als auch das Grundrecht der Bewerber auf freie Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 3 Grundgesetz berücksichtigt. Unterfüttert werden muss dieses neue Kapazitätsrecht durch die Festlegung einer ausreichenden Finanzierung.
Nr. 5 Kollektive Privatautonomie stärken
Der Marburger Bund Baden-Württemberg fordert die Aufhebung des Tarifeinheitsgesetzes. Mindestens aber erinnert er den Bundesgesetzgeber an seine aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. Juli 2017 resultierende Pflicht, zumindest die verfassungswidrigen Elemente des Tarifeinheitsgesetzes zu beseitigen.
Alternativ zur Nichtaufhebung des Tarifeinheitsgesetzes fordern wir:
- die Einführung einer Mindest-Organisationsquote von 25 v.H. bezogen auf die jeweilige Berufsgruppe für die Gewerkschaft, deren Tarifverträge diejenige anderer Gewerkschaften verdrängen können
- die Festlegung, dass Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften über die Abbedingung der Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes nicht der Zustimmung der Arbeitgeberseite bedürfen
- die ausdrückliche Klarstellung, dass die Verdrängungswirkung erst durch eine gerichtliche Entscheidung nach § 99 ArbGG und nicht automatisch aus dem Gesetz heraus erfolgt.
Begründung:
Der Marburger Bund Baden-Württemberg weist zunächst noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht lediglich eine Berechtigung, nicht aber eine Verpflichtung des Gesetzgebers anerkannt hat, das Verhältnis der Gewerkschaften untereinander gesetzlich zu regeln. Ob er dies tut, liegt im weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers, ein wirkliches Erfordernis ist bis heute nicht wissenschaftlich begründet dargetan worden. Insoweit hält der Marburger Bund Baden-Württemberg an seiner grundlegenden Forderung nach Aufhebung des Tarifeinheitsgesetzes fest.
In jedem Fall aber hat der Gesetzgeber die Pflicht, die zu weit reichenden Folgen des Tarifeinheitsgesetzes zu beschränken. Dies hat ihm das Bundesverfassungsgericht zur Erledigung bis zum 31. Dezember 2018 aufgetragen. Eine der wesentlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes ist: Die von der Minderheitsgewerkschaft vertretene Berufsgruppe darf keinem Tarifvertrag einer Gewerkschaft ausgesetzt sein, in der sie nur marginal oder überhaupt nicht vertreten ist.
Damit spricht sich das Bundesverfassungsgericht für einen berufsgruppenspezifischen Minderheitsschutz aus. Das korrespondiert mit dem Grundrecht aller Berufe, sich zur Durchsetzung seiner Interessen als Koalition zusammenschließen zu dürfen.
Auch einer berufsgruppenübergreifend organisierten Gewerkschaften muss es jedenfalls aber verwehrt sein, Tarifverträge für solche Berufsgruppen abzuschließen, die sie nicht oder nur punktuell vertritt. Die Einführung einer Mindest-Organisationsquote von einen Viertel der betreffenden Berufsgruppe als Voraussetzung für die Möglichkeit, andere Tarifregelungen verdrängende Tarifverträge abzuschließen, wäre eine dazu notwendige Voraussetzung.
Auch wenn zwischen den Gewerkschaften Einigkeit besteht, darf keine Verdrängung erfolgen.
Nichts anderes kann schon aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit gelten, solange kein Antrag nach § 99 ArbGG gestellt wird.
Nr. 6 Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst
angemessen vergüten
Der Marburger Bund Landesverband Baden-Württemberg fordert die Landesregierung und die Kommunen in Baden-Württemberg auf, die Ärztinnen und Ärzten im Öffentlichen Gesundheitsdienst endlich entsprechend dem TV-Ärzte bzw. TV-Ärzte/VKA zu vergüten.
Die Vergütungsentwicklung der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst bleibt seit Jahren hinter der der Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern zurück. Damit ist eine Tätigkeit in diesem Bereich immer unattraktiver geworden. Offene Stellen sind kaum noch zu besetzen. Vakante Stellen können zum Teil über Jahre nicht besetzt werden.
Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) hat bereits 2016 einstimmig beschlossen, Ärztinnen und Ärzte im ÖGD arztspezifisch zu bezahlen, in Anlehnung an die Vergütung in Krankenhäusern. Eine Umsetzung der Beschlüsse ist bisher nicht erfolgt.
