• „Es gibt rote Linien“

    MBZ-Interview mit Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes
    15.Dezember 2023
    MB-Vorsitzende Dr. Susanne Johna erläutert im Gespräch mit der MBZ, warum sie politisch mit konkreten Vorschlägen punkten will und der MB in der Sache oft hart und unnachgiebig ist, warum in der Tarifarbeit 2023 viel auszuhalten war und vor welchen Herausforderungen das deutsche Gesundheitswesen und der Verband stehen.
    Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes
    Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes

    Frau Dr. Johna, Sie sind jetzt ziemlich genau vier Jahre als MB-Vorsitzende im Amt. Wie haben Sie diese Zeit bisher empfunden?

    Dr. Susanne Johna: Der Zeitaufwand ist höher, als ich erwartet hatte. Selbstverständlich hatte ich relevanten Zeitaufwand eingeplant, aber ich musste meine berufliche Tätigkeit in der Klinik nochmals reduzieren. Es sind eben viele Termine in Berlin wahrzunehmen. Allerdings ist das auch gut so, denn es zeigt, dass unsere Expertise gefragt ist, dass wir ernstgenommen werden.

     

    Minister Lauterbach hat es bei der 142. Hauptversammlung Anfang November in Berlin in seinem Grußwort sehr gut auf den Punkt gebracht, wie die Kommunikation mit Ihnen läuft. Und es war interessant, wie er betont hat, dass Sie durchaus hart und unnachgiebig sind.

    Johna: Wenn wir das nicht wären, dann bräuchte es den ganzen Aufwand nicht. Es ist ja am Ende unser Ziel, unsere Mitglieder bestmöglich zu vertreten. Es geht darum, auf der fachlichen Ebene hart zu sein und klar vorzutragen, was man will, aber nicht Kritik mit einer persönlichen Attacke zu verbinden. Davon halte ich gar nichts.

    Wir als MB wollen mit unseren konkreten Vorschlägen bestechen – und das tun wir. Da gehen wir genau den richtigen Weg, nicht nur zu kritisieren, sondern klar zu vermitteln, was wir erreichen wollen.

     

    Ihr Start als MB-Vorsitzende war besonders: Bereits nach drei Monaten sorgte die Corona-Pandemie für viel zusätzliche Arbeit...

    Johna: Ja, das war enorm he­­rausfordernd, weil sehr stark unser Einblick in den Versorgungsbereich Krankenhaus gefragt war. Möglicherweise hatte ich es als Internistin mit der Zusatzbezeichnung Krankenhaushygiene etwas leichter, in diesem Kontext zu agieren.

    Inzwischen sind die Themen andere: die Krankenhausreform, die Notfallreform, der Personalmangel, das Thema Entbürokratisierung – die Liste ist lang.

     

    Auch nach der Pandemie war und ist die Schlagzahl enorm hoch. Was ist dabei besonders wichtig?

    Johna: Mir war bewusst, dass es sehr wichtig ist, gut vernetzt zu sein, um gesundheitspolitische Themen voranzubringen. Ich war allerdings positiv überrascht, wie schnell das geklappt hat. Das ist nicht nur auf die Pandemie zurückzuführen, sondern auch auf die enorme Unterstützung von allen im Bundesverband.

    Wir haben zwar im Vergleich zu anderen Verbänden ein relativ kleines, aber ein sehr professionelles, sehr schlagkräftiges Team. Auch das habe ich zwar zuvor gewusst, aber das Erleben in dieser engen Zusammenarbeit habe ich nochmals enorm positiv wahrgenommen.

     

    Sie sprachen die Krankenhausreform an. Aber das ist 2023 ja lediglich ein Thema von vielen. Wie fällt Ihre gesundheitspolitische Bilanz für dieses Jahr aus?

    Johna: Ehrlich gesagt, ist es mir noch zu früh für eine Bilanz. Die Reformen werden uns noch länger begleiten. Wie die Krankenhausreform ausgeht, vermag aktuell niemand zu prognostizieren. Im nächsten Jahr wissen wir hoffentlich mehr. Auf die Notfallreform warten wir seit Jahren. Bereits unter dem vorherigen Gesundheitsminister (Jens Spahn; Anm. d. Red.) gab es dazu einen Referentenentwurf. Aber so richtig voran geht es nicht. Das muss es aber im kommenden Jahr unbedingt.

    Gleichzeitig sind wir als MB froh, dass die Klinikreform angestoßen wurde. Ich habe bei der Hauptversammlung nochmals Don Berwick zitiert: „We have good people in bad systems and good people in bad systems will fail.“ Insofern ist es gut, dass das System jetzt verändert werden soll.

     

    Der MB hat allein in dieser Legislatur eine Menge gesundheitspolitischer Stellungnahmen abgegeben. Das ist doch eine ganz andere Dimension als noch in früheren Tagen ...

    Johna: Insgesamt hat die Schlagzahl so stark zugenommen, weil einfach so viele Baustellen bestehen. Natürlich haben wir diese schon zuvor gesehen, aber sie sind leider über viele Jahre nicht angegangen worden. Bei aller Kritik am Gesundheitsministerium, die man sicher üben kann, sind die derzeitig Verantwortlichen zumindest bereit, diese unpopulären Themen anzugehen.

    Der Reformstau ist ja nicht zu leugnen. Strukturelle Veränderungen sind notwendig, um das Gesundheitswesen zukunftsfest zu machen. Wir müssen aber da­­rauf achten, dass die Reformen zielgerichtet sind und nicht zu noch größeren Verwerfungen führen. Das wäre fatal.

     

    Wie bewerten Sie die politischen Diskurse im Gesundheitsbereich, die über die mit dem Gesundheitsministerium hinausgehen?

    Johna: Es gibt viele, mit denen wir sehr aktiv sprechen und die bei uns auch nachfragen – beispielsweise Mitglieder aus dem Gesundheitsausschuss. Wir waren sehr erfolgreich mit unseren politischen Formaten wie dem parlamentarischen Frühstück zum Thema Triage. Es ist ein gutes Beispiel, denn nach der Veranstaltung haben viele Abgeordnete nochmals Informationen eingeholt, und einige Teilnehmer haben im Anschluss im Bundestag eine persönliche Erklärung abgegeben, in der auch unserer Argumente Widerhall gefunden haben.

    Das gilt auch für unsere Forderungen nach Entlastung durch Bürokratieabbau. An Resonanz mangelt es nicht, wohl aber an der notwendigen Umsetzung. Deshalb ist auch klar: Wir lassen nicht locker.

     

    Berufspolitisch war auch einiges los, gerade für Sie etwa mit der Kandidatur um das Amt der Bundesärztekammerpräsidentin.

    Johna: Bei den Wahlen in den Landesärztekammern haben wir als MB überwiegend gute Ergebnisse erzielt. Leider haben wir sie nicht überall in Führungspositionen umsetzen können. Die Tatsache, dass niedergelassene Kolleginnen und Kollegen in den meisten Kammern im Vergleich zur zahlenmäßig größeren Gruppe der angestellten Kolleginnen und Kollegen überrepräsentiert sind, hat vielleicht auf dem Ärztetag den Ausschlag zu meinen Ungunsten gegeben. Es war knapp (Dr. Johna, die als erste MB-Vorsitzende für das Präsidentenamt kandidiert hat, scheiterte am Ende an drei Stimmen, wurde jedoch anschließend mit überwältigender Mehrheit zur Vizepräsidentin gewählt; Anm. d. Red.). Aber wenn man nicht antritt, kann man keine Wahlen gewinnen – aber man muss dann auch vorbereitet sein, mal zu verlieren. Ich bin Vizepräsidentin und kann als solche sicher auch das ein oder andere in der Bundesärztekammer bewegen.

     

    Während der MB in den Landesärztekammern vergleichsweise gut aufgestellt ist, hapert dies in den Kassenärztlichen Vereinigungen gerade mit Blick auf die stetig wachsende Zahl ambulant angestellter Ärztinnen und Ärzte.

    Johna: Für den MB ist es nicht nur hinsichtlich der Vertretung der in diesem Bereich tätigen Mitglieder ein wichtiges Thema, sondern auch wegen des zunehmenden Ärztemangels. Dieser wird die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit der beiden Sektoren nochmals erhöhen.