Die sofortige Vergütung der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst nach TV-Ärzte bzw. TV-Ärzte/VKA ist ein wichtiger Schritt, die Attraktivität dieses Bereich zu stärken und seiner Bedeutung gerecht zu werden.
Nr. 7 Weiterbildung gesondert zusätzlich vergüten
Der Marburger Bund Baden-Württemberg fordert die Bundesregierung auf, die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten außerhalb der DRGs gesondert zusätzlich zu vergüten. Eine gute Weiterbildung erfordert Zeit.
84 % der befragten Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt/zur Fachärztin haben in einer repräsentativen Umfrage des Landesverbandes unter seinen Mitgliedern angegeben, normalerweise nicht genügend Zeit für ihre Weiterbildung zu haben. 78 % aller befragten Ärztinnen und Ärzte - also auch die Weiterbildungsbefugten, die die Weiterbildung vermitteln - geben an, dass grundsätzlich nicht genügend Zeit für die Weiterbildung zur Verfügung steht. Dies geht zu Lasten der Qualifikation der zukünftigen Fachärztinnen und Fachärzte.
Die Schaffung zeitlicher Ressourcen ist unmittelbar mit der Frage der Finanzierung der Weiterbildung verknüpft. Ohne gesonderte Mittel für die Weiterbildung wird der bestehende finanzielle Druck auf die Krankenhäuser keine Änderung zulassen.
Nr. 8 Qualitätssicherung in der Weiterbildung
Der Marburger Bund Baden-Württemberg fordert die Bezirksärztekammern auf, die bisherigen Bemühungen im Bereich der Qualitätssicherung der Weiterbildung zu intensivieren. Insbesondere die Durchführung der „Weiterbildungsbesuche vor Ort“ muss hierzu deutlich ausgebaut werden.
Darüber hinaus sollen weitere Mechanismen zur Verbesserung der Struktur der Weiterbildung entwickelt und im Rahmen der Einführung der neuen Weiterbildungsordnung implementiert werden.
Das Instrument der „Weiterbildungsbesuche vor Ort“ wurde in dieser Legislatur zwar bereits in einigen Bezirken entwickelt, wird jedoch viel zu selten seitens der Bezirksärztekammern genutzt. Sporadische Besuche sind jedoch nur sehr begrenzt effektiv und daher auf Dauer nicht wirksam. Ziel sollten daher mindestens 25 Besuche je Bezirk vor Ort pro Jahr sein.
Die Einführung der neuen Weiterbildungsordnung bietet zudem die Chance weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Struktur der Weiterbildung zu implementieren. Im Hinblick auf die zukünftigen Anforderungen an eine neue Weiterbildungskultur ist dies dringend geboten.
Nr. 9 Elektronischer Arztausweis mit EFN und ohne Vertragsbindung
Der Marburger Bund Baden-Württemberg fordert die Landesärztekammer auf, sicherzustellen, dass der elektronische Arztausweis in Baden-Württemberg nur mit aufgedruckter einheitlicher Fortbildungsnummer (EFN) ausgegeben wird. Zudem dürfen nur Telematik-Anbieter berücksichtigt werden, bei denen eine monatliche Kündigung möglich ist.
Nr. 10 Geschlechterquote in der Ärztekammer berücksichtigen
Die Hauptversammlung des Marburger Bunds Baden-Württemberg fordert die neu als Delegierte in die Vertreterversammlungen der Bezirksärztekammern gewählten Mitglieder des Marburger Bundes auf, die in der Satzung des Landesverbands verankerte Geschlechterquote („Drittellösung“) bei der Nominierung der Marburger Bund-Kandidatinnen und Kandidaten für Gremien der Landes- und der Bezirksärztekammern zu berücksichtigen. Dies soll insbesondere im Bereich der Vorstände und Ausschüsse gelten.
Nr. 11 TV-Ärzte/VKA schnellstmöglich überarbeiten
Der Marburger Bund Baden-Württemberg fordert die Große Tarifkommission des Marburger Bund Bundesverbands auf, die Neufassung des TV-Ärzte/VKA auf Grundlage des von der Kleinen Tarifkommission erarbeiteten Zukunftskonzepts konsequent und schnellstmöglich zu verfolgen. Ziel muss die weitest mögliche Umsetzung der nach Diskussion mit den Mitgliedern auf Grundlage des Konzepts entwickelten Forderungen sein. Sofern hierfür die Kündigung des TV-Ärzte/VKA nötig ist, darf dieser Schritt nicht weiter verzögert werden.