    Bei den Wahlen zu den Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen sind diesmal im Vergleich zum Mal davor, mehr MB-Landesverbände auch mit eigenen Listen aktiv geworden. Und wir haben erneut Sitze hinzugewonnen. Aber das ist natürlich noch ausbaufähig.

    Wir würden uns wünschen, dass noch mehr angestellte Ärztinnen und Ärzte aus diesem Bereich ihre spezifischen Themen nicht nur im MB beispielsweise über den zuständigen MB-Arbeitskreis „Ambulante Medizin“ einbringen, sondern sich auch in den KVen engagieren.

    Beim Stichwort Arbeitskreis möchte ich an dieser Stelle den vielen Kolleginnen und Kollegen danken, die sich in unseren Arbeitskreisen und -gruppen sowie Sprecherräten engagieren und uns im Bundesvorstand in speziellen Fragen zu einzelnen Tätigkeitsbereichen beraten. Es ist auch diese Expertise, die uns in die Lage versetzt, zielgerichtet zu handeln.

     

    In der Tarifpolitik hat der MB ebenfalls ein strapaziöses Jahr hinter sich. Die Streiks auf kommunaler Ebene, die massive Helios-Auseinandersetzung sind nur einige Stichworte.

    Johna: Insgesamt haben unsere Verhandlungskommissionen in den unterschiedlichen Tarifbereichen viel aushalten müssen. Im Tarifgeschäft, das immer ein Geben und Nehmen ist, muss man manchmal auch mit harten Bandagen kämpfen. Aber es gibt rote Linien. Aus unserer Sicht ist diese bei Helios überschritten worden und wurde dabei auch noch für eines unserer so engagierten Mitglieder wie Franziska Schlosser, die aus fadenscheinigen Gründen gekündigt wurde, – man muss es so drastisch sagen – zur persönlichen Katastrophe. Als MB haben wir dies gegenüber Helios sehr deutlich gemacht.

    Bei dem, was Franziska Schlosser gerade erfährt, finde ich es bewundernswert, mit welchem Rückgrat sie diesen für sie persönlich so schwierigen Weg geht. Ich bin überzeugt, dass das arbeitsgerichtliche Verfahren in Hamburg (der Termin ist für den 23. Januar angesetzt; Anm. d. Red), bei dem sie vom Landesverband Hamburg juristisch vertreten wird, gut ausgeht und das Arbeitsgericht erkennt, dass die Kündigungsgründe andere als die vorgegebenen sind.

    Uns als MB hat das Vorgehen von Helios gezeigt, dass wir fortan noch früher, noch entschiedener den Anfängen wehren müssen, wenn es in einen persönlichen und nicht länger inhaltlichen Diskurs geht. Die Kleine Tarifkommission hat sich unter der Leitung von unserem zweiten Vorsitzenden Andreas Botzlar bereits intensiv damit beschäftigt.

     

    Für den MB ist es elementar wichtig, dass sich Mitglieder engagieren. Wie lautet Ihr Appell an sie?

    Johna: Mein Appell lautet: Seid mutig, zeigt Rückgrat. Der MB kann noch so tolle Tarifverträge abschließen, noch so gute Regelungen vereinbaren, am Ende kommt es da­­rauf an, sie auch vor Ort einzufordern, durchzusetzen und unter Umständen auch einzuklagen. Das ist anstrengend, das ist schwierig und ich kann jeden verstehen, der sagt, er habe keine Lust da­­rauf. Aber wir brauchen dieses Engagement, um unsere Ziele zu erreichen.

    Als Marburger Bund wünschen wir uns seit vielen Jahren ein Verbandsklagerecht und werden uns auch weiter dafür einsetzen. Das würde es für unsere Mitglieder gerade bei Inhalten, die ganz viele betreffen, deutlich einfacher machen. Aber derzeit gibt es das leider noch nicht. So lange es so ist, sind wir auf einzelne Mutige angewiesen, die ganz deutlich sagen: „Nein, ich habe ein Recht auf die vereinbarten Arbeitszeiten, auf festgeschriebene Pausen, auf eine feste Anzahl freier Wochenenden und setze das jetzt auch gegen meinen Arbeitgeber durch.“

    Mitglieder, die das wollen, werden von den Landesverbänden aktiv und ganz eng unterstützt. Im Verband sind inzwischen fast 60 Juristinnen und Juristen tätig. Also: Wir haben die Power dazu.

     

    Sie sprachen es an, wie wichtig Mutige sind. Vor 20 Jahren hat MB-Mitglied Dr. Jaeger höchstrichterlich erstritten, dass Bereitschaftsdienst Arbeitszeit ist. Was fällt Ihnen dazu ad hoc ein?

    Johna: Ich habe erst kürzlich wieder etwas zum Fall Jäger gelesen: Mir war gar nicht mehr bewusst, dass der ohnehin schwere Weg, den er da angetreten hatte, noch zusätzlich durch Anfeindungen aus der eigenen Kollegenschaft erschwert wurde. Trotzdem hat er es durchgezogen, weil er der festen Überzeugung war, dass es nicht sein kann, dass Bereitschaftsdienste in Deutschland keine Arbeitszeit sind, während es in vielen Ländern um uns herum bereits so war. Es ist bewundernswert, dass er bereit war, diesen langen Weg bis vor den Europäischen Gerichtshof zu gehen.

    Das war ein Riesenschritt. Denn wenngleich nicht sofort, so ist die Welt danach eine andere geworden: In den Häusern mussten deutlich mehr Ärztinnen und Ärzte eingestellt werden. Dafür kann und wird unser Verband Norbert Jaeger immer dankbar sein.

    Aber er hat nicht nur viel für den Verband getan, sondern auch für die Patientensicherheit. Patienten wünschen sich verständlicherweise, von ausgeruhten Ärztinnen und Ärzten behandelt zu werden.

     

    Der MB ist inzwischen auf fast 137.000 Mitglieder gewachsen. Gerade die Zahl der Medizinstudierenden und der Ärztinnen wächst. Was bedeutet das organisationspolitisch für den MB?

    Johna: Erst einmal ist das für den MB ein Riesenerfolg, denn es ist gegenwärtig alles andere als üblich, dass Verbände oder Gewerkschaften mehr Mitglieder akquirieren. Es zeigt, dass wir als MB auf Bundes- und Landesebene gut arbeiten und gut aufgestellt sind – von den Medizinstudierenden bis zu den Chefärzten, von den Ärzten in Niederlassung bis zu den in Behörden tätigen. Wir benötigen den Input auf allen Ebenen der ärztlichen Berufstätigkeit.

    Organisatorisch bedeutet dies auch, dass sich in den Landesverbänden der Beratungsaufwand kontinuierliche erhöht, denn unsere Mitglieder erwarten von uns zurecht, dass wir auf ihre Fragen sehr schnell antworten. Am Ende erfordert eine höhere Mitgliederzahl auch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Einige Landesverbände haben insbesondere ihren juristischen Bereich weiter ausgebaut, andere müssen es noch tun.

     

    Auch die Gruppe der angestellten Ärztinnen und Ärzte in ambulanter Tätigkeit, wir sprachen bereits über sie, wächst stetig im MB. Eine arbeitsrechtliche Beratung für diese Klientel ist eine andere, als die für Klinikbeschäftigte.

    Johna: Ja, da sind wir als Verband immer wieder gefordert und müssen daneben überlegen, wie wir auch die kleineren Landesverbände unterstützen, die eben nicht so einfach personell aufstocken können. Als Bundesvorstand wünschen wir uns, in der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen noch besser voranzukommen. Nicht alles muss 14-mal gemacht werden. Wir können vieles auch gemeinsam nutzen, ob Digitalsysteme, Mitgliederverwaltung etc. – oder aber auch personelle Ressourcen. So haben sich in der Vergangenheit einige Juristen aus den Landesverbänden sehr erfolgreich mit einem speziellen Thema befasst und dazu etwas erarbeitet, statt dass sich jede und jeder im Detail einarbeiten musste. Gerade bei Ad-hoc-Themen ist das sinnvoll. Ich nenne das Beispiel Beschäftigungsverhältnis und Sozialversicherungspflicht von Poolärztinnen und -ärzten, das uns ja ganz aktuell beschäftigt: eine komplexe Materie bei der viele rechtliche Fragen zu bedenken sind. Das findet dann in regelmäßigen Konferenzen der Juristinnen und Juristen statt, oder auch in einer kleineren Gruppe, die sich intensiv mit einem spezifischen Thema befasst und dazu Positionierungen ausarbeitet.

     

    Thema Ärztinnen. Die Medizin wird zunehmend weiblich. Was bedeutet das perspektivisch für den Beruf und den MB?

    Johna: Wir haben uns schon immer für Ärztinnen besonders aufgestellt, weil wir sehen, dass Ärztinnen einen besonderen Nachholbedarf haben. Seit vielen Jahren bieten wir in unseren MB-Seminaren beispielsweise das Thema Ärztinnen in Führungspositionen an. Allerdings sehen wir in den Kammern auch, dass die Anzahl der Ärztinnen nicht mehr so stark zunimmt, weil die Anzahl der Kolleginnen und Kollegen steigt, die aus dem Ausland zu uns kommt – und das sind sowohl bei den Ärzten in der Weiterbildung als auch bei den Fachärzten in der Mehrzahl Männer.

    In der Berufswelt sind die Bedürfnisse von Mann und Frau immer noch unterschiedlich. Zwar gehen auch Männer in Erziehungsurlaub, aber in der Regel deutlich kürzer als Frauen. In diesem Bereich sehen wir vor allem die Arbeitgeber in der Pflicht, die nun endlich in die Umsetzung kommen müssen Kinderbetreuung muss so organisiert sein, dass es Ärztinnen und Ärzten überhaupt möglich ist, in Vollzeit zu arbeiten, inklusive der Dienste, wenn sie das möchten.

     

    Auf dem Weg zu einer moderneren Verbandsstruktur – wo steht da der MB auf einer Skala von 1 bis 6?

    Johna: Ich kann mit dem Begriff „modern“ wenig anfangen. Aber im Sinne einer idealen Ausnutzung unserer Potenziale sind wir nur befriedigend. Wir haben noch etliche Schritte vor uns, aber es wurde auch schon Einiges auf den Weg gebracht.

     

    Welche Schritte sind darüber hinaus beispielweise noch zu gehen?

    Johna: Wir haben jetzt, wenn auch noch nicht in voller Auswirkung, die einheitliche Mitgliedsnummer. Sie zu realisieren, hat viel länger gedauert, als ich gedacht hatte. Aber wir haben sie.

    Als Nächstes gehen wir das Thema einheitliche Mitgliederverwaltung an. Das ist ein Beispiel, bei dem ich mir wünschen würde, dass viele Landesverbände gemeinsam die erforderliche Digitalstruktur aufbauen.

     

    Eine Herausforderung ist die von Ihnen angedeutete Heterogenität der Landesverbände, wodurch sie mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind?

    Johna: Wir besprechen diese Dinge regelmäßig, unter anderem beim jährlichen, informellen Treffen mit den Vorsitzenden der Landesverbände. Dort werden und wurden Themen angestoßen wie die Frage der Mitgliedsbeiträge, die nicht zu weit ausei­­nan­der liegen sollten. Auch die Leistungen, die der Mitgliedsbeitrag abdeckt, sind nicht überall gleich. Die regionalen Landesverbände haben für unsere Mitglieder enorme Vorteile, erfordern aber auch Koordination. Strukturelle Verbesserungen kommen langsam, aber es geht voran auch wenn ich mir manchmal mehr Tempo wünschen würde.

     

    Welches sind die zentralen Projekte in Ihren nächsten zwei Jahren als Bundesvorsitzende und insbesondere im nächsten Jahr?

    Johna: Für den Bundesverband und sicher auch für die Landeverbände steht das Thema Krankenhausreform ganz oben auf der Agenda. Die Landesverbände sind unterschiedlich aufgestellt hinsichtlich ihrer Verknüpfung zu den Landesgesundheitsministerien und den dortigen Krankenhausausschüssen, die die Reform dann konkret umsetzen werden. Insofern ist es ganz wichtig, dass wir uns dort auf Landesebene einbringen.

    Die Notfallreform wird uns auch beschäftigen. Notfallversorgung geht nur gemeinsam, wir brauchen dafür alle Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Sie ist ein zentrales Element der Daseinsvorsorge. Die Bevölkerung muss sich da­­rauf verlassen können, dass sie funktioniert. Ich sehe mit Sorge, dass jetzt Ideen aufkommen, in der bodengebundenen Rettung keine Notärzte mehr mitfahren zu lassen, sondern nur noch Notfallsanitäter, perspektivisch mit Bachelor – und Masterabschluss. Notärzte sollen nur im äußersten Notfall vor Ort sein, ansonsten telemedizinisch zugeschaltet werden. Eine Verschiebung von Tätigkeiten an andere Berufe hilft keinem weiter, wenn sie an andere Mangelberufe erfolgt. Wie sagt mein Stellvertreter Andreas Botzlar immer so schön: „Wenn die Bettdecke insgesamt zu kurz ist, ist nur noch die Frage, welcher Fuß frei liegt.“ Wir müssen außerdem überlegen, wie wir es schaffen, dass die Patientinnen und Patienten, die die Ressourcen des Krankenhauses nicht benötigen, frühzeitig in den vertragsärztlichen Bereich gelenkt werden.

    Aber das zentrale Thema der wohl nächsten 20 Jahre wird der Ärztemangel und der Fachkräftemangel insgesamt sein. In der Politik scheint teilweise akzeptiert zu werden, dass sich die Versorgungssituation in den nächsten Jahren ohnehin verschlechtern und erst wieder besser werden wird, wenn die Menschen der geburtenstarken Jahrgänge versterben. Nichtstun ist aber verantwortungslos, denn die demographische Entwicklung stellt uns in allen Bereichen vor große Herausforderungen.

    Hätte man, wie von uns bereits vor mehr als 10 Jahren gefordert, die Anzahl der Studienplätze Medizin erhöht, ständen wir heute besser da.

     

    Sie sprachen die ausländischen Ärztinnen und Ärzte an. Was ist dort zu tun?

    Johna: Der Anerkennungsprozess, bis die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland arbeiten können, dauert mitunter so lange, dass schon mit Ausweisung gedroht wird. Das ist ein Skandal und liegt im wesentlich am Föderalismus. Wenn das umgesetzt worden wäre, was der MB seit vielen Jahren fordert, nämlich der Ausbau der zentralen Anerkennungsstelle in Bonn, sehe es anders aus. Diese muss personell gut ausgestattet werden, damit die meisten Fälle auch dort bearbeitete werden können.

    In den Kammern haben sich die Zeiten, bis eine Fachsprachen- oder Kenntnisstandprüfung erfolgt, deutlich verbessert. Dort gibt es eine gewisse Einsicht, auch weil auf Bundesebene mit den Kammerpräsidenten ein einheitliches Vorgehen besprochen wurde. Wir sind hier einen Schritt weiter, aber längst nicht dort, wohin wir wollen.

    Wir brauchen die ausländischen Kolleginnen und Kollegen. Es sind inzwischen deutlich mehr als 60.000, mit denen wir gemeinsam die Versorgung in Deutschland schultern. Meiner Meinung nach lohnt es sich, sie auf MB-Landesebene aktiv anzusprechen. Denn sie organisieren sich oft herkunftslandspezifisch. Es gibt zum Beispiel eine sehr aktive syrische Gruppe (s. auch S. 10; Anm. d. Red.) und eine sehr aktive griechische Gruppe. Aber es wäre natürlich gut, wenn sie auch aktiv in unserem Verband würden, der alle vertritt. Da sehe ich Parallelen zu den Fachgesellschaften, die natürlich ihre Berechtigung haben; aber als MB versuchen wir das Zusammenspiel von allen im Gesundheitswesen im Blick zu behalten.

     

    Wie lautet Ihr Wunsch zum Jahresende für den MB?

    Johna: Ich wünsche mir, dass die Zusammenarbeit im Team weiterhin so gut funktioniert, dass wir den Satz „Gemeinsam mehr bewegen“ – für mich ist das nicht nur ein Slogan, sondern wir leben ihn – im Konzert der Landesverbände noch stärker leben. Ich wünsche mir etwas mehr Offenheit gegenüber Neuerungen. Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, neue Strukturen anzugehen.

     

    Frau Dr. Johna, vielen Dank für das Interview!

    Mit Frau Dr. Johna sprachen Angelika Steimer-Schmid und Jörg Ziegler (Marburger Bund Zeitung)

     

    Weitere Infos
    Ein Interview mit der von Dr. Johna erwähnten Franziska Schlosser ist hier zu finden.